Essen. Beim Bundesliga-Vierten legt man auch viel Wert auf die Ausbildung der Spielerinnen. Das Beispiel Lily Reimöller zeigt die Wichtigkeit.
Es war seine erste Ansprache der Saison. Doch schon damals hatte Trainer Markus Högner eine Ahnung, wohin die Reise des Frauenfußball-Bundesligisten SGS Essen führen würde. „Wir schaffen die Überraschung“, frohlockte der 56-Jährige. Was er damals nur auf den Auftakt gegen den Champions-League-Aspiranten Eintracht Frankfurt bezog, galt für die gesamte Spielzeit. Denn mit dem mitunter prognostizierten Abstiegskampf hatten die Essenerinnen nichts zu tun. So war der 2:0-Erfolg über die Eintracht nur der erste von vielen Höhepunkten, die der SGS einen sensationellen vierten Platz bescherten und sie ins Halbfinale des DFB-Pokals führten.
Nie war die SGS besser in 20 Jahren Erstliga-Zugehörigkeit
Nie zuvor schnitt die SGS in ihren 20 Jahren Erstliga-Zugehörigkeit besser ab. Und dabei stellt die abgelaufene Spielzeit sogar die Saison 2018/19 in den Schatten. Damals wurden die Essenerinnen zwar ebenfalls Vierter, doch angesichts des damaligen Kaders war das wenig überraschend. In Lea Schüller, Linda Dallmann, Lena Oberdorf und Marina Hegering liefen allein vier Spielerinnen in lila-weiß auf, die mittlerweile bei den Top-Klubs FC Bayern oder dem VfL Wolfsburg kicken. Diesmal überzeugte die SGS als Kollektiv. „Ich bin stolz auf die Mannschaft“, erklärt Högner.
Dabei hatte er seiner Elf nicht nur am ersten Spieltag viel zugetraut. „Ich hatte schon das Gefühl, dass wir schnell die 20 Punkte erreichen können.“ Die nämlich sind Jahr für Jahr gleichbedeutend mit dem Klassenerhalt. Dabei folgte auf den ersten Höhepunkt gleich ein kleiner Tiefschlag: Die SGS verlor gegen Aufsteiger RB Leipzig und musste sich anschließend auch dem FC Bayern beugen. „Aber uns hat die ganze Saison ausgezeichnet, dass wir nach Niederlagen immer direkt wieder aufgestanden sind“, sagt Högner, der in dem Spiel gegen Leverkusen einen Wendepunkt erkennt.
„Wir haben dort zwar nur 0:0 gespielt, dabei aber voll überzeugt. Ich habe gesehen, dass die Mannschaft den nächsten Schritt gemacht hat.“ Und das bekam die TSG Hoffenheim zu spüren, die als Champions-League-Anwärter im eigenen Stadion gegen die Essenerinnen unterging (0:3). „Das war definitiv ein Höhepunkt in dieser Saison“, findet Högner, für den die defensive Stabilität der Schlüssel zum Erfolg war: Neun Mal spielte die SGS zu null und war zudem offensiv variabel. „Unsere Tore haben wir auf verschiedene Spielerinnen verteilt.“
Ramona Maier traf sechs Mal, es folgen Laureta Elmazi und Annalena Rieke mit je fünf Treffern. Beste Schützin war allerdings Natasha Kowalski, die sieben Mal einnetzte und dazu noch neun Tore auflegte. Damit gehört sie ligaweit zu den Spielerinnen mit den meisten Scorerpunkten. Auch im Pokal begann eine Erfolgsgeschichte. „Eigentlich war die ganze Reise ein Höhepunkt. Gegen den VfL Bochum, den 1. FC Köln und Bayer Leverkusen haben wir super Spiele gemacht und Lob von allen Seiten bekommen“, erinnert sich der Trainer.
Im Pokal-Halbfinale setzte es mit 0:9 den Tiefschlag
Im Halbfinale setzte es beim VfL Wolfsburg aber den wohl größten Tiefschlag. Mit 0:9 kamen die Essenerinnen unter die Räder. Die Reaktion folgte postwendend: In den folgenden sieben Spielen blieb Schönebeck ungeschlagen und schob sich vor auf Platz vier. „Wir haben es in der Rückrunde geschafft, unsere Leistungen nicht nur zu bestätigen, wir haben uns sogar leicht verbessert“, lobt Högner. Von einer Genugtuung möchte er dabei nicht sprechen. Auch wenn es ihm missfällt, dass der SGS als Ausbildungsverein immer wieder eine düstere Zukunft in der Eliteliga vorhergesagt wird.
„Ich kann doch nicht eine 16-Jährige zum Voll-Profi erklären. Als Verein haben wir die Verpflichtung, Spielerinnen bei einer soliden Ausbildung zu unterstützen. Wir haben gezeigt, dass das machbar ist. Die Wahrheit liegt auf dem Platz.“ Und dort kann die SGS mit Klubs konkurrieren, die einen millionenschweren Lizenz-Verein im Rücken haben. „Oft wird Professionalität falsch eingeschätzt. Ich muss nicht mit 18 Tablets am Spielfeldrand sitzen. Die einfachen Dinge sind entscheidend: Fitness, Technik, Ernährung und Schlaf.“ Und dort biete die SGS professionelle Bedingungen.
Das Schicksal Reimöllers berührte Trainer Högner
Wie wichtig eine Ausbildung neben dem Fußball ist, zeigt das Beispiel Lily Reimöller, die sich nach einer Knieverletzung gerade zurückgekämpft hatte, ehe ihr erneut das Kreuzband riss. Nach ihrer bereits siebten Knie-Op beendete die U17-Europameisterin von 2022 mit gerade 19 Jahren ihre Karriere. „Das hat mich total berührt“, erklärt Högner. „Lily ist mit ihrer Persönlichkeitsstruktur prädestiniert für eine Führungsrolle. Aber leider spielt der Körper nicht mit.“ Nur gut, dass sie nicht alles auf die Karte Fußball gesetzt hat, sondern parallel ihr Abitur baut.
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