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Der Essener Holger Röthig startet beim verrücktesten Radrennen der Welt. Er fliegt am Mittwoch nach Kalifornien und startet von dort zum „Race across America“.

Eins wird Holger Röthig in den kommenden Tagen nicht spüren: Radlosigkeit. Der Essener fliegt am Mittwoch nach Kalifornien und startet von dort zum „Race across America“, dem verrückteste Radrennen der Welt. Für die 4835 Kilometer von San Diego an der Westküste der USA bis nach Annapolis in Maryland an der Ostküste haben Röthig und die 29 anderen Starter zwölf Tage Zeit. Wer es in dieser Zeit nicht schafft, der hat verloren.

Ein paar Fakten, um die Dimension des Rennens zu verdeutlichen: Jeden Tag 20 Stunden im Sattel, von morgens um vier bis Mitternacht. Dann zwei Stunden Massage, zwei Stunden Schlaf, und weiter. „Du bist irgendwann so müde, dass du Dinge auf der Straße siehst, die da definitiv nicht sind“, beschreibt Röthig seine Erfahrungen aus der Vorbereitung.

Qualifiziert hat er sich in Kanada bei einem Rennen über 1200 Kilometer, die er in 65 Stunden schaffen musste. Nach 58 Stunden rollte er durchs Ziel.

„Barfuß oder Lackschuh“

Oder die Ernährung, noch so eine Verrückheit. An jedem Tag des Rennens braucht der 40-Jährige 12.000 bis 14.000 Kalorien. „Essen kannst du das alles gar nicht“, sagt er. Also Flüssignahrung. Eine Gemisch aus Zucker, Eiweiß und Fett. „Schmeckt nicht“, meint er. „Aber ohne Sprit im Tank geht es eben nicht.“

Wie kommt jemand auf die Idee, so ein Rennen durchhalten zu können?

„Ganz leicht zu erklären“, antwortet Röthig. „Bei der Fußball-WM 2006 in Deutschland habe ich mir eine Menge Spiele angesehen und so gut wie keinen Sport gemacht.“ Danach hat er sich mit seinen Freunden zum Radfahren getroffen. „Ich war platt, die haben mir das Hinterrad gezeigt.“

Das geht für Röthig überhaupt nicht, er ist ehrgeizig und nahm sich zum Training den Langstrecken-Klassiker Paris-Brest-Paris vor. 1200 Kilometer bei 13 Grad. 50 Kilometer vor Paris dachte er: Schluss! Aber er hielt durch. „Barfuß oder Lackschuh“, nennt er das im Rückblick.

Mit den Maßstäben eines normalen Sportlers ist seine Leistung nicht zu messen. „Der liebe Gott war gnädig und hat mir Talent mitgegeben.“ Quer durch die USA fährt er nicht nach Tacho, sondern nach Watt-Zahlen. Im Schnitt tritt er 210 Watt, dabei schlägt sein Puls nach ein paar Stunden lediglich einhundert Mal in der Minute. Unglaublich, aber die Mücke wird nie den Flug des Adlers verstehen.

Es gibt 51 Kontrollpunkte

Geld verdient Röthig, der eine Event-Agentur betreibt, mit seinem Sport nicht. Im Gegenteil. „Irgendwie sieht es so aus, als würde ich eher Geld verbrennen“, lacht er. Das Projekt USA kostet ihn rund 35.000 Euro, er hat acht Betreuer dabei.

Nicht zuletzt gegen die Einsamkeit. Nach dem Start der 30 Rad-Verrückten trennen sich die Wege. Jeder fährt so schnell und soviele Stunden, wie er kann. Möglicherweise wird der 40-Jährige auf den fast 5000 Kilometern gar keinen anderen Fahrer mehr sehen. Es gibt lediglich 51 Kontrollpunkte, an denen die Zeit genommen wird.

„Deshalb fährt immer ein Auto der Betreuer hinter mir her“, so Röthig. „Sonst sieht mich mal ein Truckfahrer auf dem Highway nicht und mangelt mich einfach über.“

Eine andere Gefahr ist das Wetter. In der Mojavo-Wüste wird es bis zu 50 Grad heiß. Röthig wird trotzdem im langärmeligen Trikot fahren. Sonst habe ich ruckzuck einen üblen Sonnenbrand und kann vor Schmerzen nicht mehr auf dem Rad sitzen.“ Das Gegenteil erwartet ihn in den Rocky Mountains: Eine Höhe von 3300 Metern, oben kann noch Schnee liegen. Vielleicht wartet auch noch der ein oder andere Bär auf ihn.

Eigenwilliger Urlaub

Röthigs Ziel heißt Ankommen. Das Rennen gibt es seit 1983 und bisher haben es gerade mal 200 Menschen geschafft, innerhalb der zwölf Tage das Ziel zu erreichen. „Weniger Leute als den Mount Everest bezwungen haben“, so der Essener.

Also ankommen, und dann Urlaub. Doch auch davon hat er eine eigenwillige Vorstellung. Zwei Wochen nach dem US-Rennen gibt es in Bulgarien ein 1000-km-Rennen. „Ich denke, da fahre ich mal mit“, sagt Röthig.