Essen. 65 Jahre ist es her, als Essen Fußball-Geschichte schrieb: In Hannover kürte sich RWE zum Deutschen Meister. Ein Spieler war der Held des Tages.

Es läuft die 85. Minute an diesem 26. Juni 1955, als Franz Islacker seine letzten Reserven mobilisiert. Genau wie Torhüter Fritz Herkenrath ist der Stürmer der Essener Rot-Weissen angeschlagen, mit pochendem Knie humpelt er nur noch übers Feld. 3:3 steht es zu diesem Zeitpunkt im Endspiel um die Deutsche Fußball-Meisterschaft zwischen RWE und dem 1. FC Kaiserslautern. „Penny“ hat bereits zwei Treffer für die Mannschaft von Trainer Fritz Szepan erzielt – dann wird er endgültig zum Helden von Hannover.

Ein Kopfball für die Geschichtsbücher

Über 80.0000 Zuschauer im Niedersachsen-Stadion, davon mindestens die Hälfte aus dem Revier, werden Augenzeuge eines erneuten kleinen Fußball-Wunders.

Knapp ein Jahr nach dem „Wunder von Bern“ holt der Westmeister die Schale in den Pott. Statt „Rahn müsste schießen“ heißt es diesmal: „Penny fliegt heran“. „Berni“ Termath schickt eine schöne Flanke vor das Tor der „Roten Teufel“, Islacker setzt zum Flugkopfball an und der Ball landet im Netz von FCK-Keeper Willi Hölz.

RWE-Kapitän August Gottschalk präsentiert die Schale.
RWE-Kapitän August Gottschalk präsentiert die Schale. © dpa Picture-Alliance / powerplay/Schirner

Der Rest ist rot-weisser Freudentaumel. Das Essener Team um Kapitän August Gottschalk bringt die letzten Minuten sicher über die Zeit, ehe Schiedsrichter Meißner die Partie abpfeift. Rot-Weiss Essen ist Deutscher Meister, und zwar als erster Verein aus dem Westen seit Wiederbeginn des Spielbetriebs nach dem Zweiten Weltkrieg.

Während sich die Lauterer noch über eine angebliche Abseitsstellung beim entscheidenden Treffer mokieren und Weltmeister Fritz Walter einige seiner Mitspieler erst zum fairen Gratulieren bewegen muss, brechen unter den RWE-Fans im Stadion alle Dämme. Tausende stürmen friedlich den Rasen und lassen ihre Helden hochleben – allen voran natürlich den Dreifach-Torschützen „Penny“ Islacker.

RWE-Fan Paul Werner war mit dem Zug zum Endspiel in Hannover gereist. Hier seine Eintrittskarten.
RWE-Fan Paul Werner war mit dem Zug zum Endspiel in Hannover gereist. Hier seine Eintrittskarten. © Paul Werner

„Vor der Tribüne stand zwischen der Mannschaft, mit dem Schlapphut auf dem Kopf, der Vater des Vereins, Direktor Georg Melches. Für ihn und die elf Spieler im rot-weissen Dress brachte dieses Finale die Erfüllung eines Wunschtraumes und das Erreichen eines mit aller Energie über Jahre verfolgten Ziels“, schreibt tags darauf die NRZ über den Essener Triumph. Und der RWE-Patriarch Melches selbst wird so zitiert: „Es ist der schönste Tag meines Wirkens als Vereinsvorstand.“

Einen Tag später erleben die Essener Fußball-Helden in ihrer Heimat einen überwältigenden Empfang. Es scheint so, als sei die ganze Stadt auf den Beinen, als die Spieler und Trainer Szepan um 16.33 Uhr mit dem Zug am Hauptbahnhof ankommen. Mindestens 100.000 Menschen bevölkern die Straßen – für alle, die dabei sind, werden es unvergessliche Momente bleiben.

Begeistert wurde der neue Deutsche Meister in der Heimatstadt Essen empfangen..
Begeistert wurde der neue Deutsche Meister in der Heimatstadt Essen empfangen.. © picture alliance | dpa

So spielten sie:

Endspiel um die Deutsche Meisterschaft, 26. Juni 1955:

Rot-Weiss Essen:Herkenrath – Jänisch, Köchling – Jahnel, Wewers, Grewer – Rahn, Islacker, Gottschalk, Röhrig, Termath. Trainer: Szepan

1. FC Kaiserslautern: Hölz – Baßler, Kohlmeyer – Mangold, Liebrich, Render – Scheffler, Fritz Walter, Eckel, Wenzel, Wanger. Trainer: Schneider

Schiedsrichter: Meißner (Nürnberg)

Tore: 0:1 Wenzel (11.), 1:1 Islacker (18.), 2:1 Röhrig (27.), 3:1 Islacker (43.), 3:2 Wenzel (56.), 3:3 Baßler (72., Elfmeter), 4:3 Islacker (85.).

Zuschauer: 76.000 im Niedersachsen-Stadion, Hannover.