Olympische Spiele hat Annina Ruppel als Steuerfrau des Frauen-Deutschlandachters in Athen schon miterlebt. Allerdings kam sie 2004 mit leeren Händen nach Hause. Und das soll sich in Peking ändern
Was macht Annina Ruppel am 17. August 2008?
Ruppel: Sie macht erstmal die Augen auf.
Und dann?
Ruppel: Trinke ich eine anständige Tasse Kaffee und frühstücke eher spärlich, wohl nur ein trockenes Brötchen, damit der Magen nicht so aufgewühlt ist. Anspannung schlägt mir nämlich immer auf den Magen. Dann werden wir eine Runde mit dem Achter rausfahren. Zurück im Quartier, werde ich laufen gehen, um die Aufregung zu kompensieren. Dann werden wir zur Strecke fahren, ich muss auf die Waage, putze das Boot innen und außen, ziehe alle Schrauben nach und gucke, ob alles da sitzt, wo es sitzen soll. Danach werde ich wohl allein mit dem Trainer sprechen, es folgt die offizielle Mannschaftsbesprechung. Und 90 Minuten vor dem Start geht's zum Einfahren aufs Wasser.
Ja wo denn überhaupt? Bei Olympia in Peking?
Ruppel: Ja klar, für mich ist das ein Muss. Mehr als das: Ich will mit einer Medaille zurück kommen. So etwas wie 2004, als wir als Weltmeister nach Athen gefahren sind und dann Fünfte wurden, muss ich nicht noch einmal haben. Nur um Olympische Spiele zu erleben, fahre ich da nicht hin. Das hatte ich schon.
Der Weltcup-Auftakt am verganenen Wochenende in München war ja nicht optimal. Was muss in den nächsten drei Monaten passieren, damit der Medaillenwunsch in Erfüllung geht?
Ruppel: Wir müssen noch viel Achter trainieren. Körperlich sind die Ruderinnen sehr gut drauf. Die Ausdauerwerte sind die besten, bis auf zwei haben alle Frauen im April beim Trainingslager in Sabaudia auch auf dem Ergometer Bestwerte gezogen. Wir sind aber seit Anfang des Jahres hauptsächlich Kleinboot gefahren, weil die Selektion für den Achter über den Zweier stattfand.
So wie es Ralf Holtmeyer schon in seiner Zeit als Trainer der Männer getan hat . . .
Nicht auf den Mund gefallen
Mit neun Jahren kam Annina Ruppel 1990 zum Ruderverein „Emscher”. Drei Jahre legte sie sich selbst in die Riemen, dann überredete Trainer Rüdiger Hauffe sie zum Umstieg ins Heck. „Weil ich ziemlich klein, aber schon damals nicht auf den Mund gefallen war”, erinnert sich die 27-Jährige. Schon 1995 steuerte sie den deutschen Juniorinnen-Achter zu WM-Gold. Seitdem ist Ruppel international dabei.
Die Bankkauffrau wohnt in der Eickeler Gartenstadt und ist mit Jörg Dießner aus dem letztjährigen Deutschland-Achter liiert.
Ruppel: Unser Trainer hat seinen Plan, den zieht er immer durch. Er lässt sich von außen nur sehr selten reinreden.
Gibt ihm der Erfolg Recht?
Ruppel: Vizeweltmeister 2006, 2003 Weltmeister, davor haben wir zweimal WM-Bronze geholt. Und vor der Ära Holtmeyer ist der Frauenachter immer hinterher gegurkt.
In München saßen allerdings nicht die schnellsten Zweier im Achter. Wie passt das in Holtmeyers Logik?
Ruppel: Das hat er gemacht, weil es um die Option geht, in Peking einen Doppelstart zu machen. Ralf wollte sehen, wie schnell unser bester Zweier im internationalen Vergleich ist ohne Doppelbelastung.
Das Ergebnis war Platz zwei für Maren Derlien und Lenka Wech. Was heißt das?
Ruppel: Abwarten. Falls Maren und Lenka stark genug sind, ihren Vorlauf zu gewinnen und so die Zahl der Rennen zu begrenzen, bietet sich ein Doppelstart in Peking vielleicht an. Andere Länder machen das schon lange. Aber auch die Alternative, dass die beiden nur Zweier fahren, steht im Raum.
Was Sie doch enttäuschen müsste. Hat der Achter ohne zwei der Besten überhaupt noch eine Medaillenchance?
Ruppel: Ich bin momentan der Meinung, dass es ohne Maren und Lenka nicht geht. Aber ich vertraue dem Trainer, wenn er denkt, dass wir auch ohne sie eine Medaille schaffen. Schließlich hat er jahrzehntelange Erfahrung. Ich kann nur meine Einschätzung abgeben.
Und Ihre Meinung ist gefragt?
Ruppel: Ja, Ralf fragt mich sehr oft, wie ich Fahrten in verschiedenen Besetzungen empfunden habe. Auch nach München haben wir uns unterhalten. Beim nächsten Weltcup in Luzern liegt der Fokus ganz auf dem Achter. Dann wird er auch Nicole Zimmermann mit ins Boot nehmen, die in den letzten beiden Jahren sehr erfolgreich Zweier und Achter gefahren ist.
Ihr ganzes Streben ist auf eine Olympia-Medaille ausgerichtet. Wäre sie ausreichende Entschädigung für ihren Aufwand in den vergangenen Jahren
Ruppel: Außenstehende wissen gar nicht, welche Entbehrungen man in Kauf nehmen muss, wenn man voll berufstätig ist und gleichzeitig Hochleistungssport treibt. Ich werde oft daran erinnert, wenn ich zwei Freunde sehe, mit denen ich vor fünf Jahren gemeinsam die Ausbildung bei der Herner Sparkasse abgeschlossen habe. Die haben schon ihre zweite Fortbildung begonnen, sind bald Betriebswirte.
Schmerzt das Hinterherhinken im Beruf?
Ruppel: Auf jeden Fall. Und es ist besonders bitter, wenn man einen Misserfolg einfährt. Dann stellt man sich schon die Frage, ob das alles richtig ist. Rudern ist nicht medienwirksam, interessiert die breite Masse auch gar nicht. Finanziell kommt da nichts bei rum.
Wie sieht der Alltag der berufstätigen Leistungssportlerin Annina Ruppel aus
Ruppel: Arbeiten, trainieren, arbeiten und selber Sport treiben. Wenn ich vor- oder nachmittags in Dortmund bin, muss ich die Stunden vor- oder nacharbeiten. Die Sporthilfe ersetzt den Verdienstausfall für maximal drei Monate. Aber die sind schnell drauf. Fünf Wochen Sabaudia, im Juli vier Wochen St. Moritz, drei Wochen Olympia. Und drei Weltcups, jeweils von Mittwoch bis Freitag. Das ist ganz eng.
Peter Thiede steuert mit Vierzig noch den Männer-Achter. Ein Vorbild für Sie?
Ruppel: Definitiv nicht. Nach Peking ist Schluss. Sport ist für mich nicht alles. Ich mache das gern, bin engagiert, konzentriert und mit 120 Prozent dabei. Aber es ist nicht so, dass ich mir ein Leben ohne Rudern nicht vorstellen kann. Bei Wind und Wellen aufs Wasser zu müssen, ist nicht immer spaßig. Da muss ich mich manchmal sehr motivieren.