Duisburg. . Der ehemalige Stürmer des MSV Duisburg hat nach seiner erfolgreichen Lungentransplantation neuen Lebensmut gefasst. „Vor acht Monaten war ich dem Tod geweiht. Jetzt ist mein Leben wieder lebenswert.“ Seitdem feiert Michael Tönnies zwei Geburtstage.
Der „Dicke“ muss nicht lange überlegen. „Die Zahl ist zwar wenig prickelnd, aber 2013, das war mein Jahr“, sagt Michael Tönnies. Der ehemalige Stürmer, für den MSV Duisburg in 179 Spielen 101 Mal erfolgreich, ist zurück im Leben. Am 6. April bekam er die dringend benötigte Spenderlunge in der Medizinischen Hochschule Hannover eingepflanzt. „Ich bin im September 2012 gelistet worden und habe ein halbes Jahr auf das neue Organ gewartet.. Es gibt Menschen, die hängen zwei Jahre in der Warteschleife“, sagt der ehemalige Fußballer, dem ein Lungenemphysem jeglichen Lebensmut aussaugte.
Es gab Phasen, da wollte Tönnies nichts hören, nichts sehen, nichts tun. „Ich hatte keine Perspektive mehr. Erst die Trennung von meiner Frau, danach waren die beiden Kinder aus dem Haus. Erst habe ich alleine gewohnt, konnte dann aber die Einkäufe nicht mehr bewältigen.“ Die Erweiterung seiner Lunge löste schlimme Atemnot aus. „Nahrungsaufnahme war für mich eine Quälerei. Durchschlafen ein Fremdwort. Meistens bin ich vor Erschöpfung kurz eingenickt.“ Dass er sich pro Tag 80 Zigaretten in den Mund steckte, machte die Krankheit noch dramatischer. Das Gewicht des bulligen Stürmers, den sie zu MSV-Zeiten „Tornado“ oder „den Dicken“ nannten, sackte auf 72 Kilogramm ab. Tönnies scherzt mittlerweile darüber: „Ich sah aus wie Hänsel und Gretel.“
Überwältigt von Reaktion der Fans
Vor zweieinhalb Jahren kam das Aha-Erlebnis. Tönnies wurde zum gefühlten 1000. Mal zu seinem legendären Auftritt gegen den Karlsruher SC (6:2), bei dem er am 27. August 1991 fünf Tore und den schnellsten Liga-Hattrick gegen den späteren Nationalkeeper Oliver Kahn erzielte, befragt. Am Rande erwähnte der gesundheitlich angeschlagene „Tönni“, dass er eine neue Lunge benötigt. MSV-Fans nahmen den Ball auf, starteten eine Aktion im Fanforum. Am Ende wurden die Wünsche und Erinnerungen gesammelt und als Buch an Tönnies übergeben.
„Das hat mich überwältigt. Ich fand beeindruckend, dass mein Name in Duisburg nach all den Jahren immer noch so einen Klang besitzt. Ich war mit dem MSV Deutscher Amateurmeister, natürlich gab es dieses Karlsruhe-Spiel, aber auch 29 Zweitligatore und den Aufstieg in die Bundesliga. Ich bin immer auf dem Teppich geblieben und war immer einer von denen, die mit dem Verein durch dick und dünn gegangen sind.“ Er schiebt nach: „Ohne die Duisburger Anhänger hätte ich es nicht geschafft, neuen Mut zu fassen. Das ist alles in meinem Herzen gespeichert. Ich bin den Leuten und dem Verein ewig dankbar.“
Tönnies feiert nach Transplantation zwei Geburtstage
Tönnies raffte sich nach dem Zuspruch auf, schraubte seinen Zigarettenkonsum herunter. „Ich habe die Zahl von 80 auf 10 reduziert und 2011 ganz aufgehört. Sonst wäre ich nicht auf die Spenderliste gekommen.“ Bis es zu dem langersehnten Eingriff kommen konnte, fuhr Tönnies Achterbahn. „Ich war fix und fertig. Jedes Mal, wenn das Telefon klingelte und es die Klinik hätte sein können, bist du wahnsinnig geworden. Ich musste immer erreichbar sein – sogar auf der Toilette. Als man mich dann das erste Mal wirklich angerufen und abgeholt hat, habe ich SMS an Freunde und Familie verschickt, damit alle wissen, was los ist. Dabei habe ich mich vor lauter Nervosität 100 Mal vertippt. Ich war so aufgeregt und fragte mich: Lebst du, bist du tot?“
Es war irgendetwas dazwischen. Drei Mal wurde Tönnies vom Klinik-Fahrdienst abgeholt und jedes Mal ergebnislos wieder heim nach Essen gebracht. „Ich habe einen Antivirus im Körper. Der musste mit dem Spenderorgan übereinstimmen. Das war bei zwei Lungen eben nicht der Fall. Und bei der dritten Lunge war das Organ geschädigt. Da wäre das Risiko einer Transplantation zu groß gewesen.“
Für den ehemaligen Knipser waren aller guten Dinge vier. „Als ich das vierte Mal nach Hannover fuhr, war ich nicht nervös. Vielleicht entwickelt man eine gewisse Routine“, vermutet Tönnies, der im Krankenhaus einen Patienten kennenlernte, der dieses Prozedere zehn Mal mitmachen musste. Tönnies: „Du wirst rasiert, kriegst deinen OP-Termin. Man sagt dir: In zwei Stunden ist es so weit. Du malst dir alles aus. Dann kommt der Arzt und teilt dir mit: Heute geht es nicht. Man fährt nach Hause und ist komplett fertig.“
„Wie ein Sechser im Lotto“
Doch am 6. April 2013 klappte alles. „Es war ein Samstagnachmittag, fast wie Bundesliga“, scherzt er und hat das Datum fest im Gedächtnis verankert: „Am 19. Dezember wurde ich 54 Jahre. Und am 6. April feiere ich noch einen Geburtstag.“
Von wem die neue Lunge stammt, möchte „Tönni“ gar nicht erst ergründen. „Ich weiß, dass des einen Tod mein Glück war. Für mich ist jemand gestorben. Es kann ein Mann oder eine Frau gewesen sein. Unter dem Strich ist entscheidend, dass Menschen auch im Sterbefall noch etwas Gutes tun können.“
Mittlerweile scheint für Tönnies wieder die Sonne. Die Waage zeigt 86,5 Kilogramm an. „Tönni“ genießt sein Frühstück zusammen mit dem Lesen der Tageszeitung, hat keine Probleme mit Schlucken und gleichzeitigem Atmen. „Was für die meisten Menschen normal ist, ist für mich etwas Besonderes, weil ich es jahrelang nicht konnte. Perspektive und Lebensfreude sind zurück“, lacht der ehemalige Kneipenbesitzer, der Heiligabend mit seiner neuen Lebensgefährtin Astrid feiert. „Wir haben uns 29 Jahre nicht gesehen. Durch Zufall sind wir uns begegnet. Ich habe sie sofort erkannt. Sie hat etwas länger gebraucht“, schmunzelt „Tönni“, der dann sein ganzes Können zeigen musste. „Ich musste sie überzeugen. Das war bei meiner Vorgeschichte nicht leicht, aber letztlich hat es gefunkt. Astrid war schon mit bei einem MSV-Spiel und bei der Weihnachtsfeier der Traditionsmannschaft. Ich wollte einfach wieder eine feste Partnerschaft. Alleine ist es echt doof.“
In ganz stillen Momenten kneift sich der Ex-Profi. „Vor acht Monaten war ich dem Tod geweiht. Jetzt ist mein Leben wieder lebenswert. Astrid ist wie ein Sechser im Lotto. Am 1. Januar ziehe ich zusammen mit meinem jüngeren Sohn Marcel in unser altes Haus in Essen. Das ist der nächste Schritt in die Normalität.“ Und klare Vorstellungen für die Zukunft hat Tönnies auch. „Ich werde 100 Jahre alt.“