Bottrop. Dr. Peter Scheidgen sieht den Sport gut aufgestellt. Der Vorsitzende des Sportbundes weist jedoch eindringlich auf eine prekäre Lage hin.

Die Corona-Pandemie hat die Bottroper Sportvereine schwer in Mitleidenschaft gezogen. Dr. Peter Scheidgen bescheinigt den Klubs allerdings ein vorbildliches Krisenmanagement. Der Vorsitzende des Bottroper Sportbundes lobt die vielfältigen Bemühungen, erhofft sich von der Politik aber auch ein besseres Gehör für den Vereinssport.

Corona hält Bottrops Sportvereine schon seit mehr als einem Jahr in Atem. Wie bewerten Sie die Gesamtlage?

Die Sorge in fast allen Vereinen ist groß, dass sich die Mitglieder abwenden. Der Landessportbund hat eine Studie veröffentlicht und ermittelt, dass insbesondere die großen Vereine, also Vereine mit mehr als 1000 Mitgliedern, Probleme haben, ihre Mitglieder zu halten. Im Mittel verlieren diese Vereine laut dieser Studie rund zehn Prozent ihrer Mitglieder, einige sogar noch mehr. In Bottrop haben wir nur fünf Vereine mit mehr als 1000 Mitgliedern, aber auch unsere größten Vereine beklagen zum Glück keine nennenswerten Verluste. In diesem Punkt sind wir in Bottrop also noch gut aufgestellt. Die Lage ist nicht einfach, doch das Echo aus unseren Vereinen ist, dass sie bislang gut weggekommen sind.

Bottrops Vereine verzeichnen also noch keine dramatischen Rückgänge bei den Mitgliederzahlen. Woran liegt das Ihrer Meinung nach?

Die Solidarität, die Verbundenheit und das Verständnis dafür, dass die Klubs ihre Angebote unter den momentanen Bedingungen nur stark eingeschränkt oder sogar überhaupt nicht machen können, ist groß. Die Bottroper bleiben ihren Vereinen treu. Aber das ist eine Momentaufnahme. Mit der Zeit wird es zunehmend schwieriger. Wir brauchen jetzt ganz schnell einen Plan, wie es mit den Vereinen während der Pandemie weitergehen kann, wir benötigen Lösungen und verlässliche politische Leitplanken.

Was fordern Sie konkret?

Wir brauchen verbindliche Spielregeln und nicht dieses ständige Hin und Her. Wie sollen die Vereine unter diesen Bedingungen arbeiten? Die Situation ändert sich für sie permanent. Meine Hoffnung ist, dass sich diese Situation mit dem Fortschritt bei den Impfungen entspannt. Und dann brauchen wir konkrete und vor allem neue Ideen, wie Sport unter den Pandemiebedingungen stattfinden kann.

Virtuelle Weihnachtsfeier: Nicht nur der VfB Kirchhellen ließ sich für seine Kids etwas einfallen.
Virtuelle Weihnachtsfeier: Nicht nur der VfB Kirchhellen ließ sich für seine Kids etwas einfallen. © Fremdbild | FH

Was meinen Sie mit neuen Ideen?

Wenn wir uns anschauen, wer unter den aktuellen Bedingungen am meisten leidet, landen wir schnell bei den Jüngsten. Wir können momentan noch gar nicht genau absehen, was der Stillstand im Sport für unsere Kinder und Jugendlichen bedeutet. Eine Ahnung davon haben wir allerdings sehr wohl. Es geht dabei nicht nur um Bewegungsmangel, sondern auch um fehlende Sozialkontakte. Corona sorgt für große Löcher in der Entwicklung, die nicht nur sportlich, sondern auch schulisch und im sozialen Umfeld durchschlagen werden. Bei der Bewältigung dieser Probleme wird auf die Sportvereine in Zukunft noch viel Arbeit zukommen.

Wie bewerten Sie den Umgang mit der Pandemie in der Bottroper Sportlandschaft?

Ich kenne keinen einzigen Bottroper Verein, der in dieser schwierigen Lage alle Viere von sich streckt und überhaupt nichts macht. Die Klubs machen sich intensiv Gedanken, wie sie den Kontakt zu ihren Mitgliedern aufrechthalten können und wie sie Corona-konforme Angebote machen können. Dabei werden Dinge ausprobiert, die auch im Anschluss an die Pandemie noch eine Rolle spielen werden. Sich online zu treffen, um sich auszutauschen, die Möglichkeit ganze Hauptversammlungen abzuhalten, das sind Dinge, die einige Vereine sicher beibehalten werden. Und wenn wir ins Detail gehen, müssen wir ganz vielen Vereinen ein großes Lob aussprechen. Da wurden online Trainingseinheiten abgehalten und Wettbewerbe durchgeführt, es gab Angebote für alle Altersklassen. Da wurde zum Teil ein enormer Aufwand betrieben. Der soziale Zusammenhalt in den Vereinen funktioniert weiterhin. Aber die Gefahr bleibt natürlich bestehen, dass die Situation unsere Vereine auf Dauer überstrapaziert.

Sportbünde in NRW arbeiten an einer Zehn-Jahre-Strategie

Die Bottroper Vereine werden jetzt kurzfristig, zusätzlich und unbürokratisch mit einer Summe von 5000 Euro unterstützt. Wie kam es dazu?

Wir mussten während dieser Pandemie schon auf einige Sportveranstaltungen verzichten, die wir gefördert hätten. Beispielsweise die große NRW-Gala. Da war ein Betrag frei, den wir sinnvoll einsetzen wollten. Im Sportausschuss der Stadt ist viel darüber diskutiert worden. Unser Vorschlag war, dass wir mit dieser Summe maximal 20 Vereine unterstützen, die mit Maßnahmen ihre Mitgliedergewinnung ankurbeln wollen. Geeinigt haben wir uns darauf, dass alle Vereine einen Teil des freigewordenen Geldes beanspruchen können.

Wenn alle Klubs Ansprüche anmelden, bleibt am Ende für jeden einzelnen Verein aber nicht viel übrig.

Klar, das sind dann nur noch 40 oder 50 Euro. Das wäre dann eher ein symbolischer Akt. Das wäre dann aber auch ein eindeutiger Hinweis darauf, dass die Vereine auf finanzielle Hilfe angewiesen sind und Unterstützung benötigen. Unser Ziel im Sportbund ist es, Aktionen zu unterstützen, die dabei helfen, die Mitglieder in den Vereinen zu halten. Wir wollen Gemeinschaft von rund 23.000 Sportlern in Bottrop zusammenhalten.

Was muss in Zukunft passieren und welche Rolle kann der Sportbund dabei spielen?

Die Vereine haben in dieser Situation einen großen Bedarf an schnellen Informationen. Darum bemüht sich unter anderem der Landessportbund, vor allem aber auch die Stadt selbst. Der Sport- und Bäderbetrieb steht im ständigen Austausch mit den Vereinen und macht meiner Ansicht nach einen fantastischen Job. Wir im Sportbund müssen uns aktiv daran beteiligen, Pläne, Strategien und Lösungen für die Zukunft unserer Vereine zu erarbeiten. Die Sportbünde in Nordrhein-Westfalen werden noch in diesem Monat zusammenkommen, um eine Dekadenstrategie für die Jahre 2022 bis 2032 zu formulieren. Wir haben die vergangenen zehn Jahre auf alten Programmen gesessen, haben viel angeregt und viel getan. Jetzt geht es vor allem darum, Neues zu wagen und den Mut für andere Wege aufzubringen. Wir müssen die Herausforderungen ermitteln. Und an diesen Prozessen wollen wir uns beteiligen.

Und auf lokaler Ebene?

Die Aufgabe des Sportbundes ist es, die Interessen der Vereine der Politik gegenüber sichtbar zu machen. Das ist kein leichtes Geschäft. Wir haben eine Stimme im Sportausschuss. Manchmal wünsche ich mir jedoch, wir könnten diese Stimme gegen mehr Gehör eintauschen. Es besteht Einigkeit bei der Einschätzung, dass die Sportvereine einen großen gesellschaftlichen Stellenwert haben und enorm wichtige Arbeit leisten. Als Sportbund laden wir die 23 Mitglieder des Sportausschusses regelmäßig zu unseren Veranstaltungen ein. Wenn dann aber immer wieder nur die drei selben Menschen dieser Einladung folgen, ist das schon ernüchternd und auch enttäuschend. Sport ist keine Frage der politischen Einstellung, aber der Sport ist auf gute Netzwerke angewiesen. Nur dann sind wir in der Lage, unsere Ideen umzusetzen.

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