Gladbeck. Die WAZ hat Tim Deffte, Handballchef des VfL Gladbeck, interviewt. Es geht um die Abstiege, Ziele, den Trainer, und die Jugendspielgemeinschaft.
Die wichtigsten Entscheidungen in der Saison 2022/2023 sind aus Gladbecker Sicht längst gefallen. Das ist Grund genug, um mit Tim Deffte, den Leiter der Handballabteilung im VfL Gladbeck, über die Abstiege der ersten und zweiten Mannschaft zu sprechen, aber auch über den neuen Trainer Thorben Mollenhauer, Zugang Fabian Neher und die Jugendspielgemeinschaft.
Nach dem erfolgreichsten Jahr der Abteilungsgeschichte mit den Aufstiegen in die 3. Liga und Verbandsliga folgten die sofortigen Wiederabstiege. Ist der VfL an seine sportlichen Grenzen angekommen?
Tim Deffte: Jein. Rein sportlich gesehen glaube ich, dass für beide Mannschaften der Klassenerhalt realistisch gewesen wäre. Den ehrgeizigen Sportler in mir wurmt das natürlich. Als Abteilungsleiter muss ich mir aber immer wieder in Erinnerung rufen, was uns da mit diesen beiden Aufstiegen überhaupt für ein verrücktes Märchen gelungen ist. Unsere erste Mannschaft schaffte den Sprung in die 3. Bundesliga und war damit im Ruhrgebiet mit seinen 5 Millionen Einwohnern nach ASV Hamm, Tusem Essen und Eintracht Hagen die viertklassenhöchste Mannschaft - und das in Deutschlands Mannschaftssportart Nummer zwei.
Unsere Zweite stieg parallel dazu mit einem Team, das komplett aus Spielern aus Gladbeck und dem eigenen Nachwuchs bestand, in die fünfte Liga auf. Und das alles nach der Corona-Pandemie. Das war schon der absolute Wahnsinn. Das alles haben wir geschafft, obwohl uns zu diesem Zeitpunkt nicht die besten Rahmenbedingungen zur Verfügung standen. Wir sind kein finanzstarker Verein, hatten aufgrund der Knappheit bei Hallenzeiten alles andere als optimale Trainingsbedingungen.
VfL Gladbeck und die Sportverwaltung suchen nach Lösungen
Kai Brockmann (Jugendkoordinator, d. Red.) hat für unsere Arbeit mal den Ausdruck der Überperformance formuliert. Das finde ich sehr treffend. Wir haben weit über den Möglichkeiten gespielt, die mit unseren Strukturen überhaupt machbar waren. Die Rahmenbedingungen haben sich zum Glück aber nun durch die Zusammenarbeit mit Bürgermeisterin Bettina Weist und der Stadt Gladbeck deutlich verbessert. Die Sportverwaltung ist sehr engagiert und bei Hallenzeiten immer auf der Suche nach Lösungen. Es ist deutlich zu merken, dass wir gemeinsam etwas für unser Gladbeck bewegen wollen.
Ihr Bruder Sven, Trainer der Ersten, sagt, der Erhalt der 3. Liga wäre möglich gewesen. Sehen Sie das genauso?
Ich teile Svens Auffassung: Der Klassenerhalt wäre definitiv möglich gewesen. Uns war aber von Anfang an klar, dass dafür alles passen muss. Das hat es am Ende aber nicht. Insbesondere das Verletzungspech hat dazu beigetragen, dass unsere Mannschaft nicht ihr gesamtes Potenzial abrufen konnte. In dieser starken Liga reicht es für uns nicht, wenn drei oder vier unserer Leistungsträger angeschlagen sind und nicht ihre kompletten 100 Prozent bringen können.
Auch ein geregeltes Training war unter diesen Umständen kaum möglich. Dadurch hat unsere Mannschaft ihren Rhythmus verloren. Das hat man insbesondere in dem Schlüsselspiel in Schalksmühle gespürt. Hätten wir dieses gewonnen und vielleicht auch das Heimspiel gegen Lemgo, hätte das schon ausgereicht.
Wenn man sich vor Augen hält, dass der Klassenerhalt möglich war, ist das natürlich ziemlich bitter. Wir alle hätten gerne auch in der kommenden Saison in der 3. Bundesliga gespielt.
Der neue Trainer bringt laut Tim Deffte viel Handball-Sachverstand mit
In der neuen Saison wird nun Thorben Mollenhauer die Mannschaft trainieren. Was verspricht sich der VfL von ihm? Und teilen Sie dessen Einschätzung, dass der VfL den Anspruch haben muss, in der Oberliga oben mitzuspielen?
Die Idee, Molli als Trainer aufzubauen, hatten Sven und ich bereits, als er leider sein Karriereende verkünden musste. Wir drei sind eng miteinander befreundet und Handball ist ein wichtiger Teil unseres Lebens. Wir haben uns daher schon immer viel über Handball ausgetauscht. Gerade die Gespräche über Taktiken, Spielzüge und Konzeptionen zwischen Sven und Molli haben mir immer deutlich gezeigt, wie wenig Ahnung ich eigentlich von Handball habe.
Da ist viel Handball-Sachverstand, hinzu kommt die Erfahrung als Spieler und letztendlich das Feuer, etwas bewegen zu wollen. Das ist etwas, was uns in den vergangenen Jahren immer ausgezeichnet hat. Wir haben Bock auf Handball und wollen immer das Optimum aus uns herausholen. Und das macht man natürlich deutlich, indem man ehrgeizige Ziele formuliert. Wir fahren den hohen Aufwand nicht, um Mittelmaß zu sein.
VfL Gladbeck hat seine Personalplanungen abgeschlossen
Bis auf Fabian Neher, der von Tusem Essen II kommt, hat der VfL keinen weiteren Spieler verpflichtet. Wird sich der Klub noch weiter verstärken oder bleibt es dabei?
Unsere Planungen sind abgeschlossen. Wir wollen ja auch unseren jungen Spielern aus der Zweiten die Möglichkeit geben, sich für die Erste empfehlen zu können. Zudem darf man ja auch nicht vergessen: Mit Leon Prüßner und Niklas Rolf sind uns die gesamte Saison zwei Spieler ausgefallen, die absolute Leistungsträger sind. Demnach haben wir ja eigentlich drei Neuzugänge.
Insgesamt sind wir froh, dass wir die Mannschaft zusammenhalten konnten. Molli wird daher ein eingespieltes Team mit einer guten Mischung aus jungen und alten Spielern zur Verfügung stehen. Das macht es ihm natürlich einfacher, weil er sich so auf andere Stellschrauben konzentrieren kann.
Charakterisieren Sie doch bitte mal Fabian Neher. Wo sind seine Stärken, wo kann er infolgedessen die Mannschaft besser machen?
Die Saison hat uns deutlich gezeigt: Wir müssen uns im Rückraum breiter aufstellen. Wenn Max Krönung ausgefallen ist, fehlte es uns an Torgefahr. Da haben wir die Hoffnung, dass wir uns mit der Verpflichtung von Fabian mehr Optionen verschaffen. Mit ihm gewinnen wir einen physisch starken Spieler, der talentiert, sehr gut ausgebildet und ehrgeizig ist. Mit ihm werden wir unser Angriffsspiel flexibler gestalten können.
Tim Deffte: Spielpraxis ist für junge Talente das Wichtigste
Wie beurteilen Sie, unabhängig vom Abstieg, die Entwicklung der Zweitvertretung und vor allem die Entwicklung der Talente wie Robin Kirsten oder Tobias van Kampen?
Man darf nicht den Fehler machen, den Wert der vergangenen Saison am nicht geschafften Klassenerhalt festzumachen. Insbesondere für die jungen Spieler war die vergangene Saison besonders wertvoll. Sie haben sich mit starken und körperlich robusteren Gegnern messen müssen. Daran sind sie auf jeden Fall gewachsen und haben sich gut weiterentwickeln können.
Gerade Tobias van Kampen und Robin Kirsten haben einen großen Sprung gemacht, sodass sie auch in der ersten Mannschaft eine Perspektive haben. Die beiden sind ein gutes Beispiel dafür, dass Spielpraxis für junge Talente das Wichtigste in der Entwicklung ist.
In Jona Schröter wechselt ein hoffnungsvolles Talent vom Turnverein zum VfL. Ist Jonas Wechsel das erste gelungene Beispiel für die neue Zusammenarbeit von Blau und Rot als Folge der Gründung der JSG?
Wenn man so will, war die Verteilung der Jugendspieler auf die Senioren-Mannschaften nun der erste große Stresstest. Und der wurde mit Sternchen abgeschlossen. Gemeinsam haben wir überlegt, für welchen Spieler welcher nächster Schritt der beste sein kann. Dabei haben wir Entscheidungen treffen können, von denen allen Seiten nur profitieren können und bei denen sich beide Seiten wiedergefunden haben.
Deffte: „Wir heben die Jugendarbeit auf ein viel höheres Niveau“
Ich glaube, damit konnten wir auch die letzten Restzweifel aus dem Weg räumen. Damit haben wir bewiesen, dass die JSG eine Zukunft hat. Die Zusammenarbeit läuft auf allen Ebenen wirklich sehr, sehr gut. Wir arbeiten sehr vertrauensvoll, offen, partnerschaftlich und auf Augenhöhe zusammen.
Wie zufrieden sind Sie mit der Entwicklung der Jugendspielgemeinschaft? Sind die mit ihrer Gründung gesetzten Ziele erreicht worden?
Wir wollten das Experiment JSG ja langsam angehen und schauen, wie sich die Zusammenarbeit entwickelt. Aber bereits jetzt kann man sagen: Unsere Erwartungen wurden weit übertroffen, das Experiment ist ein voller Erfolg! Alle Beteiligten gehen mit großem Enthusiasmus und viel Spaß an die Arbeit.
Wir verzeichnen bereits jetzt zahlreiche Synergieeffekte, sodass man sagen kann: Mit der Gründung der JSG ELE haben wir eine wegweisende Entscheidung für den Gladbecker Handball getroffen. Wir werden allen Kindern die Möglichkeit bieten können, sich in unseren Mannschaften bestens weiterzuentwickeln.
Ich bin mir sicher: Wir heben damit die Jugendarbeit auf ein ganz neues, viel höheres Niveau und werden der Nachwuchsarbeit eines Bundesligisten in nichts nachstehen.
Bewusste Entscheidung für den Frauen- und Mädchenhandball
Die Zukunft des Fußballs, so heißt es, ist weiblich. Wie sehen Sie die Zukunft des Frauen- und Mädchenhandballs im VfL?
Mein Vorgänger hat sich aus damals Hallen- und Ressourcenmangel bewusst gegen den Frauenhandball entschieden. Als ich 2016 die Abteilungsleitung übernommen habe, habe ich mich bewusst für den Frauenhandball geöffnet. Gemeinsam mit unserem Jugendwart Sebastian Sprenger waren wir der Meinung, dass wir unsere Handball-Abteilung als eine große Familie sehen. Und dazu gehören nun einmal alle.
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Dieser Schritt war richtig und hat uns total bereichert. Ich würde diesen Weg jederzeit wieder gehen, auch wenn er nicht immer konfliktfrei war, weil uns nicht genügend Hallenzeiten zur Verfügung standen. Von daher würde ich sagen: Die Zukunft der Handballabteilung gehört weiterhin unserem Nachwuchs - dem weiblichen und dem männlichen.
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