Bochum. Ayoub Kaichou dachte, er würde auf dem Platz von Phönix Bochum sterben. Er versucht den Angriff hinter sich zu lassen, das gelingt nicht immer.

Ayoub Kaichou schaut schüchtern durch den Gerichtssaal, als er seinen ersten Schritt durch die Tür macht. Auf einem Zuschauerplatz an der Tür sitzt Dieter Koscinski und fängt an zu strahlen. „Junge“, sagt der 78-Jährige mit dem weißen Bart. „Dass wir uns wiedersehen … ich dachte, die treten dich tot.“

An diesem Tag wird ein Richter über das Ende eines Fußballspiels urteilen, das beide nie vergessen werden: Ayoub Kaichou, 28-jähriger Student aus Hamm, war der Schiedsrichter, der vor einem Jahr auf der Anlage des SV Phönix brutal zusammengeschlagen und lebensbedrohlich verletzt wurde. Koscinski, Urgestein des SV Phönix, war ehrenamtlicher Ordner am 22. Oktober 2022, als der CF Kurdistan Bochum zu Gast war.

Bochumer Bezirksliga-Spiel eskalierte nach dem Schlusspfiff – lebensgefährliche Verletzungen

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Schiedsrichter Kaichou schilderte vor Gericht eindrücklich, was er nach Spielschluss erlebte: Nachdem er eine Gelb-Rote Karte gezeigt hatte, wurde er geschlagen und getreten, bis er zu Boden ging, auch dann hörten die Täter nicht auf. „Ich habe mein Glaubensbekenntnis gesprochen“, erklärte er. „Das war massiv, es kam von rechts, von links, von vorne.“ Er wurde ins Krankenhaus gebracht. Er überlebte, aber sein Nasenbein, das Jochbein auf beiden Seiten und eine Rippe waren angebrochen. „Akut lebensbedrohlich“ sei das gewesen, liest der Richter das Gutachten vor.

Nach dem Fußballspiel zwischen CFK Bochum und dem SV Phönix kam es 2022 zu einem Angriff auf den Schiedsrichter.
Nach dem Fußballspiel zwischen CFK Bochum und dem SV Phönix kam es 2022 zu einem Angriff auf den Schiedsrichter. © FUNKE Foto Services | Christof Köpsel

So etwas habe er noch nie erlebt, sagt auch Dieter Koscinski. Er habe Kaichou nicht helfen können, als mehrere Personen um ihn herumstanden, ihn zu Boden warfen, auf ihn eintraten, auch als er bewusstlos wurde.

Kaichou wollte keine Narben von diesem Tag in seinem Gesicht

Dem jungen Mann ist äußerlich nicht anzusehen, was er durchgemacht hat. Er entschied sich dagegen, die Gesichtsknochen per Operation reparieren zu lassen, wie der Arzt vorschlug. „Es wären Narben zurückgeblieben, die ich jeden Tag im Spiegel gesehen hätte – ich wollte nicht jeden Tag daran erinnert werden. Ich konnte mir das zum Glück aussuchen, auch wenn es nicht sicher war, ob es so funktioniert“, so Kaichou.

Die Knochen in Kaichous Gesicht sind verheilt, andere Verletzungen sind geblieben. Um einen Reha- und Therapieplatz habe er sich vergeblich bemüht. Er nehme immer noch Tabletten gegen Depressionen und Angst, erklärt Kaichou dem Richter. Auch körperlich ist er nicht in der Form von früher, als er neben dem Pfeifen noch selbst spielte und regelmäßig ins Fitnessstudio ging. Er habe Probleme, schwere Gegenstände zu heben. „Ich pfeife nur noch Jugendspiele, auch Männer-Kreisliga, da komme ich mit. Aber so rennen wie früher, das kann ich nicht.“ Aber ja – er pfeift wieder.

Warum Kaichou nach dem Angriff nicht als Schiedsrichter aufhört

Nicht einmal ein Jahr nach dem Angriff hat Ayoub Kaichou schon wieder rund zwanzig Spiele geleitet. „Ich liebe ja Fußball und ich bin gerne Schiedsrichter. Es gibt sowieso schon zu wenig Leute, die das machen“, erklärt der 28-Jährige, dass es für ihn kein Thema war, aufzuhören. Bereits vor einigen Jahren habe er in Dortmund eine ähnliche Situation erlebt – das Hobby will er sich aber nicht nehmen lassen.

Mit anderen Problemen musste er sich dagegen beschäftigen: Als er seinen damaligen Arbeitgeber über die Verletzungen informierte, sei ihm der Minijob gekündigt worden, erzählt Kaichou. Sein Studium der Sozialwissenschaften und Philosophie wurde unterbrochen; der 28-Jährige sorgt sich darum, deshalb kein Bafög mehr zu bekommen. Einen neuen Job zu finden, sei schwer. Er leidet auch körperlich an den Folgen des Angriffs, „früher war ich sportlich, das ist komplett weg“, sagt er.

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Zwei Männer wurden zu Bewährungsstrafen verurteilt

Zwei Ex-Funktionäre des CFK Bochum wurden vom Amtsgericht in dieser Woche zu Bewährungsstrafen wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt. Nach dem Prozess sagt Ayoub Kaichou, er sei mit dem Urteil einverstanden: „Ich will keine Rache, darum geht es mir nicht. Was sollen sie im Gefängnis?“ Einem der beiden Täter nehme er die Reue auch ab, er nimmt die Entschuldigung vor Gericht an. Mehrfach sagt er: „Ich will keinen Hass.“

Auch deshalb steht er wieder auf dem Platz. „Ohne Schiedsrichter könnte überhaupt kein Fußballspiel mehr stattfinden.“ Er pfeift nun näher an seiner Heimat oder im ländlichen Sauerland, aber nicht mehr im Ruhrgebiet: „Da ist zu viel los.“

Das Spiel Phönix Bochum gegen CFK wird er nicht vergessen, genau wie Dieter Koscinski. Der allerdings hat sein Amt kurz nach dem Vorfall abgegeben. Als die beiden sich im Gericht wiedersehen, freut sich auch Kaichou und erinnert sich: Am Tag nach dem Spiel hatte Koscinski ihn im Krankenhaus angerufen.

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