Ion Bondar (60) war einst Handball-Trainer bei Tusem Essen. Heute kümmert er sich um die Flüchtlinge in Frohnhausen.

Das Haus wird zu Weihnachten voll sein. Früher hatte das Handball-Leistungszentrum (HLZ) in Frohnhausen nur zum Wochenende Gäste. Mannschaften trafen sich zum Trainingslager, Trainer bildeten sich fort. Doch seit Sommer dieses Jahres gibt es dort für die Sportler keine Übernachtungsmöglichkeit mehr, weil die Herberge an der Raumerstraße ein Ort der Zuflucht geworden ist. Von heute auf morgen ist eine Flüchtlingsunterkunft entstanden. „Das ging alles sehr, sehr schnell“, erinnert sich Ion Bondar, der Chef des Hauses. Und damit mussten alle erst einmal klar kommen in dieser Gemeinschaft, die aus der Not geboren ist.

Ion Bondar (60) ist Sportlehrer und war einst Handball-Trainer bei Tusem Essen. Er betreute den Nachwuchs, arbeitete auch mit den Bundesliga-Profis. Als Trainer kennt er das Gefühl, wenn es mal nicht läuft wie geplant. Als Trainer musste er Menschen führen und Probleme lösen. Und das ist heute nicht anders.

Als Ion Bondar die Trainerbank räumen musste, hat man ihm die Leitung des HLZ übertragen. „Das war am 28. Mai 2008“, erinnert er sich. Gemeinsam mit Ehefrau Floarea (58) organisiert er seither den Lehrgangsbetrieb und kümmert sich darum, dass die Jungs was zu beißen haben. Niemand konnte damals ahnen, dass aus dem leidenschaftlichen Handballtrainer ein engagierter Sozialarbeiter werden würde, der mit seiner Familie und 59 Flüchtlingen seit einem halben unter einem Dach lebt.

Das Haus wirkt zur Mittagszeit wie ausgestorben. Die Parkplätze sind leer, mitten auf dem Vorplatz stehen rund 30 Fahrräder und Roller herum, aber niemand, der sie nutzen könnte. Im Foyer ziert ein Tannenbaum den Eingang – nicht gerade eine Edeltanne... Davor ein Kickertisch. In einer Ecke sitzt ein Vater mit Sohn vor einem Brettspiel. In der Küche steht Ion Bondar am Herd. „Ich koche selbst und es schmeckt, sagen die Leute. Auf jeden Fall muss alles frisch sein“, betont der Chef de Cuisine. Bohnen mit Putenfleisch und Reis stehen heute auf dem Plan, dazu Salat und ein Eis zum Dessert. Dass kein Schweinefleisch auf den Tisch kommt, ist selbstverständlich.

„Nein“, schüttelt Ion Bondar den Kopf, „die Arbeit hier ist nicht schwer. Aber manchmal schon ein bisschen stressig.“ Am Anfang mehr als heute. Die Flüchtlinge stammen überwiegend aus Syrien und dem Irak, der Rest kommt aus Albanien, Ägypten, Algerien, Marokko und Afghanistan. „Anfangs war die schon ein bisschen schwierig, da hatten sie alle noch Vorurteile, waren sehr vorsichtig und misstrauisch.“ Natürlich gab es Ärger, auch mal handfesten Streit. Über ganz banale Dinge wie die Zahl der Wäscheleinen. „Dann bin ich dazwischen und hab’ gesagt: Stop! Wir lösen das. Und dann war wieder Ruhe“, erzählt Bondar. „Wir schauen halt, dass wir zurechtkommen.“

Dieser Mann weiß, wie das ist, wenn man sich in einem fremden Land zurechtfinden muss. 1987 kam Bondar aus Rumänien, wo er in einem Touristenhotel am Schwarzen Meer gearbeitet hatte, nach Deutschland, um sich eine neue Existenz aufzubauen. „Das war aber etwas ganz anderes“, winkt er ab. „Man hat mir sofort einen Job angeboten, auch weil Rumänien im Welthandball noch was zählte.“

Rahmenbedingungen stimmen

Die Flüchtlinge in Frohnhausen haben keine Referenzen. Die Verständigung war schwierig, aber irgendwie musste es gehen. Bondar hatte jedenfalls direkt nach der Ankunft vor versammelter Mannschaft klar gemacht, wie er sich das Miteinander vorstellt: in Frieden und mit gegenseitigem Respekt. Der Sport förderte den Prozess: Von den Handballern, die sich während der Lehrgänge zum Mittagessen unters Volk mischen, konnte die Neuankömmlinge ebenfalls lernen.

Das Vertrauen ist gewachsen, die Flüchtlinge wissen, dass sie sich auf Ion Bondar verlassen können. Das Miteinander funktioniert immer besser, nicht zuletzt wohl auch, weil die Rahmenbedingungen stimmen. In den Zwei- oder Vierbettzimmern ist die Privatsphäre gewahrt, das Sportgelände ist weitläufig, und Bondar schließt auch mal die Halle auf, damit sich die Gäste austoben können. Im Sommer wurde gemeinsam gegrillt. Und Sonja Ravagni, Betreuerin von der Caritas, ist ganz begeistert: „Ich finde, wir sind eine richtig große Familien geworden.“

Die Nachbarschaft trägt ebenfalls dazu bei. Gerade jetzt zu Weihnachten kommen die Leute vorbei und bringen Geschenke. „Die Hilfsbereitschaft hier ist unglaublich“, schwärmt Bondar. Der SC Phönix holt die Kinder sogar zum Fußball-Training ab. Die Kleinen haben sich schon prima eingewöhnt und „In der Weihnachtsbäckerei“ als ihr Lieblingslied entdeckt. Obwohl Muslime mit Weihnachten ja nichts am Hut haben. „Wir nehmen Rücksicht auf den Fastenmonat, und sie feiern mit uns Weihnachten“, sagt Ion Bondar, so einfach ist das manchmal. Zu Heiligabend wird ein extra langes Buffet aufgebaut. „Damit wir möglichst lange zusammensitzen können.“ Kristin Heinrichs, ebenfalls Caritas-Helferin vor Ort, glaubt, die Vorfreude zu spüren: „Sie haben mich schon gefragt, ob ich auch zur Party komme.

Status als WHV-Leistungszentrum in Gefahr

Im Leistungszentrum an der Raumerstraße ist es schon immer international zugegangen. Die Handball-Cracks aus den Niederlanden haben dort gastiert, wenn Freundschaftsspiele in der Region anstanden, die Isländer sind dann ebenfalls immer gerne gekommen. Und Bob Hanning, gebürtiger Essener und Geschäftsführer beim Bundesligisten Füchse Berlin, hat zuletzt mit seiner Jugendmannschaft in Frohnhausen übernachtet. Als der Erstligist vor zwei Jahren im DHB-Pokal beim Tusem antreten musste, schliefen die Profis ebenfalls in dieser Herberge.

Damit ist es vorerst vorbei, denn Ion Bondar, Leiter des HLZ, ist überzeugt: „Auch 2016 werden hier noch Flüchtlinge wohnen.“ Das bedeutet: Schulung ja, Übernachtung aber nicht möglich.

Was gewisse strukturelle Probleme mit sich bringt. Weil es keine verbindliche Antwort gibt, wie lange an der Raumerstraße Flüchtlinge leben werden, ist der Status gefährdet, Leistungsstützpunkt des Westdeutschen Handballverbandes (WHV) zu sein. Und das nach 40 Jahren erfolgreicher Arbeit. „Wir als Sportler stehen natürlich dazu, dass den Menschen geholfen werden muss. Das steht an erster Stelle“, betonte Heinz Volkhausen, der WHV-Vizepräsident, Mitte des Jahres, als die Flüchtlinge in Frohnhausen eingezogen sind. Und schon damals sagte er auch: „Sollte das Landesleistungszentrum über den 31.Dezember hinaus nicht zur Verfügung stehen, sehe ich keine Chance mehr für den Standort Essen.“

Alternativen gebe es bereits. „Duisburg würde uns mit offenen Armen empfangen“, sagt Volkhausen. Ihn als Essener würde der Umzug aber schmerzen: „Schließlich ist das Haus ein Aushängeschild für den Handballsport in NRW.“