Der Vorsitzende des Essener Sportbundes sieht die Stadt grundsätzlich gut aufgestellt. Marode Trainingsstätten geben ihm Anlass zur Sorge.

Herr Rohrberg, wie sportlich ist die Stadt Essen?
Wolfgang Rohrberg: Bei uns im Sportbund als Dachorganisation sind ungefähr 130 000 Menschen aus dieser Stadt in rund 500 Vereinen organisiert. Wir schätzen, dass ungefähr mehr als die Hälfte der Essener sportlich aktiv sind. Sei es in einem Sportverein, bei einem privaten Anbieter oder für sich selbst ohne irgendeine Anbindung. Da jetzt eine Linie zu ziehen, wie viele wirklich aktiv sind, ist schwierig. Grundsätzlich sehe ich uns aber ganz gut aufgestellt.

Der Stadtsportbund soll als Dachorganisation alle Vereine unterstützen. Was bedeutet das für die tägliche Arbeit und die Balance zwischen Breiten- und Spitzensport?
Wir kümmern uns in der täglichen Arbeit um alles an Problemen, was bei uns von Seiten der Vereine aufläuft. Egal, ob es ein kleiner Tennisverein ist, oder ob ein großer Verein wie Tusem Probleme hat. Als die Handballer von einem auf den anderen Tag Schwierigkeiten hatten, haben wir uns auch engagiert. Wir haben an den Ministerpräsidenten und den Verband geschrieben und um Hilfe gebeten. Allerdings lassen wir bei den Profivereinen schon eher die Vereine machen. Wir helfen dann da, wo wir können. Zum Beispiel auf örtlicher politischer Ebene. Eben so weit unser Einfluss da geht. Wie muss man sich die Hilfe bei kleineren Vereinen vorstellen?
Wenn uns ein Verein um Hilfe bittet, weil deren Sportstätte nicht in Ordnung ist, bemühen wir uns, da Lösungen zu finden. Oder jetzt aktuell sind viele Fragen zum Thema Datenschutz zu klären. Wir wollen für den organisierten Sport hier die besten Rahmenbedingungen schaffen. Da geht es vor allem um infrastrukturelle Fragen. Bei Fragen zum Spielbetrieb sind wir dann raus, da sind die Fachverbände die Ansprechpartner. Auch wenn ich mich häufig über die Verbände aufregen kann.

Warum?
Nehmen sie einfach die Linierungen in Turnhallen. Plötzlich kommt der – sagen wir mal – Volleyballverband auf die Idee, wir müssen die Linien weiter nach innen ziehen, damit das Spiel schneller wird. Da müsste man dann an jede Halle gehen. Es fragt sich aber niemand, wer das bezahlen soll. Obwohl es mit sanierungsbedürftigen Umkleidekabinen oder Duschen viel dringendere Probleme gäbe. Die, die oben entscheiden, sind oft nicht mit dem Ohr bei der Basis.

Wie viele Sportstätten hat Essen denn?
Es gibt rund 60 Außensportanlagen, auf denen zum Beispiel Fußball oder Leichtathletik betrieben wird. Dazu kommen rund 180 Turn- und Sporthallen sowie 13 Bäder. Es gibt aber auch noch die Regattastrecke am Baldeneysee, die Eissporthalle oder die Rollsporthalle der Rockets. Überdies mehr als 160 vereinseigene Sportstätten, z.B. Anlagen der Ruder-, Segel- und Kanuvereine. Reicht das aus?

© Tom Schulte

Das ist eine Frage, der ich teilweise etwas gespalten gegenüber stehe. Noch ein Beispiel: Wir haben die Infrastruktur im Fußball in den letzten zehn Jahren um etwa 30 Prozent zurückgebaut. Auch weil sich das Sportverhalten der Menschen ändert. Wir sind damals mit den Vereinen ins Gespräch gegangen. Viele hatten ihre eigene Anlage, aber nicht mehr genug Mannschaften geschweige denn ehrenamtliche Helfer. Viele der Anlagen waren Ascheplätze. In der Zeit wurde Kunstrasen immer beliebter. Also haben wir gefragt, ob benachbarte Vereine es sich vorstellen könnten, sich zusammenzutun und eine wirklich gute Anlage zu benutzen. Fusionen waren erstmal zweitrangig.

Die Reaktionen waren zunächst verhalten.
Zunächst sind wir belächelt worden, aber mittlerweile ist es ein Erfolgsrezept. Wir haben inzwischen über 40 Kunstrasenplätze in Essen. Es ist nicht einfach, die Leute zu überzeugen, ihre traditionsreiche Anlage aufzugeben. Aber selbst die Sportfreunde Katernberg sind nun vom Lindenbruch an die Meerbruchstraße gewechselt. Dort ist die Anlage auf dem neuesten Stand. Heute will niemand mehr auf Asche spielen. Da, wo Kunstrasen ist, ist neues Vereinsleben entstanden. Wer noch keinen Kunstrasen hat oder sich dagegen entschieden hat, sich mit einem Nachbarverein zu organisieren, hat ernsthafte Probleme.


Und was ist mit den Sporthallen?
Da besteht aus unserer Sicht erheblicher Nachholbedarf, weshalb das Thema bei uns ganz oben steht. Es gibt so viele marode Einrichtungen, da muss in den nächsten Jahren dringend saniert werden. Es gibt Turnhallen, wo seit zwei oder drei Jahren die Duschen nicht mehr nutzbar sind. Wie zum Beispiel an der Prinzenstraße. Da haben die Frauen des VC Borbeck Volleyball in der 2. Bundesliga gespielt. Die Gegnerinnen kommen dann aus halb Deutschland, müssen aber nach dem Spiel wieder ungeduscht ins Auto. Mittlerweile hat man denen das Leistungszentrum aberkannt, weil die Rahmenbedingungen nicht mehr stimmen und dann geht irgendwann die Abwärtsspirale los. Bei mindestens 60 bis 70 Hallen haben uns die Vereine von katastrophalen oder schlechten Zuständen berichtet.

Das kostet aber natürlich auch alles Geld.
Es sind Gespräche mit Politik und Stadtverwaltung für ein Konzept geplant. Wir reden da – und das muss ich so klar sagen – ja nicht nur über Sporträume. So eine Turnhalle ist auch ein Klassenraum, in dem verbindlicher Sportunterricht stattfindet, der zur Ausbildung unserer Schüler gehört. Der ist aus unserer Sicht in manchen Teilen ebenfalls nicht durchführbar. Wenn ein Physikraum oder Biologieraum nicht funktioniert, wird auch schneller nach Lösungen gesucht.

Das Sportverhalten hat sich verändert. Fürchten Sie, dass das Vereinsleben irgendwann ausstirbt?
Das glaube ich nicht. Ich mache aber keinen Hehl daraus, dass ich etwas Sorgen habe, was die Anzahl an Ehrenamtlern betrifft. Es muss nun mal auch Leute geben, die die Kasse machen, den Vorstand führen oder den Kindern etwas beibringen. Ein funktionierendes Vereinswesen ist zu wichtig. Der Sport ist die größte Bildungseinrichtung. Er vermittelt so viel und das ist ein echtes Pfund in der Gesellschaft. Man kommt mit Leuten zusammen, mit denen man sich sonst womöglich nicht unterhalten würde. In einem Fitnessstudio für 9,90 Euro habe ich das nicht.

Es wird immer wieder diskutiert und bemängelt, dass der Nachwuchs unsportlicher wird. Wie sieht es in der Hinsicht in der Stadt Essen aus?
Es gibt wissenschaftliche Untersuchungen, dass in Essen bei Kindern ein sehr starkes Nord-Süd-Gefälle existiert. In den Gebieten, wo die Leute nicht ganz so gut situiert sind, haben auch die Kinder größere motorische Probleme. Es ist wirklich so, dass Kinder in der Grundschule teilweise nicht mehr rückwärts laufen können. Wenn ein Kind Probleme hat, wollen wir auch in Zusammenarbeit mit den Vereinen dazu raten, dass das Kind mal einen Verein in der Nachbarschaft besuchen soll. Aber wir können die Eltern natürlich nur bitten, nicht zwingen. Es gibt bei uns über die Uni Essen aber auch sogenannte „Open Sunday“-Veranstaltungen, wo Kinder sich gemeinsam sportlich betätigen können. Die werden auch hervorragend angenommen.


Der Spagat zwischen Breiten- und Spitzensport wurde bereits angesprochen. Inwieweit ist es wichtig, dass eine Stadt wie Essen ihre Aushängeschilder hat?
Man braucht die Spitze, um die Breite zu animieren. Aber umgekehrt kriege ich ohne Breite natürlich auch keine Spitze. Wenn ich keine Basis an jungen Talenten habe, werde ich nie eine Nationalmannschaft zusammenbekommen. Andererseits sieht man es aber auch immer wieder: Wenn in einer Sportart eine Weltmeisterschaft stattfindet, haben die regionalen Vereine regelmäßig einen Zulauf. Ob der nachhaltig ist, ist eine andere Frage. Sobald etwas mediengerecht aufbereitet wird, gibt es Kinder, die sagen: Das will ich auch machen! Es ist also letztlich ein Abhängigkeitsverhältnis.

Welche Ziele setzen Sie sich für die kommenden Jahre im Essener Sportbund?
Die Turn- und Sporthallenproblematik steht für uns an oberster Stelle. Wenn wir da keine vernünftige Infrastruktur haben, werden uns die Vereine unten womöglich zusammenbrechen. Persönlich wünsche ich mir auch, dass wir unsere Angebote für ältere Menschen weiter ausdehnen. Ein Kollege hatte vor einiger Zeit die hervorragende Idee eines Kurses „Richtig stürzen“. Denn zu fallen und sich dadurch die Knochen zu brechen, ist eine der größten Gefahren im Alter. Dafür benötigt man auch eine gewisse Kraft. Deshalb wollen wir diese Menschen auch weiter vermehrt zum Sport führen.