Zuerst dachte ich, ich hätte mich verwählt. „Du musst in der Zentrale anrufen”, sagt eine junge Frau, die sich am Telefon als Violetta vorstellt. Du? Kennen wir uns? Oder sollte ich bei IKEA gelandet sein?

Recklinghausen. Dabei will ich eigentlich eine Geschichte über ein Fitness-Studio schreiben. Genauer gesagt über Menschen, die zu nachtschlafener Zeit ins Studio gehen. Die Erklärung für die vertrauliche Ansprache folgt beim Besuch im McFit-Center in Recklinghausen.

„Wir duzen alle”, erklärt Katja Heiermann, die Studioleiterin. Das IKEA-Gefühl bleibt. Auch McFit hat ein blau-gelbes Logo, die Studiofläche kommt nahe an die Ausmaße eines Möbelhauses heran und überhaupt scheint für die Fitness-Kette Wiedererkennung genauso wichtig zu sein wie für den Möbel-Riesen aus dem Land der Elche. Wer ein Studio kennt, kennt sie alle. Und wer eine Mitgliedskarte besitzt, der kann damit in jedem der bundesweit 89 Studios trainieren, angeleitet vom Personal oder von einer blau-gelben Box, dem Terminal mit Digitaltrainer-Funktion. 365 Tage im Jahr, auch an Weihnachten und Silvester, Tag und Nacht. „Und das ist toll”, wirft Studiobesucher David Hardt begeistertet ein.

Womit wir beim Thema wären. „Nachtschwärmer” hat Edward Hopper eines seiner berühmtesten Bilder genannt. Es zeigt drei Gäste und einen Kellner zu später Stunde in einer Bar. Eine urbane Szene aus den 40er Jahren. Menschen in der Stadt. Heute gehen sie nachts ins Fitness-Studio. Wobei sich die Zahl der Gäste zumindest am Westring nach 23 Uhr in Grenzen hält. „Ich habe mal bis ein Uhr trainiert, da war ich aber die einzige”, erzählt Verena Marx. Je später der Abend, desto spärlicher die Gäste. „In anderen Studios ist nachts mehr Betrieb”, sagt Katja Heiermann. Das hänge auch von den Bedingungen in einer Stadt ab. Von der Arbeitslosigkeit etwa oder vom Schichtwechsel großer Betriebe. Wohl auch von der Größe einer Stadt. In Berlin, wo bald das 13. McFit-Studio eröffnet wird, ist die Zahl der Nachtschwärmer deutlich größer als in Recklinghausen.

Nach Mitternacht zu schließen kommt aber nicht in Frage, auch wenn die Nachtwache oft auf einsamem Posten ist. „Allein die Möglichkeit, rund um die Uhr trainieren zu können, macht den Reiz aus”, sagt Studioleiterin Heiermann. Sie muss es wissen. Die staatlich geprüfte Gymnastiklehrerin ist gerade 25 Jahre alt. Aber sie kennt schon etliche Studios und hat das Geschäft von der Pike auf gelernt. Sie nennt die wichtigsten Gründe, warum Menschen überhaupt ins Studio gehen: Fitness und Attraktivität. „Wer fit ist, der fühlt sich wohl. Und wer sich wohl fühlt, ist attraktiv. Gut aussehen ist eine große Motivationsquelle.” Nicht umsonst wirbt die Kette McFit auf ihrem Logo mit dem Motto: „Einfach gut aussehen.”

Wie ein gelbes Neonband wirkt die gut 100 m lange Fensterfront des Studios in der Dunkelheit. Da steht Laufband neben Laufband, Stepper neben Stepper und Hometrainer neben Hometrainer. Massenbewegung. Die spät abends und früh morgens abebbt. Es gibt nur wenige Solisten. „Ich komme gerne, wenn nicht so viele da sind. Dann kann man sich besser konzentrieren”, sagt Sükrü Özmercan, der an einem Silvestertag schon mal bis 23 Uhr Gewichte stemmte.

Alles bei McFit hat Struktur. Katja Heiermann erklärt das 3-Säulen-Konzept (Ausdauer, Kraft, Ernährung) und die Farbenlehre. Der grüne Bereich steht für Neu- und Wiedereinsteiger, im gelben schwitzen die Fortgeschrittenen, im roten die „Profis”. Grau ist die Dehnecke, was nichts über vermeintliche Eintönigkeit aussagen soll. Jeder ist seines Muskels Schmied. Wie lange, wie intensiv, wie konzentriert das Training ausfällt, bleibt jedem selbst überlassen. Auch das ist ein Zeichen unserer Zeit, in der Menschen die ständige Verfügbarkeit von Geschäften und anderen Einrichtungen schätzen, ihren vertraglich vereinbarten Obulus dafür entrichten und diese Geschäftsbeziehung der engen Bindung etwa an einen Verein vorziehen.

Das mit dem Vertrag ist für Verena Marx okay. Und doch fühlt sie sich ein wenig deplatziert. „Ich hasse es, mich allein auf den Stepper zu stellen.” Daran ändern die eifrigen Läufer und Strampler um sie herum nichts. Die sind auch allein oder in Cliquen da. Die Studentin vermisst Gruppenangebote, den Zwang, zur verabredeten Zeit im Studio sein zu müssen und sich mit anderen auszupowern. „Es fällt mir oft schwer, mich aufzuraffen.” Das muss jeder allein schaffen.

Ansonsten bemüht sich das Haus um ein Rundum-Sorglospaket. Blitzblank der Boden, auf Hochglanz poliert die Geräte, dazu ein sanftes Unterhaltungsprogramm aus den Lautsprechern. Die meisten Studios von heute haben wenig gemein mit den Muckibuden von gestern, an denen der Makel unerlaubter Substanzen und dubioser Personen haftete. „Früher hätte ich mich nie getraut, in ein Studio zu gehen, zu den Eisenbiegern und Pumpern”, gesteht Katja Heiermann. Heute leitet sie ein Fitnesscenter - mit Eisenbiegern, Fitnessfreunden, Ausdauerkünstlern oder Wohlfühlmenschen. Alles ist möglich. Auch nachts.