Im großen Interview äußert sich Michael Huke, Manager des TV Wattenscheid 01 und Bundesstützpunktkoordinator, über die Erfolge des Vereins, den Fall Rehm, Doping - und Hauptsponsor Stadtwerke Bochum.

Nach der DM mit dem Deutschen Rekord von Julian Reus über 100m und vor der EM im August sprach Michael Huke, Bundesstützpunktkoordinator am Bundesstützpunkt Bochum/Dortmund und Manager des Leichtathletik-Spitzenklubs TV Wattenscheid 01, mit WAZ-Redakteur Ralf Ritter über Erfolge, Doping und Perspektiven.

Bei der DM haben nicht nur die acht EM-Starter überzeugt. Ihr Fazit?

Mit vier Titeln und sechs weiteren Medaillen haben wir unser Ziel absolut erreicht. Wir sind, wenn man Markus Rehm von Bayer Leverkusen ausklammert, erneut erfolgreichster Verein und mit acht EM-Startern da, wo wir sein wollten.

Rehm gewann mit einer Beinprothese im Weitsprung, für die EM wurde er gestern aber nicht nominiert. Eine kluge Entscheidung?

Es ist eine richtige Entscheidung. Aufgrund der Prothese hat er eine klare Vorteilsnahme. Es gibt biomechanische Untersuchungen, die zeigen, dass man mit der Anlaufgeschwindigkeit – er ist etwa 1m/sek langsamer als die anderen – so weit nicht springen kann, das geht nur mit Hilfsmitteln wie einer Prothese. Wie Markus Rehm das macht, ist toll, er ist ein fantastischer Sportler. Aber Fair-Play ist das nicht: Es muss eine andere Wertung geben. Diese Meinung haben alle Spitzenvereine vertreten, nur Bayer Leverkusen hat sich logischerweise der Stimme enthalten.

Der Deutsche Rekord von Julian Reus, dem Wattenscheider, ging in der Rehm- Diskussion etwas unter.

Ja, für Julian ist das schade, dass dieser Rekord im Fernsehen nicht so präsent war. Julian hat den fast 30 Jahre alten Sprintrekord geknackt. Es war fantastisch, wie er sich danach mental wieder aufs Finale konzentriert hat: Aus so einer Euphorie heraus runterzukommen und das schnellste DM-Finale aller Zeiten zu gewinnen, das war schon toll. So ein Mann hätte es auch verdient gehabt, ins Aktuelle Sportstudio des ZDF eingeladen zu werden.

Julian Reus und Robin Erewa vom TV01, dazu Lukas Jacubczyk, der deutsche Sprint ist wieder da. Und der TV Wattenscheid ist die Sprinthochburg. Die Gründe?

Es wurde gute Arbeit geleistet in den letzten Jahren, in den Vereinen und vom Deutschen Leichtathletik-Verband. Wir haben immer am Sprint festgehalten, auch als viel auf uns herumgehackt wurde. Viele, wie Alex Kosenkow, der mit 37 Jahren noch zum EM-Aufgebot zählt, oder Robin Erewa kommen aus unserer Jugend. Zu Reus haben wir auch gestanden, als es ihm wegen der Folgen eines Zeckenbisses schlecht ging. Der DLV fördert die Sprinter weit stärker als früher. Mit hochrangigen Trainern in mehreren Trainingslagern im Jahr, wo alle Topleute in den USA oder auf Teneriffa in hoher Konkurrenzsituation trainieren. Das pusht.

Der internationale Spitzensprint ist aber längst im Dopingsumpf versunken. Können Sie für Ihre Athleten die Hand ins Feuer legen?

Für unsere Athleten und auch die des DLV lege ich meine Hand ins Feuer. Es gibt in Deutschland ein engmaschiges Doping-Kontrollsystem. Wir können davon ausgehen, dass wir jedes schwarze Schaf erwischen würden. Jeder muss zum Beispiel für jeden Tag eine Stunde angeben, wo er sicher zu erreichen ist. Jeder Ortswechsel ist zu melden. Neben den Kontrollen bei Wettkämpfen – national bei allen Meetings – wird jeder Spitzenathlet 6 bis 8 Mal im Jahr getestet. International sind die Lücken viel größer.

Hürdenläufer Thomas Goller wurde 2010 erwischt, als erster und „letzter“ Athlet des TV 01. Der Verein wollte daher noch stärker darauf achten, dass alle vor Ort trainieren.

Das haben wir auch konsequent weiter forciert. Thomas Goller war im Trainingsbereich ein Einzelgänger. Bis auf die Sprinter Julian Reus, Christian Blum und Stabhochspringer Malte Mohr trainieren alle hier bei uns. Mohr, der ja aus der tollen Talentschmiede des USC Bochum stammt und öfter in seiner Heimat ist, können wir hier nicht die optimalen Trainingsmöglichkeiten bieten. Reus’ Trainer vertreten in Erfurt genau unsere Philospohie, bei Blum gilt ähnliches. Zudem gibt es oft gemeinsame Trainingsmaßnahmen. Ansonsten werden wir keinen Athleten mehr verpflichten, der nicht hier trainiert.

Dass Sie nur Athleten verpflichten, die hier trainieren, hat nicht nur etwas mit Doping-Kontrollsystemen zu tun.

Nein, wir wollen, dass unsere Topathleten als Vorbilder vor Ort sind für unsere zahlreichen Nachwuchskräfte. Wir haben hochrangige Trainer hier. Und wir wollen Identifikation schaffen mit der Stadt und der Region. Nicht zuletzt sieht das auch unser Hauptsponsor Stadtwerke Bochum so.

Der Vertrag mit den Stadtwerken läuft 2015 aus, für 2016 soll es Kürzungen geben. Bisher zahlen die Stadtwerke 600 000 Euro pro Jahr, die Hälfte des Gesamtetats. Gibt es Verhandlungen, wie es weitergeht?

Wir gehen davon aus, dass wir auch nach 2015 noch auf die Stadtwerke als Hauptsponsor zählen können. Auch ohne einschneidende Kürzungen für 2016. Sollte es tatsächlich zu Einschnitten um 100 000 Euro kommen, wäre das für uns fatal. Uns treffen bereits 10 000 Euro hart.

Eine Entscheidung der Stadtwerke gibt es nicht vor dem nächsten Frühling. Gibt es denn keine Alternative(n)?

Es ist doch ein Teufelskreis: Bei weniger Eigenmitteln gibt es auch weniger Fördermittel von Bund, Land und Verband. Zudem sind wir sehr erfolgsabhängig, auch bei unserem Ausrüster Nike, weitere Zuschüsse brechen weg. Spitzenleistungen wie bisher könnte es nicht mehr geben. Aber natürlich sind wir auch dabei, andere Partner für uns zu gewinnen, führen viele Gespräche mit Unternehmen aus der Region. Die Ruhr-Universität Bochum untersucht in einer wissenschaftlichen Arbeit, welchen Stellenwert der TV Wattenscheid als Imagefaktor für die Stadt und die Region hat.

Vom 8. bis 10. August steigt im heimischen Lohrheidestadion das nächste Großereignis, die DM der A- und B-Jugend mit 1500 Aktiven.

Das ist erfreulich, dass sich unsere Jugend im Lohrheidestadion, das von der Stadt bestens gepflegt wird, präsentieren kann. Sportlich hoffen wir, den Heimvorteil nutzen zu können. Mit Peter Adjayi im Sprint zum Beispiel oder unseren U-20-WM-Teilnehmern Falk Wendrich im Hochsprung und Laura Jokeit im Kugelstoßen haben wir auch einige Titelkandidaten dabei.

FAKTEN: 15 HAUPTAMTLICHE TRAINER BEIM TV WATTENSCHEID

Der TV Wattenscheid 01, der eng mit den benachbarten Olympiastützpunkt und Teilzeitinternat zusammenarbeit, beschäftigt 15 Hauptamtliche, darunter elf Trainer.

Hinzu kommen 25 Trainer im Honorarbereich vor allem für die Jugendabteilung, auf die der Verein großen Wert legt, auch in der Breite. In der Spitze trainieren beim TV 01 70 Athleten ab der B-Jugend, die auch finanziell gefördert werden. Der Gesamtetat liegt bei 1,2 Millionen Euro.