Ganz Gelsenkirchen trägt wieder Blau. Wer am Morgen danach durch die Innenstadt schlenderte, der konnte sehen, wie stolz die Anhänger wieder auf ihren Klub sind. Trikots, Käppis, das ganze Programm. Und mit einem Lächeln auf den Lippen, wie es der überragende Mann der Champions-League-Nacht zeigte, als er von seinen beiden Torleuten bestimmt und unerbittlich aufgefordert wurde, zu den Fans in die Nordkurve zu gehen.

Fast schüchtern erklomm Senior Raúl die Rampe, aber die Berührungsängste waren beiderseits schnell abgelegt. „Das war schon ein besonderer Moment, mein Ausflug in die Nordkurve. Wir haben deutsch miteinander gesprochen. Ich gab mir Mühe und hoffe, dass sie mich verstanden haben.“

Aber was gab es noch groß zu sagen, für einen, der vorher auf dem Platz wieder einmal ein Ausrufezeichen seiner herausragenden Klasse gesetzt hatte? Aber eigentlich ist es ungerecht, ihn herauszuheben, aus einer Mannschaft, die voller Spiellust und so frisch agierte, als würde die Saison für sie erst jetzt beginnen. Auf der Gegenseite Inter, das in seine Einzelteile zerfiel, ein bisschen Eto’o, eine Prise Milito, ein Hauch von Snejder – zu wenig, um überhaupt in die Nähe eines Wunders zu kommen.

Als die 90minütige Tortur für Mailand endlich beendet war, wussten alle, dass das Verblassen einer großen internationalen Mannschaft unaufhaltsam eingesetzt hatte. Der ewige Javier Zanetti versuchte bei seinem Gang in die Tifosi-Kurve noch so etwas wie Mannschaftsgeist zu retten, doch nur wenige folgten ihm halbherzig. Einer wie Lucio, der noch hastig sein Trikot an Schalke-Ersatzkeeper Mathias Schober verschenkte, verschwand wortlos Richtung Kabine.

Der Titelverteidiger war beherrscht, ja gedemütigt worden von einer Schalker Elf, die ihre beiden Tore setzte wie chirurgische Eingriffe am offenen Inter-Herzen. Beim 1:0 lief das Skalpell vom ballsicheren Alexander Baumjohann traumwandlerisch sicher in den Fuß von Jurado, der den goldenen Schnitt auf Raúl setzte, der mal eben Torhüter Julio Cesar umkurvte. Genial auch Raúls Lupfer zum 2:1 in den Lauf von Benedikt Höwedes, der allein auf Cesar zusteuert und mit voller Lust ins kurze Eck vollendete. „Kompliment an Schalke, für sie ist es eine tolle Sache, erstmals im Halbfinale zu stehen. Kompliment aber auch an Raúl, er ist ein außergewöhnlicher Spieler mit einer besonderen Motivation“, zeigte sich Inter-Coach Leonardo zumindest als guter Verlierer. Wohl wissend, wie die heimische Presse tags darauf über seine Mannschaft herfallen würde (siehe Infokasten).

Sorgen, die für Ralf Rangnick momentan ganz weit entfernt sind. „Kompliment an meine Mannschaft, wie sie nach vier, fünf richtigen Trainingseinheiten schon in der Lage ist, meine Spiel-Philosophie umzusetzen, überrascht mich selbst.“ Wo das enden wird? Möglicherweise noch nicht im Halbfinale. „Wir sind gegen Manchester klarer Außenseiter, aber wenn alles optimal läuft, gibt es eine Chance, ins Endspiel einzuziehen“, so der Trainer.

Sein Vereinsboss formulierte die Erwartungen schon etwas rustikaler: „Wenn wir so aufspielen wie heute, dann haben wir auch gegen ManU die Chance, denen zu zeigen, wo der Hammer hängt“, meint Clemens Tönnies.

Und dann? Ja, dann hätte Raúl nur noch einen Wunsch als Fußball-Profi: „Ich träume von einem Finale Schalke gegen Real.“ Nicht nur er.