Essen. Aus dem Essener Sportinternat waren wieder zahlreiche Talente bei internationalen Titelkämpfe. Leistungssport und Pädagogik auf Augenhöhe.
Auf dem Flur des Sportinternats ist längst wieder Leben eingekehrt. Die Ferien sind vorbei, und natürlich müssen die sportlichen Vorbilder von morgen genauso pauken wie alle anderen Schüler auch, damit was aus ihnen wird. Der Leistungssport ist die eine Seite, doch ohne Schule läuft in Essen nichts für die ehrgeizigen Talente, die auf dem beschwerlichen Weg zu Ruhm und Ehre an der Rosastraße in Rüttenscheid Quartier bezogen haben. Duale Karriere nennen sie es dort.
Einrichtung in Rüttenscheid schreibt Erfolgsgeschichte
„Es ist eine Erfolgsgeschichte“, sagt Horst Melzer auf dem Weg in sein Büro. Der ehemalige Schulsportreferent der Stadt Essen ist zwar schon seit vier Jahren Pensionär, aber den Geschäftsführer im Internat wird er sicher noch ein paar Jahre geben. Das Internat ist sein Baby, das 2007 aus der Taufe gehoben und von ihm großgezogen wurde. „Das hier ist einmalig“, sagt Horst Melzer.
Muss er ja auch als Initiator und Hausherr. Gleichwohl - es stimmt. Nirgendwo in Deutschland gibt es ein Internat, das Sport und Tanz unter einem Dach beherbergt. Kanu, Schwimmen und Rudern sind zwar die Kerndisziplinen, doch dazu kommen Ballett und klassischer Tanz. Exotisch ist das schon. Aber Grazie, Anmut und Titelhatz passen sehr wohl zusammen. „Auch Tänzer müssen bis zu 20 Stunden in der Woche trainieren“, sagt Melzer.
Kein Vier-Sterne-Hotel, aber auch keine kühle Talentschmiede
Das Internat ist kein Vier-Sterne-Hotel, aber auch keine kühle Talentschmiede, die eine Aura der Verbissenheit hat. Es herrscht eine eher familiäre Atmosphäre, aber Disziplin muss sein. Die Sportarten sind unterschiedlich, aber die Bewohner sitzen ja alle im gleichen Boot: Trainieren, Schule, trainieren, schlafen.
Melzer nutzt jede Gelegenheit, um für diese Einrichtung zu werben. Jüngst hatte Michael Wolf, Schulleiter der Elsa-Brändström-Realschule, sämtliche 35 Kollegen der Sportschulen in NRW zum Gedankenaustausch eingeladen. Sie trafen sich im Essener Internat in Rüttenscheid und haben anschließend nicht mit Anerkennung gespart.
Argumentation überzeugt Entscheider
„Ich bin der Stadt wirklich dankbar, dass sie diese Einrichtung möglich gemacht hat“, sagt Melzer. Nun ja, das gleiche könnte auch die Stadt von Herrn Melzer behaupten. Denn der hatte einst zwei Jahre lang bei den Verantwortlichen gebohrt, hatte die Leitidee von einer dualen Ausbildung vermittelt, bei der sich Pädagogik und Leistungssport auf Augenhöhe begegnen. Die Argumentation überzeugte die Entscheider: 2007 wurde das Internat eröffnet. Im Oktober geht der Betrieb ins 13. Jahr.
Seither hat das Haus eine Menge Top-Sportler hervorgebracht. Der Kanute Max Rendschmidt von der KG Essen hat dort acht Jahre lang gelebt, ist zweimaliger Olympiasieger und gerade eben wieder Weltmeister geworden. Auch Jakob Schneider vom Ruderklub am Baldeneysee wohnte dort, er gewann vor anderthalb Wochen im Deutschland-Achter zum dritten Mal in Folge WM-Gold.
Oder die Schwimmerin Lisa Höpink, die in diesem Jahr Silber und Bronze bei der Universiade (Welt-Studenten-Spiele) holte. „In unseren Kerndisziplinen waren in diesem Jahr etwa 20 Athleten bei Junioren-EM bzw. -WM. Und sie waren dort auch erfolgreich“, sagt Melzer.
51 Betten hat das Internat und wie gewohnt ist es auch in diesem Schuljahr ausgebucht. Rund 60 Jungen und Mädchen kommen täglich noch dazu, die dort nicht nächtigen, aber im Rahmen des Teilzeitinternats zu Mittag essen und unter qualifizierter Aufsicht ihre Hausaufgaben erledigen. Die Nachfrage übersteigt bei weitem die Kapazität. Kein Wunder, denn der Ruf ist exzellent: Das Verbundsystem „Eliteschule des Sports“ umfasst drei Bereiche: Internat, die Partnerschulen Helmholtz-Gymnasium, Gymnasium Werden und Elsa-Brändström-Realschule sowie die Trainingsstätten mit dem Bundesstützpunkt Schwimmen (Leistungszentrum Rüttenscheid), Rudern und Kanu (Baldeneysee).
Betreuung professioneller geworden
Die Betreuung ist professioneller geworden. Das Internat bietet nicht nur Vollpension und pädagogischen Beistand, sondern auch Physiotherapie und in Kooperation mit der Deutschen Sporthochschule in Köln eine psychologische Betreuung der Talente. 2015 wählte der Deutschen Olympische Sportbund unter den 43 Eliteschulen in Deutschland den Standort Essen aus und adelte ihn als „Eliteschule des Jahres“.
„Die Hilfe muss da sein, wo der Sport stattfindet“, schmettert Melzer den nächsten Slogan. „Das Training wird immer umfangreicher und dann noch die Schule - wir sind dafür da, dass das funktioniert. Bisher haben uns noch alle mit einem qualifizierten Schulabschluss verlassen, normalerweise mit dem Abitur in der Tasche. Wir wollen jedenfalls keine Sozialfälle hinterlassen.“