Als Annelies Maas startete die Gladbecker Trainerin bei den Moskauer Boykott-Spielen von 1980 für Holland.Die aktuelle Diskussion um Olympia in Peking ruft eine Menge Erinnerungen wach

1980 für die Niederlande am Start: Anni Kraus. Foto: WAZ, Ulla Michels
1980 für die Niederlande am Start: Anni Kraus. Foto: WAZ, Ulla Michels © WAZ

IM INTERVIEW 1980, kurz nachdem sich die Sowjetunion in ihr verheerendes Afghanistan-Abenteuer gestürzt hat, boykottieren 64 Staaten die Olympischen Spiele in Moskau. Anni Kraus, 1960 geboren als Annelies Maas in Wageningen in den Niederlanden, ist nur indirekt betroffen. Sie trainiert in Deutschland, startet aber für Holland - und gewinnt in Moskau Bronze. Im Gespräch mit Daniel Frost erinnert sich Kraus, heute Trainerin bei der SG Gladbeck, an 1980.

Sport und Politik, Olympia und der Boykott - angesichts der aktuellen Diskussion kommen bei Ihnen sicherlich Erinnerungen hoch?

Kraus: Ja klar. Ich habe zu der Zeit schon in Deutschland gelebt und trainiert, es war mein erstes Jahr hier. Nun, das holländische NOK (Nationale Olympische Komitee; d. Red.) war schon immer etwas unabhängiger von der Politik, und so konnten wir nach Moskau.

Ihre deutschen Trainingskollegen hingegen mussten daheim bleiben. Wie haben die reagiert?

Kraus: Zu der Zeit haben wir in Warendorf trainiert und es waren einige in der Gruppe, die Chancen gehabt hätten. Die ersten zwei, drei Wochen nach der Entscheidung ging im Training dann nicht viel. Aber es wurden für die Deutschen Ersatzwettkämpfe organisiert und dann ging es weiter.

Auch ihr damaliger Freund Michael musste bleiben . . .

Kraus: Für ihn wären es ja die zweiten olympischen Spiele gewesen, von daher ist nicht unbedingt eine Welt zusammengebrochen. Aber schade war es schon.

Hatten Sie ein schlechtes Gewissen?

Kraus: Es ist lange her. Ich glaube: nicht direkt. Ich habe immer von Jahr zu Jahr trainiert, Olympische Spiele waren irgendwie wie Weltmeisterschaften nur mit mehr Sportlern. Die Wertigkeit, die eine olympische Medaille heute hat, die hatte sie damals für mich nicht. Andererseits waren es ja auch für mich schon die zweiten Spiele. Andere hatten nur einmal die Chance, teilzunehmen und die ist ihnen genommen worden.

Wie wurde das Thema im olympischen Dorf behandelt?

Kraus: Wir Niederländer sind ja nur unter der olympischen Flagge angetreten, im Gegensatz zu anderen Nationen wie den Schweden. Das fanden wir schon ungerecht. Und ich habe ein T-Shirt der Bundesrepublik getragen und bin sogar damit fotografiert worden. Das Foto wurde in der WAZ gedruckt und Sportchef Justen hat mich nach dem Hintergrund gefragt. Ich habe geantwortet, das habe halt so herumgelegen. Die Sportler dürfen sich während der Spiele ja nicht politisch äußern . . .

Das ist wohl verjährt und der wahre Grund ein anderer. . .

Kraus: Ja klar. Wir haben uns damals immer gesagt, wir sind betrogen worden - also die Deutschen. Denn letztlich hat der Boykott nichts gebracht.

Sie halten die Entscheidung der nationalen NOKs, an den Spielen in Peking teilzunehmen, demnach für richtig?

Kraus: Die Entscheidung ist jetzt richtig. Man hätte schon bei der Vergabe weiterdenken sollen. Man hätte ahnen können, was da kommt. Jetzt muss man das durchstehen.

Denn ansonsten bestrafte man nur die Sportler . . .

Kraus: Man muss ja als Sportler nicht alles mitmachen, was die Gastgeber von einem wollen. Wir haben uns halt nur auf unseren Sport konzentriert. An der Eröffnungsfeier zum Beispiel haben wir nicht teilgenommen. Es gibt bestimmt Möglichkeiten zu zeigen, dass man mit dem, was China macht, nicht einverstanden ist.

Die Medaille, die Sie in Moskau gewonnen haben, die hat dennoch einen Ehrenplatz bekommen und einen höheren Stellenwert als Edelmetall bei einer WM, oder?

Kraus: Eigentlich nicht. Im Kopf ist schon, dass man das nicht geschafft hätte, wenn die anderen dabei gewesen wären. Die Medaille, die ich bei der WM 1982 gewonnen habe (Bronze im Freistil; d. Red.), die finde ich wertvoller.der Boykott nichts gebracht"