Duisburg. . Heinz Radomski bestreitet am Sonntag seinen 100. Marathon – und hilft den langsamsten Athleten.
Der Vivawest-Marathon ist im Ruhrgebiet eine große Nummer – wie auch der Rhein-Ruhr-Marathon in Duisburg. Doch Heinz Radomski hat auf den Lauf durch Gelsenkirchen, Essen, Bottrop und Gladbeck verzichtet. Warum? „Ich wollte meinen 100. Marathon unbedingt zu Hause in Duisburg laufen“, sagt der Mann vom LC Duisburg, der beim Lauf-Club den Marathonkurs leitet, der dort sportlicher Leiter ist und der erst kürzlich seinen 99. Marathon in Boston lief.
Das klingt, als sei das eine geplante Läuferkarriere. Wer ist also für Radomskis Laufleidenschaft verantwortlich? Die Antwort verblüfft: „Zwei pummelige Frauen in Großenbaum.“ Denn 1997 lief Radomski durch Großenbaum. Nicht auf der Strecke, sondern auf dem Bürgersteig. Und plötzlich geriet er an eine Absperrung. Was passiert hier? Marathon, aha. Wie lang ist der? So, um die 40 Kilometer, soso. Radomski, früher Fußball-Schiedsrichter, war fasziniert. Vor allem, als er hörte, dass die beiden Damen, die offenbar nicht so recht in Olympia-Form daher kamen, schon bei Kilometer 36 waren. „Da bin ich zum Marathontor des alten Wedaustadions gegangen, um mir das genauer anzusehen.“ Und justament, als er sich dort umschaute, kamen eben jene Damen um die Ecke und schickten sich an, die letzten 400 Meter der 42,195 Kilometer zu umrunden. „Da wusste ich, das will ich auch schaffen.“
Sportlich war Radomski schon immer. Als Schiri schaffte er es bis in die Verbandsliga, als Linienrichter gar bis in die 2. Bundesliga. „Die Gewaltbereitschaft hat dort aber immer mehr zugenommen“, erklärt der heute 53-Jährige, warum er seine Leidenschaft am Pfeifen verlor. So schickte er sich an, 1998 seinen ersten Marathon in Duisburg zu absolvieren. „Ich hatte damals keine Ahnung vom Laufen“, erinnert er sich. „Ich hatte mir eine viel zu schnelle Zielzeit gesetzt. Bis Kilometer 30 kam ich gut mit – dann bin ich abgekackt“, sagt er ohne Umschweife. So ist er auf den Marathonkurs des LC Duisburg gestoßen, weil ihm das nicht nochmal passieren sollte. Statt in 4:23 Stunden lief er zwölf Monate darauf die klassische Strecke in 3:24 Stunden.
Radomski hat eine große und unterhaltsame Qualität. Er kann Geschichten erzählen – und das, während er läuft. Diesmal erzählt er sie im Sitzen. Wie die vom Augenarzt aus Nigeria, der in Düsseldorf arbeitet und immer wieder in seine Heimat zurückkehrte, um armen Menschen zu helfen. Und von einem Musiker aus Prag, der in seinem Orchester erster Geiger war, diesen Job aber verlor, „weil er sich in dieser Funktion verbeugen musste – und lächeln, was schwierig war, weil er nur noch einen großen Zahn hatte.“ Der Prager hatte zudem einen Rucksack bei sich. Was da drin ist, wollte Radomski wissen. „Schlesische Wurst“, hieß die verblüffende Antwort. All diese Geschichten schnappt er auf, weil er zunächst als Brems- und Zugläufer mitlief und nun schon seit sieben Jahren als Schlussläufer, der seinen Lauf so koordiniert, dass er nach rund 5:30 Stunden ins Ziel kommt. „Beim Start laufe ich vorne los, stelle mich dann an den Rand und warte, bis alle Teilnehmer durch sind“, erklärt er seinen „Job“ mit dem längst berühmtem Outfit. Ein rot-weißer Dress mit der Aufschrift „Schluss“ und einer roten Laterne in der Hand. „Die Athleten, die ich einhole, spreche ich an und versuche sie, so gut es geht, mitzuziehen“, so Radomski. Und weil er so ein guter Erzähler ist, spricht er mit denen, die zu scheitern drohen. „Damit sie nicht an den Lauf denken und abgelenkt sind“, so die Taktik Radomskis.
„Wen ich schon bei Kilometer fünf überhole, hat es schwer“, gibt er im Zweifelfall auch den Tipp, besser auszusteigen oder auf dem Bürgersteig weiterzulaufen.
Er selbst hat nun 99 Marathonläufer absolviert. Alle wichtigen und großen Veranstaltungen in Deutschland, aber auch im Ausland. Wie eben den 120. Boston Marathon. Der 100. in Duisburg könnte sein letzter sein. „Vielleicht mache ich aber hier als Schlussläufer weiter.“ Die langsamsten Marathonis würden sich sicher freuen.