„Rot-Weiss Essen hat wieder eine Perspektive“. So hieß es im Sommer 2011 nach dem überstandenen Insolvenzverfahren. Nach dem sportlichen Höhenflug in der NRW-Liga mit Meistertitel und Aufstieg ist beim Traditionsklub aber in der Regionalliga längst der Alltag eingekehrt. Mit dem geschäftsführenden Vorsitzenden Dr. Michael Welling sprach Redakteur Rolf Hantel über den Ist-Zustand und die Zukunft des Vereins.

Rot-Weiss Essen lebt und ist schuldenfrei. Sind sie zufrieden mit der Entwicklung?

Welling: Wir sind mehr als zufrieden. Was wir geschafft haben, konnte man so nicht erwarten. 2011 war sportlich und wirtschaftlich ein unglaubliches Jahr für uns. Ich wüsste nicht, was hätte besser laufen können. Wir sind direkt in die Regionalliga zurückgekehrt und sind auf einem Schlag 20 Millionen Euro Schulden los geworden. Als Bonbon bekommen wir ein neues Stadion. Und der Erfolg im DFB-Pokal gegen Union Berlin war praktisch der Schnaps oben drauf. Das stand in keinem Plan.

Und dieser Pokal-Erfolg hat auch zusätzlich Geld in die Kasse gespült.

Ja, richtig. Die Zusatz-Einnahme von 200 000 Euro wird unsere Bilanz deutlich verbessern. Zudem profitieren die Spieler davon durch erhöhte Prämien bei jedem Punktgewinn.

Wie haben Sie das restliche Geld angelegt?

Wir haben uns etwa entschieden, in die Geschäftsstelle zu investieren.

Aber Sie ziehen doch bald in ein neues Stadion.

Wir haben das ganz bewusst jetzt gemacht auch mit Blick auf das neue Stadion. Wir wissen doch noch immer nicht, wie hoch die finanzielle Belastung durch den Umzug künftig sein wird. Außerdem war eine Modernisierung auch dringend erforderlich. Wir haben die Rechner und Drucker ausgetauscht, weil einige Geräte gefühlt 20 Jahre alt waren, und werden auch unser IT- und Ticketing-System erneuern, um unsere Arbeit zu erleichtern und um für unsere Fans bessere Prozesse zu gestalten.

Es wird aber doch gesagt, dass RWE nur mit einem modernen Stadion eine Zukunft habe.

Das ist auch so. Aber zunächst bekommt die Stadt Essen ein schönes Stadion. Ob es das auch für RWE sein wird, muss sich erst noch zeigen. Inwieweit und wie schnell uns das neue Stadion tatsächlich weiterbringt, kann man erst beurteilen, wenn der Pachtvertrag geschlossen ist.

Wie stellen Sie sich die Konditionen vor?

Es würde natürlich schwerer für uns, wenn die finanzielle Belastung steigen und die Erwerbsmöglichkeiten sinken. Der Mietvertrag ist eine unabdingbare Voraussetzung für uns, um überhaupt Finanzpläne aufstellen zu können. Nur wenn dort Klarheit herrscht, haben wir Planungssicherheit.

Wie ist der Stand der Verhandlungen?

Wir sind mit der GVE als Bauherrn in intensiven Gesprächen und haben uns in vielen relevanten Punkten auch geeinigt. Einige wichtige Punkte und damit auch die genaue Höhe der Pacht, die wir selbstverständlich zu entrichten haben, ist aber noch offen. Das ist aber zu verstehen: Für Rot-Weiss Essen wird der Pachtvertrag der wichtigste Vertrag der nächsten 10 und mehr Jahre.

RWE hat wieder eine Perspektive, heißt es. Wie sieht diese aus?

Die Bürde der Schulden ist abgelegt, diese enge Fesseln ist RWE los. Der Verein hat wieder Handlungsspielraum, kann eigenständig agieren. Die Rahmenbedingungen sind grundsätzlich positiv. Wir sind schuldenfrei, spielen bald in einem neuen Stadion und haben eine junge Mannschaft.

Der Anspruch der Rot-Weißen ist seit jeher hoch. Wie lauten Ihre Ziele?

Wir müssen mittelfristig die Rahmenbedingungen schaffen, um den Aufstieg in die 3. Liga ernsthaft anzustreben. Wie lange das dauern wird, kann man seriös betrachtet noch nicht sagen.

Aber die Fans haben doch die Erwartungshaltung, dass es schon bald klappen muss?

Ich glaube, man sollte das nicht generalisieren. Es gibt unterschiedliche Meinungen, weil viele Fans einen Umdenkprozess durchgemacht haben. Sie wissen, dass sportliche Ziele nur im Rahmen der wirtschaftlichen Möglichkeiten angepeilt werden können. Das jeder gewinnen und erfolgreich sein will, ist doch klar. Aber bei allem muss es heißen: Lieber einen langsamen Schritt nach vorn, als schnell und danach möglicherweise einen oder zwei Schritte zurückzugehen.

Aber nach der famosen NRW-Liga-Saison und dem recht guten Start in die Regionalliga keimten hier und da große Hoffnungen.

Dass die Erwartungen steigen, wissen wir und dem stellen wir uns auch. Wir werden auch immer besser, davon sind alle Verantwortlichen überzeugt. Aber es braucht Zeit. Und wir müssen hart arbeiten dafür. Wir müssen erst zurückgewinnen, was RWE in den Jahren zuvor verloren hat. Das gilt auch für das Vertrauen der Sponsoren.

Wo setzen Sie die Hebel an bei Ihrer Arbeit?

Zum Beispiel beim Nachwuchs, auf den wir nach wie vor großen Wert legen. Wenn die A-Jugend in dieser Saison den Aufstieg in die Bundesliga schafft, spielt RWE in allen Altersklassen in der höchsten Liga. In Anbetracht der starken Konkurrenz in dieser Region sind wir sehr stolz darauf. Wir wollen auch ein Jugendleistungszentrum einrichten, wie es der DFB für Zweitligisten vorschreibt. Wir wollen das jetzt schon machen, weil wir glauben, dass der Verein davon in Zukunft profitieren wird – auch bei der ersten Mannschaft.

Was muss für ein solches Leistungszentrum getan werden?

Wir werden die medizinische Versorgung verbessern und die ohnehin schon hohe Qualität bei den Trainern weiter erhöhen. Um als Leistungszentrum vom DFB anerkannt zu werden, benötigen wir im Jugendbereich einen hauptamtlichen Fußball-Lehrer. Außerdem werden wir eine einheitliche Ausbildungsphilosophie schriftlich fixieren. Dazu gehört für uns zwingend, dass die Spieler sportliche und soziale Verantwortung lernen sollen – für sich selbst und Andere. So wie im Leben auch. Wir arbeiten bereits mit einem Sportpsychologen zusammen. Und die Spieler sagen, dass ihnen die Konzentrationsarbeit sogar in der Schule hilft.

Aber das machen doch auch alle Profi-Klubs. Wie will sich Rot-Weiss abheben?

Wir wollen und werden einige Dinge anders machen und vor allem nicht nach dem Prinzip des dicken Portemonnaies leben. Nur wenn wir unseren eigenen Weg gehen, haben wir eine Chance, da die wirtschaftlichen Möglichkeiten bei unseren Nachbarn auf Jahre besser sein werden.

Wir sehen die Pläne für die erste Mannschaft aus?

Es müssen auch dort die Rahmenbedingungen geschaffen werden, um unter professionellen Bedingungen arbeiten zu können. Dazu gehört natürlich zunächst ein hauptamtlicher Trainer.

Schon in der laufenden Winterpause wurde nach Verstärkungen gefragt. Dieser Wunsch könnte zur nächsten Saison noch nachdrücklicher werden.

Wir wollen uns natürlich immer verstärken. Und wir wollen natürlich auch jedes Spiel gewinnen. Aber noch einmal: Der wirtschaftliche Rahmen muss passen. Wir werden daran arbeiten, in die 3. Liga aufzusteigen. Wann das passiert, kann man aber nicht festlegen wie in einem Fünfjahresplan, den es hier ja auch mal gegeben hat. Und RWE hat die These doch selbst widerlegt, dass man Erfolg kaufen kann. Geld macht ihn wahrscheinlicher. Es gibt aber auch genug Beispiele, wo Vereine, die viel mehr Geld als die Konkurrenz besaßen, gescheitert sind.

Aber, um aus der 4. Liga herauszukommen, um sich gegen die U23 Teams der Bundesliga-Klubs zu behaupten, muss man wohl oder übel investieren, oder?

Uns ist klar, dass man es nicht nur mit „jungen“ Spielern schaffen kann. Man braucht erfahrene Führungsspieler. Aber Qualität und Erfahrung ist nicht unbedingt immer eine Frage des Alters. Man muss sicherlich investieren, aber es wäre zu eindimensional gedacht, wenn man darin eine Garantie sähe. Man muss auch die Mitbewerber sehen, ob da nicht jemand darunter ist, der das Doppelte oder Dreifache ausgibt. Wir wollen eine Mannschaft aufbauen, sie Schritt für Schritt verstärken. Ein Team, das wächst, hat deutlich größere Chancen auf Dauer erfolgreich zu sein, als eines, das mit dem Scheckbuch zusammengestellt worden ist.