Recklinghausen. . Es gibt im Internet, auf Youtube, dieses Video mit einigem Schauwert. Es zeigt Jörg Uretschläger, Kampfkunst-/Kampfsporttrainer bei der PSV Recklinghausen, wie er Selbstverteidigung vorführt.

So, wie es da zusammengeschnitten ist, sinken seine Trainingspartner, die die Rolle des Angreifers übernehmen, gleich reihenweise auf die Matte. Und dabei hat Jörg Uretschläger doch gar nicht viel gemacht – denkt man, wenn man nicht weiß, was Kyusho ist. Kyusho ist in mehrerer Hinsicht Kampfkunst oder Selbstverteidigung aufs Wesentliche reduziert.

Denn Kyusho ist Selbstverteidigung von Wettkampfelementen befreit und mit Techniken ohne Faust, Handkante oder Fuß – sondern funktioniert auch mit einem Finger, der bestimmte Schwachpunkte des Körpers, so genannte Druckpunkte oder Akupressurpunkte trifft.

„Durch Reiben, Drücken oder Schlagen dieser Punkte werden beim Angreifer Gleichgewichtsstörungen oder welche bis hin zum K.O. verursacht“, erklärt Uretschläger. „Der Gegner wird kurz außer Kraft gesetzt, damit man sich einem Angriff entziehen kann.“ Im Video trifft Uretschläger bei seinen Trainingspartnern Punkte am Hals oder am Arm, auch an der Hand. Die Punkte zu treffen, ist das eine. Die Geschwindigkeit das andere. Kyusho heißt so viel wie „Erste Sekunde“.

Ohne Überraschungsmoment keine effektive Selbstverteidigung.

Wer sich das von Uretschläger mal – mit aller Vorsicht – demonstrieren lässt, etwa durch einen Kyusho-Griff an den Hals, bekommt eine Ahnung davon, was hinter der Formulierung steckt: „Die schwächsten Strukturen der Anatomie werden benutzt, um dem Körper Ausfallerscheinungen beizubringen.“

Und der berühmte „Spock-Griff“ des Raumschiff Enterprise-Vulkaniers scheint – so schwebt es durchs leichte Schwindelgefühl – nicht allein eine Drehbuchautoren-Erfindung zu sein.

Jörg Uretschläger (3. Dan) hat Kyusho bei Lehrgängen kennengelernt. Die laufen in familiärer Atmosphäre ab, sagt Uretschläger, und dabei haben sie mit Kyusho ein altes und länger nicht sonderlich beachtetes Familiengeheimnis wiederentdeckt.

Bitte nicht nachmachen: Angriffspunkt Hals  Foto: Rainer Raffalski / WAZ FotoPool
Bitte nicht nachmachen: Angriffspunkt Hals Foto: Rainer Raffalski / WAZ FotoPool © WAZ FotoPool

Er musste sich mit diesen speziellen Fingerfertigkeiten auch erst mal anfreunden, wie manche Youtube-Videozuschauer, die nicht so ganz glauben, was sie da sehen: „Auch nach 25 Jahren Kampfsport habe ich erst mal gedacht: Das geht nicht.“ Der Selbstversuch allerdings war dann auch für ihn überzeugend.

Der PSV-Trainer ist in Nordrhein-Westfalen der bisher einzige zertifizierte Studiogruppenleiter des Deutschen Kyusho-Verbandes. Bei der PSV Recklinghausen/Gladbeck sind es 30 Mitglieder, die seit einem Jahr regelmäßig Kyusho trainieren. Übrigens immer behutsam und sensibel im Umgang miteinander, versteht sich. Gegenseitiger Respekt gehört auch zu dieser Selbstverteidigungskunst beim Training dazu, die Grundvoraussetzung „Charakterfestigkeit“ sowieso. Dann kann Kampfkunst eine Fingerübung sein.

TV-Karriere beendet

Jörg Uretschläger, 38 Jahre alt, ist 1. Vorsitzender und Haupttrainer der Kampfsportler in der PSV Recklinghausen/Gladbeck. Er arbeitet selbstständig als Fitness-, Kampfsport- und Personaltrainer für Privatpersonen oder für verschiedene Institutionen, Vereine oder Verbände. Zehn Jahre lang war Uretschläger auch in Charakter- und Sprechrollen in diversen Fernsehserien dabei, moderierte in dieser Zeit außerdem fünf Jahre lang Sendungen für den Homeshopping-Sender QVC. Seine TV-Zeit hat er mittlerweile beendet, konzentriert sich beruflich ausschließlich auf seine Trainer-Tätigkeit.