Duisburg. Pater Tobias Breer startet auf King George Island, wo aktuell die Temperaturen bei minus 28 Grad liegen, um Kindern zu helfen.
Es ist früh am Morgen. Erste Stunde, Schulgottesdienst. Pater Tobias singt mit den Kindern, die aus vollem Herzen mitschmettern. „Wir wollten ihnen noch etwas zu Weihnachten schenken, Pater Tobias“, sagt eine Lehrerin kurz danach. Dann kommt der Pfarrer von Herz Jesu in Neumühl aus der Sakristei und läuft hinüber zum Pfarrbüro. „Pater Tobias“, ruft ein Junge dem Prämonstratenser-Mönch zu, während noch etliche andere Kinder dabei sind und dem Seelsorger hinterherlaufen. Der dreht sich um. „Ich gehe bald aufs Abtei-Gymnasium.“ Der Pater lächelt, sagt: „Dann sind wir ja bald Nachbarn.“ Der Junge strahlt.
Viele Projekte für die Menschen
Die Kinder mögen ihn. Auch als Lehrer ist Tobias Breer, wie der Priester im zivilen Leben heißt, tätig. „Das mache ich in zwei Grundschulen.“ Direkt neben „dem Abtei“ liegt die Abtei – sprich das Kloster der Prämonstratenser in Hamborn, wo er lebt. Während die kleine Kirche dort ab und an „Hamborner Dom“ genannt wird, heißt Pater Tobias‘ Kirche in Neumühl „Schmidthorster Dom“. Drum herum liegen das Pfarrbüro, die Räumlichkeiten des von Pater Tobias ins Leben gerufenen Projektes „Lebenswert“, das Café „Offener Treff mit Herz“, das Kinderhilfswerk „KiPa-cash-4-kids“ gegen Kinderarmut. Die Vorstellung wird klarer, warum Tobias Breer so gemocht wird. „Wir sind eine der wenigen Gemeinden, die mehr Taufen als Beerdigungen haben“, berichtet der Priester. Man muss etwas an der Basis tun. Und die Leute kommen.
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Was das Ganze mit Sport zu tun hat? Pater Tobias ist nicht irgendein Pater. Er ist der „Marathon-Pater“. „Leider habe ich im Jahr 2023 nur 23 Marathons geschafft, 2022 waren es noch 31“, berichtet er. „Ich wollte die 200 vollmachen. Aber das kommt dann bald.“ 190 sind es schon. Also: 190 Marathons oder sogar Ultraläufe, die über die 42,195 Kilometer hinausgehen. In der Wüste von Oman ist er schon gelaufen. In Dubai. In Vietnam. Er ist „Six-Star-Finisher“, hat die sechs bedeutendsten Marathonrennen der Welt in New York, Chicago, Berlin, London, Boston und in diesem Jahr Tokio absolviert, was jedem, der dies schafft, eine ganz besondere Medaille einbringt.
Dem Laufsport verfallen
Und wie jeder, der dem Laufsport verfallen ist, hat auch Tobias Breer dieses „Sammelfieber“, nach mehr Läufen, immer neuen Herausforderungen. Der nächsten stellt sich der Pater am 22. Januar 2024. Bei einem Marathon in der Antarktis.
Was?
Doch, tatsächlich. Es gibt ihn, den White Continent Marathon auf der der Antarktika vorgelagerten Insel King George Island, die zu dem Antarktis-Territorium gehört, das sowohl von Großbritannien und Argentinien als auch Chile beansprucht wird. „Nach aktuellem Stand werde ich am 22. Januar der einzige deutsche Starter sein und einer von drei Europäern.“ Insgesamt stellen sich 17 Läuferinnen und Läufer der Herausforderung.
Der Pater Tobias von 2006 hätte seinem Alter Ego von 2023 wohl den Verstand abgesprochen. „Als ich damals meinen ersten Marathon gelaufen bin, war meine erste Reaktion im Ziel: nie wieder!“, erinnert sich Tobias Breer. „Mir tat alles weh.“ Das ließ zwar in der Nacht nur bedingt nach, doch die Erinnerungen kehrten zurück. Kleine Szenen, die sich in der Seele des Seelsorgers verewigten. Gut gelaunte Menschen, die die Läuferinnen und Läufer anfeuerten. Die ihn anfeuerten. „Das war eine bemerkenswerte Erfahrung“, sagt der Pater, also jener von 2023. Und damit war der Marathon-Pater geboren.
Denn was er auch erfuhr: Es gibt Menschen, die mit ihren Marathonläufen Geld für den guten Zweck sammeln. Durch Sponsoren. Das faszinierte Tobias Breer. „Ich kann Geld bekommen, um Menschen zu helfen – für etwas, das mir auch noch Spaß macht?“, erinnert sich der Pater. Und es ging los. Er druckte Flyer, suchte sich Projekte, die er fördern wollte. Oft für Kinder, immer karitativ. Alleine im Jahr 2023 hat Pater Tobias rund 136.000 Euro erlaufen. Und er gibt das Geld durch das Projekt „Lebenswert“ mit Freuden aus. Um anderen zu helfen. Kinderarmut. Altersarmut. Er sieht es immer wieder. Und kämpft mit Leidenschaft dagegen an. „Wir haben ein Restaurant, in dem ältere Menschen für wenig Geld eine Mahlzeit bekommen. Und sie können wieder an der Gesellschaft teilhaben. Selbst wenn sie die ersten zwei, drei Male noch alleine für sich sitzen und essen – spätestens danach gehen sie auf die anderen zu, reden miteinander“, sagt Pater Tobias. In Kursen bringt er Kindern das Kochen bei, erklärt, worauf es bei gesunder Ernährung ankommt. Er ist ausgebildeter Lauftrainer, Leistungsdiagnostiker und Ernährungsberater. Essen ist mehr als nur essen. Und Sport ist mehr als nur ein 1:0. Mehr als nur ein erster Platz. Er vermittelt Werte, den Umgang mit anderen Menschen. Dieser „Marathon-Pater“ vom Schmidthorster Dom ist ein Paradebeispiel dafür.
Mit dem Start in der Antarktis will Pater Tobias nun neue Sport-Rollstühle für die LVR-Christoph-Schlingensief-Schule in Oberhausen anschaffen. „Mithilfe der Sport-Rollstühle können die Kinder gemeinsame Bewegungsspiele durchführen, Fahrtechniken erproben und an Sicherheit gewinnen“, erklärte Pater Tobias in einer ersten Mitteilung zu diesem Projekt. Und Konrektorin Xenia Dally ergänzt: „Rollstuhlsport fördert die eigene Leistungsfähigkeit, macht Spaß und vergrößert das soziale Netzwerk außerhalb der Schule.“
Dafür nimmt Tobias Breer so einiges auf sich. Aktuell liegen die Temperaturen auf King George Island bei rund minus 28 Grad. Die Reise führt ihn erst nach Chile, dann geht es mit dem Flieger auf die antarktische Insel. „Der Veranstalter hat uns empfohlen, uns spezielle Socken zu besorgen, die von innen nicht nass werden können. Außerdem musste sich jeder Schneeketten für die Schuhe besorgen.“ Pater Tobias‘ Arzt riet ihm noch dazu, ein Gerät zu verwenden, das den Atem etwas anwärmt. „Außerdem soll ich ein Asthmaspray mitnehmen, wenn die Lunge aufgrund der Kälte zumachen sollte.“ Eine Nacht werden die „Marathonis“ in jedem Fall im Zelt verbringen. „Je nach Wetterlage laufen wir direkt nach der Landung und kehren am nächsten Tag zurück oder wir laufen am zweiten Tag“, berichtet der 60-Jährige. Die eigenen Ausscheidungen müssen die Läufer übrigens mithilfe der Veranstalter entsorgen. Die Natur soll geschützt werden. „Keine Sorge“, lacht Pater Tobias, „mich kann nichts mehr schocken.“
Der Marathon in Vietnam, bei Hitze und hoher Luftfeuchtigkeit, war bislang der wohl forderndste Lauf für den Pater. Dieses Rennen auf oder zumindest in der Nähe eines der großen Eisschilde des Planeten könnte ihn nun von diesem Rang ablösen. Doch spätestens, wenn er in der Oberhausener Schule steht und die Sport-Rollstühle übergibt, wird Pater Tobias die Schmerzen vergessen haben.
Das Spendenkonto
Wer Pater Tobias‘ Projekte unterstützen will, kann dies tun. Zu diesem Zweck gibt es ein Spendenkonto:
Projekt LebensWert
BIC: GENODED1BBE
IBAN: DE34 3606 0295 0010 7660 36
Spendenquittungen werden ausgestellt.
Pater Tobias ist längst Duisburger durch und durch, wurde aber in Werne an der Lippe geboren. Er absolvierte eine Ausbildung zum Groß- und Einzelhandelskaufmann bei BMW und wurde später Ausbilder bei dem Automobilunternehmen. Mit 24 Jahren machte er sein Abitur nach, trat ins Kloster ein und wurde schließlich mit 31 Jahren in der Abtei Hamborn zum Priester geweiht. Er war unter anderem als Militärpfarrer tätig. Seit 1997 ist er Kämmerer der Abtei Hamborn. 2021 erschien sein Buch „Der Marathon-Pater. 60.000 Kilometer gegen die Armut“.