Wattenscheid. Wattenscheids Trainer Christian Britscho muss bei 09 eine komplett neue Truppe aufbauen. Einer der interessantesten Zugänge ist ein Alleskönner.
Mit seinen 1,94 Metern hat er die ideale Statur für einen Innenverteidiger, doch beim Spiel auf dem kleinen Feld normalerweise eher Nachteile. Adjany Ibeme, Neuzugang bei der SG Wattenscheid 09, hat damit allerdings keine Probleme. Im Gegenteil, der 24-Jährige ist nämlich in beiden Disziplinen – im Fußball und Futsal nämlich – gleichermaßen richtig gut.
Aufgewachsen in Schwerte zwischen Dortmund und dem Sauerland, schließt sich der Sohn einer estnischen Mutter und eines kongolesischen Vaters als Kind zunächst dem ETuS/DJK Schwerte an. In der C-Jugend wechselt er zum VfL Schwerte, dem größten Klub in der Stadt, ehe ihn ein Mannschaftskollege für eine noch recht neue Form des Fußballspielens begeistert: eben Futsal. „Florian Kliegel war das, in der A-Jugend“, erinnert sich „Adjo“ Ibeme. „Er hat bei Holzpfosten Schwerte gespielt, und ich bin einfach mal mit zum Training gegangen.“
Seitdem ist er dageblieben, hat ihn die Faszination Futsal gepackt. Florian Kliegel ist Nationalspieler in der Halle geworden, doch wie die meisten in diesem Fach spielt er Fußball nicht in den höchsten Amateurklassen. Für Adjany Ibeme kam das nicht in Frage, „für mich hat der ‘normale’ Fußball immer Priorität gehabt“.
„Durch Futsal habe ich mich technisch stark verbessert.“
Der Futsal aber macht die Abwehrkante zu einem besseren Fußballer. „Natürlich sind auf dem kleinen Feld in der Halle in der Regel kleinere, wendigere und technisch starke Spieler gefragt“, erläutert Adjany Ibeme. „Bei Holzpfosten aber hat man immer auch viel Wert auf Taktik gelegt, sodass ich da gut reinpasste. Und technisch habe ich mich in der Zeit am Ball stark verbessert.“
Halbfinale um die Deutsche Meisterschaft
2017 erreicht er mit dem Kultklub, der auch durch seine witzigen Social-Media-Aktivitäten ziemliche Popularität erlangt, sogar das Halbfinale um die Deutsche Futsal-Meisterschaft. Gegner Jahn Regensburg ist aber eine Nummer zu groß für die Schwerter und zieht durch ein 8:1 ins Endspiel ein. „Es war trotzdem eine sehr geile Erfahrung gegen Jungs auf diesem Niveau anzutreten“, erzählt Adjany Ibeme strahlend. „Auch das ganze Drumherum war ein super Erlebnis. Wir hatten richtig viele Zuschauer in der Halle, die Fans haben uns enorm gepusht.“
Eine Zeit lang ist er jeden Tag in der Woche am Ball oder reist mit dem Regionalligisten zu Turnieren in den Niederlanden oder in der Schweiz. Zugleich absolviert er eine Ausbildung zum Fitnesscoach, da müsste der Tag eigentlich manchmal mehr als 24 Stunden haben. Trotzdem will er nicht kürzertreten, im Gegenteil.
Jeden Tag am Ball
Nach seinem Wechsel vom VfL Schwerte zum Dortmunder Bezirksligisten FC Roj entdeckt der frühere BVB-Profi Mario Plechaty den körperlich starken und spielerisch feinen Innenverteidiger. Plechaty, einer aus dem erlesenen Klub der Spieler mit einem einzigen Bundesligaeinsatz, lotst Adjany Ibeme zum Lüner SV. „Da hatten wir dreimal in der Woche Training, zweimal war ich beim Futsal und am Wochenende stand jeweils ein Spiel an“, berichtet er.
Mit Mario Plechaty geht es voriges Jahr zum FC Iserlohn, dann wirft ihn eine schwere Verletzung aus der Bahn. Im Winter, in der Vorbereitung auf die Rückrunde, reißt ihm bei einem Lauf die Achillessehne. „Den Knall hat man, glaube ich, bis nach Dortmund gehört“, meint Adjany Ibeme.
Er muss ins Krankenhaus und unters Messer. An Fußball ist erst einmal nicht zu denken, an Futsal sowieso nicht. Dennoch öffnet sich für ihn eine neue Tür. Wattenscheid 09 muss nach einer erneuten Insolvenz den Rückzug aus der Regionalliga antreten und für die kommende Saison eine neue Mannschaft aufbauen. Neu-Trainer Christian Britscho hat für die Abwehr einen Kandidaten im Auge: Adjany Ibeme. „Das ist natürlich eine tolle Sache für mich, denn in der Oberliga habe ich bisher noch nicht gespielt“, freut sich der 24-Jährige.
Allerdings ist er derzeit fast 150 Kilometer weit weg vom Lohrheide-Stadion, wo Anfang der 90er der große FC Bayern zweimal als Verlierer vom Platz gehen musste. Adjany Ibeme ist als Personal Trainer bei der Neueröffnung seines Arbeitgebers in Lübbecke in Ostwestfalen im Einsatz. Seine neuen Wattenscheider Teamkollegen hat er daher nur bei der ersten Einheit am 14. Juli kurz getroffen, seitdem muss er zumindest unter der Woche beim Training passen. Als es am Donnerstag für vier Tage ins Trainingslager in die Nähe von Emden ging, war er aber dabei.
Ob er künftig noch gelegentlich für Holzpfosten Schwerte beim Futsal aufläuft, will er sich offen halten. „Jetzt geht es erst einmal darum, in Wattenscheid alles kennenzulernen. Der Verein hat eine große Vergangenheit. Beim Neuaufbau dabei zu sein, wird eine spannende Geschichte“, sagt Adjany Ibeme.
Nationalmannschaft im Blick
Und wer weiß, vielleicht wird er ja noch einmal entdeckt – wie in der A-Jugend beim Futsal. Durch seine Mutter hat Adjany Ibeme neben der deutschen auch Staatsangehörigkeit Estlands. Bisher hat der Fußballverband des Baltikum-Staates allerdings noch keinen Kontakt zum Verteidiger aus dem Ruhrpott aufgenommen. „Realistisch ist das nicht, aber falls doch jemand anruft, würde ich sicherlich nicht nein sagen“, erklärt er grinsend.