Nach über 200 Spielen und fast 100 Toren verabschiedet sich die Stürmerin von der SGS Essen. „Die Zeit ist gekommen“, so die 31-Jährige.
203 Spiele und fast 100 Tore in der Frauenfußball-Bundesliga: Charline Hartmann ist bei der SGS Essen die Frau der Rekorde. Gegen den SC Sand hatte sie kürzlich gerundet. „Willi Wißing hatte mich beim Frühstück im Hotel informiert, sonst hätte ich es gar nicht gewusst“, erzählt sie.
Stolz ist sie aber natürlich auf die lange Zeit in Schönebeck. „Körperlich würde ich bestimmt auch noch 250 Spiele voll kriegen.“ Aber dazu wird es nicht kommen: Die Angreiferin bestreitet am Sonntag (14 Uhr, Hafenstr.) gegen Bayer Leverkusen ihr letztes Heimspiel für die SGS.
Der Aufwand war für den Ertrag zu groß
„Die Zeit ist gekommen“, erklärt die 31-Jährige, die ihren auslaufenden Vertrag an der Ardelhütte nicht verlängern wird. Berufliche Gründe waren für sie, die sich für die Entscheidung viel Zeit gelassen hat, ausschlaggebend: „Mir ist das Gehetze nach der Arbeit zu stressig. Nach Feierabend habe ich zehn Minuten, um mich umzuziehen, bevor ich zum Training muss. Und das jeden Tag.“ Der Aufwand sei zu groß, der Ertrag im Verhältnis zu niedrig.
Hartmann wohnt in Anrath und arbeitet im ansässigen Kfz-Betrieb ihres Vaters. 70 Kilometer für die einfache Strecke sind der gelernten Bürokauffrau auf Dauer zu viel. Dabei hätte sie ihr Vater durchaus weiter unterstützt. „Schon jetzt habe ich jeden Tag eine Stunde früher Feierabend gemacht, um pünktlich zum Training zu kommen.“ Leicht ist ihr der Entschluss aber nicht gefallen: „Für die SGS schlägt mein Herz. Der Verein ist sehr ehrlich, familiär und hat gut zu mir gepasst.“
Schönebeck verliert damit eine der verdientesten Spielerinnen, die über viele Jahre eines der prägenden Gesichter des Klubs war. Ohnehin war sie die letzte verbliebene Spielerin, die die SGS erst in die Eliteliga geschossen hat. Im Aufstiegsjahr 2004 war Hartmann nach Essen gewechselt und nach je zwei Jahren beim FCR Duisburg und 1. FC Köln an die Ardelhütte zurückgekehrt. „Das waren aber keine Entscheidungen gegen den Verein. In Essen habe ich mich immer am wohlsten gefühlt.“
Hartmann gehört noch zur alten Schule
Auch als Spielertyp wird sie der SGS fehlen. Denn Hartmann ist keine, die pfeilschnell ist und technisch perfekt geschult wurde, wie es bei dem Nachwuchs mittlerweile üblich ist. „Ich gehöre noch zur alten Schule. Ich habe noch Tore getragen, Bälle aufgepumpt und wurde angeschrien, wenn ich nicht das gemacht habe, was der Trainer wollte.“ So war es beim FC Rumeln unter Jürgen Krust ganz normal. Mit 15 und einer Sondergenehmigung gab Hartmann unter ihm ihr Bundesliga-Debüt.
„Heute ist vieles selbstverständlich geworden. Es gibt keine klaren Hierarchien mehr. Dabei ist es doch normal, dass beim Ecke-Spielen die Jungen in die Mitte gehen“, findet Hartmann. Klare, ehrliche Worte, dafür ist sie auch in der Mannschaft bekannt. Stromlinienförmig ist sie gewiss nicht. Und ihre Fähigkeit, mit ihrer robusten Art, den Ball auch gegen zwei Abwehrspielerinnen festmachen zu können, wird die SGS so schnell nicht wiederfinden.
Beim Aufstieg 2004 schon dabei
Die Doppelbelastung war Hartmann zu groß. Und hier steht die SGS tatsächlich vor einer Herausforderung. „Die Top-Klubs schaffen für ihre Spielerinnen professionelle Strukturen. Wir haben viel mehr Dinge noch neben dem Platz zu regeln. Das ist wohl auch der Grund für unsere Leistungsschwankungen in dieser Saison.“ Beim Aufstieg 2004 war Hartmann genauso dabei wie beim Umzug ins Stadion Essen und dem Pokalfinale 2014. Den nächsten Entwicklungsschritt muss die SGS aber ohne sie in Angriff nehmen.