Gladbeck. . Über 1000 Spiele hat er für die Sportfreunde Gladbeck absolviert. In der Serie „Fußball damals“ erinnert sich Manfred Reichert an tolle Tage.

Kürzlich erst feierte er seinen 86. Geburtstag. Ihn in Sachen Gladbecker Fußball als wandelndes Lexikon zu bezeichnen, könnte noch leicht untertrieben sein. Ob einzelne Spielszenen, Platzierungen, ob Ergebnisse oder Mitspieler - das geradezu eidetische Gedächtnis von Manfred Reichert lässt den unbefangenen Zuhörer immer wieder staunen.

Ein kleines Veto „riskiert“ die still lächelnde Frau an seiner Seite: „Wenn Manfred zwei Sachen für uns einkaufen soll, hat er garantiert eine vergessen.“ Es ist halt so, das Gedächtnis konserviert konzentriert das Wichtigste. Und das war und bleibt für Reichert der Fußball, genauer, das Kicken in Diensten „seiner“ Sportfreunde Gladbeck.

Reichert hütet mehr als 1000-mal das Sportfreunde-Tor

Mehr als 1000 Mal hütete er für den Klub aus Brauck das Tor, vor zwei Jahren durfte der immer noch rüstige Rentner die Ehrung für 70-jährige Mitgliedschaft in Empfang nehmen; in einem Verein, der unter dem Signum „Sportfreunde“ wie kein anderer in Gladbeck Fußball auf hohem Niveau verkörperte und der vor kurzem gänzlich aus dem Vereinsregister wohl auf Nimmerwiedersehen verschwand.

Rückblende, ein typischer Sonntag in den 60er Jahren. Nach Kirchgang (3,5 km) und gemeinsamem Mittagessen stand für die fußballbegeisterten Söhne der Familie „Sportfreunde gucken“ auf der Agenda, der absolute Höhepunkt der Woche. Der lange Fußweg Richtung Roßheide oder Stadion steigerte nur die Vorfreude. Die Konstante im Tor: Manni Reichert, ein Zerberus, der - oft genug von seiner Abwehr allein gelassen - häufig dafür sorgte, dass bis zum Abpfiff so etwas wie Hoffnung bestand und damit der Heimweg mehr zu bieten hatte als pure Frustbewältigung.

Reichert erlebt erstes Highlight an der Seitenlinie

„Direkt nach Kriegsende habe ich mich bei den Sportfreunden angemeldet, bei den ersten Schülern“, erinnert sich der gelernte Stuckateur. Das erste Highlight erlebte der 13-Jährige an der Seitenlinie.

„Auf dem Ascheplatz spielten wir zum 25-jährigen Vereinsjubiläum gegen Schalke 04. Bei denen war alles dabei, was Rang und Namen hatte: Fritz Szepan, Ernst Kuzorra, im Tor Hans Klodt.“ Mehr als 5000 Zuschauer sahen einen 3:1-Sieg der Knappen. 1950 stieß Reichert zur Erstvertretung, unter Trainer Ernst Duda schaffte er jedoch noch nicht den Sprung zum Stammkeeper.

Unter Heinz Flotho geht es aufwärts

Als Heinz Flotho 1954 Coach im Gladbecker Süden wurde, ging es rasch aufwärts. Mit dem jetzt etatmäßigen Torwart Reichert schafften die Kleeblätter den Sprung in die höchste Amateurklasse (II. Division West), beim 2:1 im Entscheidungsspiel gegen Germania Datteln säumten 8000 Zuschauer den Spielfeldrand. Es folgten Jahre, in denen die Sportfreunde ihren Ruf als sportliches Aushängeschild weit über die Grenzen ihrer Heimatstadt hinaus festigten.

In Hermann Eppenhoff wurde eine weitere 04-Institution Trainer. Sogar Meisterkicker Günther Siebert wurde direkt nach dem letzten Schalker Meistertitel 1958 Vertragsspieler in Brauck, eine Entscheidung, der Reichert nicht viel Sympathie entgegenzubringen vermochte: „Der hat allein mehr verdient als alle anderen Akteure zusammen und ist auch nur bei lukrativen Spielen aufgelaufen.“

Leistungsträger verlassen den Klub

Wegen des elften Tabellenplatzes wurden die Sportfreunde anno 1963 nicht für die Regionalliga - damals die zweithöchste Liga - nominiert, und es begann der langsame, aber kontinuierliche Abstieg. Leistungsträger wie Hans Lipka, Rolf Pawellek oder Gerhard Prokop heuerten bei Alemannia Aachen an, Erwin Mecking schlug seine Zelte ebenso wie Werner Moldovan in Sodingen auf. Konsequenz: Nach einem Jahr ging’s runter in die Landes-, wenig später in die Bezirksliga.

Auch die Fusion mit dem SuS Rosenhügel konnte den Niedergang nicht aufhalten. „Ich war damals für den Zusammenschluss, Ernst Brünglinghaus war entschieden dagegen. Und er hat Recht gehabt“, gibt Reichert unumwunden zu.

An ein Spiel gegen Siegen denkt Keeper ungern zurück

Gibt es eigentlich einen Akteur, den Manfred Reichert in seiner langen und erfolgreichen Karriere besonders geschätzt hat? „Ernst Brünglinghaus war der beste Spieler, mit dem ich je zusammen gespielt habe“, verteilt der Torwart a. D. ein uneingeschränktes Kompliment.

Auch bei dem Spiel, das Reichert am liebsten aus seinem Gedächtnis streichen möchte, spielte Brünglinghaus mehr als nur eine Nebenrolle: „1954/55 spielten wir gegen Sportfreunde Siegen um die Westfalenmeisterschaft. Zur Halbzeit führten wir 3:0, Ernst hatte dreimal getroffen. Nach dem Wechsel kassierten wir vier Treffer, Siegen gewann 4:3.“

Torwart-Ikone widersteht dem Lockruf des Geldes

Was der bei manchen Toren unglücklich agierende Recke im Gladbecker Gehäuse verschweigt, war eine nicht ausgeheilte Verletzung des Schlüsselbeines. Reichert: „In der ersten Halbzeit hatte ich einen Ball genau auf die nicht ausgeheilte Stelle bekommen und konnte nur unter Schmerzen zu Ende spielen.“ Weil Auswechslungen nicht erlaubt waren, biss „Manni“ die Zähne zusammen. Seine Sportfreunde im Stich lassen - nie und nimmer.

Als er im Alter von 40 Jahren aufhörte und nur noch bei den Oldies spielte, hatte er mehr als 1000 Mal 90 Minuten lang versucht, seinen Kasten so sauber wie möglich zu halten. Und sauberes, sprich redliches Verhalten erhält bei der Torwart-Ikone noch eine tiefere Dimension. Reichert erinnert sich: „Wir spielten in der 2. Oberliga gegen den VfB Hüls, die gegen uns siegen mussten, um den Aufstieg zu schaffen. Vor dem Spiel bot man mir 600 Mark, wenn ich bereitwillig einen Ball passieren lasse. Ich habe nicht mitgespielt und in der letzten Minute sogar noch einen Elfmeter gehalten.“

In Zweckel hat Reichert Heimweh nach Brauck

Gäbe es so etwas wie eine Prämie für Treue, sie müsste im Falle „Manni“ Reichert ungleich höher ausfallen als bei vielen anderen. 70 Jahre Sportfreunde, 86 Jahre wohnhaft in Brauck. Kleine Korrektur: „Vier Jahre lang habe ich in Zweckel gewohnt, bin aber jeden Tag nach Brauck gefahren - Heimweh“, so Reichert lächelnd.

Und die kleinen Fußball-Fans aus Ellinghorst, für die „sonntags Sportfreunde gucken“ das Highlight der Woche war, nicht zuletzt dank Manfred Reichert, der zwischen den Holzpfosten auch ohne Showeffekte eigentlich stets eine Super-Arbeit ablieferte und für Vorfreude auf den nächsten Sonntag sorgte.