Bochum. Derzeit ist für Sportler nur individuelles Training möglich. Das kann auch Vorteile haben, meint Trainingswissenschaftler Alexander Ferrauti.
Zwar stehen auch in Nordrhein-Westfalen die ersten Lockerungen nach dem strikten Kontaktverbot wegen der Corona-Krise bevor, für die meisten Sportler ist es aber noch immer eine prekäre Situation. Sie können nicht wie gewohnt trainieren.
Prof. Dr. Alexander Ferrauti, Trainingswissenschaftler der Ruhr-Universität Bochum, erklärt die Probleme, die vor allem Leistungssportler derzeit haben und gibt Tipps, wie die Workouts den Anforderungen verschiedener Sportarten angepasst werden können.
Leistungssportler können ihren Sport momentan nicht wie gewohnt ausüben. Welche Konsequenzen ergeben sich daraus?
Alexander Ferrauti: Für Leistungssportlerinnen und Leistungssportler von Sportarten, die auf ihre Trainingsstätten wie Schwimmbäder oder Sporthallen angewiesen sind, ergibt sich aktuell ein großes Problem. Ein gemeinsames Mannschaftstraining komplexer spieltaktischer Elemente mit dem gesamten Kader ist momentan noch nicht möglich, sodass nur individuelle athletische oder technische Leistungsfaktoren in Kleingruppen unter Wahrung der notwendigen Vorsichtsmaßnahmen trainiert werden können. In vielen Individualsportarten bleibt nur die Möglichkeit sich auf solche Trainingsinhalte zu konzentrieren, die in Eigeninitiative im häuslichen Umfeld oder im Gelände umgesetzt werden können. Hierbei ist ein Verlust an Trainingsqualität unumgänglich. Selbst für Läufer ist die Umstellung zum Training mit Laufschuhen auf Asphalt an Stelle von Spikes auf der Laufbahn erheblich. Auch motivational sind Einbußen zu erwarten, da Wettkampfhöhepunkte derzeit schwer planbar sind und eine Periodisierung demnach nur bedingt möglich ist.
Kann es bei einem individuellen Training auch Vorteile geben?
Ferrauti: Die aktuelle Situation kann beispielsweise genutzt werden, um an speziellen athletischen oder präventiv wirksamen Aspekten zu arbeiten, die sonst zu kurz kommen. Dadurch können individuelle Defizite gezielt behoben werden. Beispielhaft sind hier sind das Beweglichkeitstraining, Stabilisationsübungen und Yoga sowie das Sprungkraft- und Schnelligkeitstraining zu nennen. Vielfach werden daher von den verantwortlichen Trainern individuell maßgeschneiderte Heimtrainingsprogramme konzipiert und per Videobotschaft versandt. Jugendliche können sich darüber hinaus auch auf die Festigung elementarer Techniken wie beispielsweise auf Wurftechniken im Handball oder auf Kopfbälle im Fußball konzentrieren.
Wie sieht es bei den Freizeitsportlern aus?
Ferrauti: Freizeitsportlerinnen und Freizeitsportler können die sogenannten motorischen Hauptbeanspruchungsformen, also Kraft, Ausdauer, Schnelligkeit und Beweglichkeit, fast uneingeschränkt zu Hause oder an der frischen Frühlingsluft trainieren. In Parks und Wäldern findet man mit ein wenig Kreativität zusätzlich viele natürliche Trainingsmittel wie die Parkbank oder den abgesägten Baumstamm.
Was sind gute Fitnessübungen für zu Hause?
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Ferrauti: Gute Heimprogramme für Kraftsportler sind Liegestütz, vertikale Drückbewegungen wie der Handstand mit Partnerhilfe oder das Stemmen eines Wasserkastens über den Kopf, sowie horizontale Zugbewegungen wie beim Rudern. Hierzu legen Sie sich unter einen Tisch und ziehen sich an der Tischkante hoch. Auch gut geeignet sind vertikale Zugbewegungen wie Klimmzüge. Für das Training der Beine eignen sich Kniebeugen und Wadenheben, was auch einbeinig am Treppengeländer möglich ist sowie Ausfallschritte. Sprünge in verschiedenen Formen eignen sich ebenfalls, beispielsweise einfaches Hüpfen auf der Stelle, oder der Hampelmann. Anspruchsvoller sind da sogenannte Burpees.
Was genau sind Burpees?
Ferrauti: Das sind Hockstrecksprünge in unmittelbarer Kombination mit Liegestützen. Apropos Stütz: Für die Rumpfstabilisation sind Unterarmstütz in Bauch- und Rückenlage und Seitstütz links und rechts gut geeignet. Grundsätzlich ist dadurch ein Krafttraining mit dem eigenen Körper problemlos zu Hause möglich. Nur Isolationsübungen gezielt für einzelne Muskeln sind bei gut Trainierten ohne Hilfsmittel schwierig. Und wer nicht ganz so viel Action braucht: Yoga-Übungen für ein Dehnprogramm lassen sich auch wunderbar auf dem Wohnzimmerteppich ausführen.
Welche Trainingsgeräte kann man zu Hause verwenden?
Ferrauti: Neben dem eigenen Körpergewicht sind Zugbänder oder einfache Zusatzgewichte, wie beispielsweise ein Kartoffelsack, ein Wasserkasten oder große Getränke- oder Waschmittelflaschen hilfreich. Klimmzüge können entweder an einer entsprechenden Stange in der Wohnung oder an einem Ast am Baum im Garten gemacht werden. Bei Stabilisationsübungen können der Pezzi-Ball oder einfach die Bettmatratze als instabile Unterlage herhalten, um Übungen zu erschweren. Gute Trainingsmöglichkeiten bieten auch die Stufen im Treppenhaus und die Bodenfliesen für Frequenzläufe.
Und welche Möglichkeiten gibt es für die ganz jungen Sportler?
Ferrauti: Man könnte mit der ganzen Familie einen Fitnessparcours im Haus und Garten absolvieren. Mit Malkreide lassen sich beispielsweise Bodenplatten für Koordinationsläufe und Sprungserien markieren. Zahlreiche Sportvereine bieten online oder im Fernsehen regelmäßig kindgemäße und motivierend aufbereitete Trainingsprogramme zum Mitmachen an. Wichtige Voraussetzungen für eine Trainingswirkung sind in Zeiten von Home-Office und School@home aber, wie sonst auch, die Regelmäßigkeit und Planmäßigkeit.
Was sollten Sportler beim individuellen Training zu Hause beachten?
Ferrauti: Regelmäßiges Training ist grundsätzlich vorteilhaft zur Stärkung des Immunsystems, während die Abwehrkräfte bei extremen Belastungen allerdings reduziert sind. Selbstverständlich sollten Sportler bei konkreten Krankheitssymptomen, wie beispielsweise Fieber, aber auch bei allgemeinem Unwohlsein nicht trainieren und ihre Körperfunktionen und die Körpertemperatur noch besser kontrollieren als bislang. Ärzte raten von einer vorbeugenden Medikamenteneinnahme ab, um mögliche Krankheitssymptome nicht zu verschleiern. Grundsätzlich sollte entweder allein, nur mit einem Partner in ausreichendem Abstand oder im Familienverbund trainiert werden.
Wie könnten sich speziell Ausdauersportler im Falle einer Ausgangssperre zu Hause fit halten?
Ferrauti: Die Grundvoraussetzung ist ein Laufband oder eine spezielle Vorrichtung für das Fahrrad, ein Rollentrainer in den das Hinterrad eingespannt wird. Es haben sich verschiedene Softwareanbieter etabliert, mit deren Hilfe man in Kombination mit dem eigenen mobilen Endgerät das Training steuern und kontrollieren (Monitoring) kann. Außerdem werden motivierende Streckenparcours angeboten und man kann Wettkämpfe gegen international renommierte Athleten und Gruppenfahrten simulieren. Zahlreiche Top-Athleten nutzen diese Methode auch, um ohne nennenswerte Einbußen an Trainingsumfang über den Winter zu kommen. Oft teilen sie ihre Trainingsergebnisse sogar in den sozialen Medien.
Worauf muss man bei Training mit Online-Programmen achten?
Ferrauti: Online-Programme mit entsprechenden Videos können sehr motivierend sein, andererseits variiert die Qualität der Programme stark und ohne Beisein qualifizierter Trainer und Sportwissenschaftler besteht die Gefahr von Ausführungsfehlern. Es ist darum sinnvoll, einen Spiegel oder die Fensterscheibe zur Selbstkontrolle bei der Ausführung der Übungen zu nutzen. Wichtig dabei ist: Lieber weniger Wiederholungen, dafür aber eine gute Ausführung.