Hattingen. Frauen ziehen sich deutlich häufiger als Männer einen Kreuzbandriss zu. Ein Hattinger Arzt nennt fünf mögliche Erklärungen für diesen Fakt.

Es ist medizinisch bewiesen, dass Frauen sich häufiger einen Kreuzbandriss zuziehen, als Männer. Die Gründe sind vielfältig. „Die Haupterklärung scheint eine anatomisch-funktionelle zu sein“, sagt Doktor Jörg Thieme, Hattinger Spezialist für Probleme am Bewegungsapparat.

Frauen haben ein etwas breiteres Becken. Dadurch stehen die Hüftgelenke weiter von der Mittellinie entfernt als bei Männern. „Das führt dazu, dass die Beinachse bei einem geraden Stand leicht X-förmig ist, vom Mittelpunkt der Hüfte zum Mittelpunkt des Kniegelenkes zum Mittelpunkt des Sprunggelenkes. Medizinisch wird es Q-Winkel genannt“, so Thiele. Dies ist eher ungünstig, es führt schneller zu einem Abknicken nach innen, was die Gefahr für Bänderverletzungen im Knie erhöht.

Verhältnis von Kniestrecker und Kniebeuger sowie die Körperhaltung beim Sprung

Ein weiterer Grund ist, dass die Region im Knie, in dem das hintere und das vordere Kreuzband verlaufen, bei Frauen schmaler ist als bei Männern. Diese sogenannte schmale Notch vergrößert das Risiko.

Eine dritte Erklärung ist das Verhältnis zwischen Kniestrecker und Kniebeuger, also den Muskeln an der Vorderseite und der Rückseite des Knies. „Bei Frauen ist es so, dass der Kniestrecker im Verhältnis zum Kniebeuger und im Vergleich zu Männern stärker ist. Auch das ist etwas ungünstig bezüglich der Stabilität des Kniegelenkes“, erklärt Thieme.

Jenny Blömer-Wessel (r.) beendete nach einem Kreuzbandriss ihre Karriere als Fußballerin.
Jenny Blömer-Wessel (r.) beendete nach einem Kreuzbandriss ihre Karriere als Fußballerin. © FUNKE Foto Services | Bastian Haumann

Auch die Körperhaltung spielt eine Rolle. So landen Frauen nach einem Sprung – etwa beim Kopfball – häufiger aufrecht und gehen seltener in die Kniebeuge. Zudem sind sie beim Schuss mit ihrem Oberkörper häufiger in Rücklage. Beides kann zu einer Überstreckung der Bänder führen. „Da scheint es warum auch immer einen Unterschied zu geben. Im gestreckten Zustand ist die Verletzungsgefahr höher“, sagt Thiele, der zudem noch anspricht, dass auch die Sexualhormone eine Rolle spielen könnten.

Sexualhormone und der weibliche Zyklus könnten eine Rolle spielen

„Jede Zelle im Körper, auch die orthopädischen relevanten, tragen Rezeptoren für Sexualhormone in sich, bei Frauen Östrogene und Progesteron, bei Männern Testosteron. Es gibt Studien, die sagen, dass das Gewebe anfälliger ist, je mehr Rezeptoren von dem Östrogen bewegt werden“, sagt Thieme.

Das Gewebe wird quasi lockerer, die Reißfestigkeit heruntergesetzt. Weitere Studien deuten auf einen Zyklus innerhalb des weiblichen Monatszyklus hin. Aus einer dieser Untersuchungen geht hervor, dass sich das Risiko kurz vor dem Eisprung erheblich erhöht.

„Es gibt widersprüchliche Studien, ob die Verletzungsgefahr in der Zeit höher ist, in der auch der Östrogen-Anteil erhöht ist. Manche Studien konnten dies bestätigen, andere nicht“, so Thieme.

Nach der Verletzung dauert es mehr als ein halbes Jahr

Das Thema wird auch in der Öffentlichkeit diskutiert. In verschiedenen Studien heißt es, dass die biologisch bedingte geringere Muskelmasse, die das Kniegelenk umgibt und schützt, zu mehr Verletzungen führt. Zudem spiele die Neigung des Schienbeinkopfes und der dadurch entstehende Druck auf das vordere Kreuzband im weiblichen Knie eine Rolle.

Abhilfe schaffen, ist schwierig. Neben Oberschenkeltraining schadet es aber in keinem Fall, die Gesäßmuskulatur für eine verbessere Rumpfstabilität zu trainieren.

Ist das Kreuzband erst einmal gerissen, müssen sich die Sportlerinnen auf einen langen Genesungsprozess einstellen. An den im Profisport oft genannten sechs Monaten glaubt Thieme nicht. „Bis man in ein Punktespiel zurückkehren kann, dauert es mindestens neun bis zwölf Monate. Sechs Monate können passen, wenn es darum geht, wann man wieder sportartenspezifisch trainieren kann.“

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