Können Sie sich vorstellen, dass ein Fußballspiel wegen einer kirchlichen Trauung eine halbe Stunde lang unterbrochen wird? Dustin Vennemann und Patrick Sapountzoglou haben das erlebt. „Hochzeit in Heidelberg! Wir sind es ja gewohnt, das Spiel zu unterbrechen, wenn die Glocken läuten, aber da hat es 30 Minuten gedauert, bis wir weitermachen konnten“, erzählen die jungen Bottroper, seit 2009 Schiedsrichter im Blindenfußball.
Die Anekdote verdeutlicht zwei bedeutsame Aspekte dieser Sportart. Zum einen braucht es Ruhe rund um das Spielfeld. Nicht nur müssen die Spieler den Ball hören, der rasselnd auf dem Kunstrasen unterwegs ist. Auch die Kommunikation untereinander, mit den Betreuern am Rand und nicht zuletzt den Schiedsrichtern ist entscheidend für ein erfolgreiches Spiel.
Zudem finden die Begegnungen der deutschen Blindenfußball-Bundesliga (DBFL) nicht auf abgelegenen Sportplätzen statt. „Der Liga-Betrieb ist eine Städtetour. Die DBFL hat dafür eine mobile Kunstrasenanlage angeschafft. Die Spieltage finden auf Rathaus- oder Marktplätzen statt. Das Motto ist: mit Fußball in die Mitte der Gesellschaft.“
Fußball auf dem Marktplatz
Für die Sportler hat es den Vorteil, dass sie nicht nur vor Fans, sondern hunderten Zuschauern spielen. Für die paralympische Sportart ist es das optimale Marketinginstrument. Aus der Sicht von Dustin und Patrick ist alles, was den Blindenfußball bekannt macht, willkommen. In Südamerika hat er eine jahrzehntelange Tradition. „In Deutschland ist es ein junger Sport. Seit 2007 werden Turniere, seit 2008 Ligaspiele durchgeführt. Wir beide sind seit 2009 dabei, so gesehen ganz alte Hasen.“
Sie fühlen sich zu Recht als Männer der ersten Stunden. „Mit vier, fünf Jahren“ haben sie mit Vereinsfußball begonnen, vor etwa zehn Jahren absolvierten sie den ersten Schiedsrichterlehrgang. „Da waren wir gut dabei, haben mit 19 Jahren Landesligaspiele geleitet und in der Verbandsliga an der Linie gestanden.“ Das Interesse am Behindertensport wurde durch einen Schiedsrichterkollegen geweckt. „Ab 2007 haben wir Spiele der Werkstätten gepfiffen. Dann erzählte unser Kollege von der Weiterbildung zum Blindenfußballschiedsrichter. Und der Lehrgang in Wedau war für uns die erste Begegnung mit dem Sport“, gibt Dustin (25) zu. Aber was für eine! Zum Lehrgang gehört die „Blinderfahrung“. „Wir haben mit den Dunkelbrillen beim Frühstück gesessen, und uns wurde gesagt, wo Käse und Marmelade stehen.“ Auf dem Spielfeld waren die beiden ebenfalls überfordert. „Die Blindenfußballer wissen immer, wo sie sind. Aber wir hatten nach spätestens zehn Drehungen völlig die Orientierung verloren.“
Schon der erste Wettkampf weckte ihre Begeisterung. „Es ist ein unglaublich intensives Spiel, besonders für die Schiedsrichter auf dem Feld“, erklärt Dustin. „Die Spieler können sich auf den Ball konzentrieren, oder auf das ‘Voy’, den Warnruf, dass sie sich dem Ball nähern. Ich sage immer, das Spiel ist für uns sehr laut, wir müssen nicht nur genau hinhören, sondern alle und alles im Blick haben und uns mit den vier anderen Schiedsrichtern abstimmen“, beschreibt Patrick den Input, der bei einer Spielleitung auf ihn einprasselt.
Teil der Blindenfußball-Familie
Anfangs versuchten sie, beide Schiedsrichterkarrieren weiterzuführen. „Es gab aber immer wieder Überschneidungen, wir mussten uns entscheiden.“ Schwer gefallen ist die Wahl nicht. „Blindenfußball ist nicht nur Hobby und Ehrenamt, es ist Leidenschaft.“ 17 DBFL-Schiedsrichter gibt es in Deutschland. „Unser Schiedsrichterobmann, Niels Haupt, führt mit jedem Interessenten ein Gespräch über seine Motivation. Das Wesen des Menschen muss passen, er muss mit dem Herzen dabei sein.“
Eine Qualifikation, die Dustin und Patrick voll und ganz erfüllen. „Wir freuen uns riesig auf diese Wochenenden. Wir sind ein Teil der Blindenfußballfamilie. Abends geht man mit den Spielern weg. Natürlich werden da Entscheidungen diskutiert, aber immer freundschaftlich. Im Fußball undenkbar.
Eine Vorschrift der Blindenfußball-Bundesliga verlangt, dass ihre Schiedsrichter zusätzlich im Fußball aktiv sind. „Beim VfB Kirchhellen sind wir hervorragend in die Schiedsrichtergemeinschaft aufgenommen worden, sie interessieren sich sehr für unsere Erfahrungen im Blindenfußball, eine tolle Wertschätzung.“
Ein hohes Gut für die jungen Männer, wie auch die Einsätze bei internationalen Turnieren und Spielen der Nationalmannschaft. Damit sind die sportlichen Ziele längst noch nicht alle verwirklicht: „Für Europa- und Weltmeisterschaften oder die Paralympics nominiert zu werden, ist natürlich ein großer Wunsch“, verrät Dustin. Aber auch das Nächstliegende, wie ein DBFL-Spieltag in der Heimatstadt, wäre ein Highlight. „Wir haben mit dem behindertengerechten Jahnstadion beste Voraussetzungen, Bottrop müsste sich nur bewerben.“