Wattenscheid. Mit einem neuen Vorstand geht die SG Wattenscheid 09 in die Zukunft. Die findet sportlich vielleicht nicht mehr im Lohrheidestadion statt.

Die Kulisse sieht nicht nach Aufbruch aus. Das Flutlicht im Lohrheidestadion ist ausgeschaltet. In der Geschäftsstelle der SG Wattenscheid 09 brennt nur in einem Raum schwaches Licht. Im Lohrheidestübchen liegt noch ein kleiner Papierstapel mit den ausgedruckten Mannschaftsaufstellungen der letzten Regionalliga-Partie des Vereins. Der Regen tut draußen ein Übriges. Christian Fischer (56) und Christian Pozo y Tamayo (38) strotzen dennoch vor Tatendrang. Im Interview erklären die Nachfolger des zurückgetretenen Dragan Markovic, was sie mit dem ehemaligen Regionalligisten vorhaben.

Herr Fischer, Herr Pozo y Tamayo, in der Mitteilung steht der Satz „Der neue Wattenscheider Weg – nie war mehr Aufbruch als jetzt!“ - Ist das nicht sehr forsch formuliert?
Christian Fischer: Nach unserer Vorstellung nicht. Schauen Sie, wo der Verein steht. Derzeit haben wir eine Jugendabteilung, für deren Fortbestand wir glücklicherweise sorgen konnten. Und es gibt einen Gesamtverein, der sportlich mit Blick auf die erste Mannschaft am Nullpunkt steht. In den vergangenen 30, 40 Jahren gab es wohl keinen Zeitpunkt, an dem mehr Aufbruch war. Deshalb stehen wir hinter diesem Titel.

Christian Fischer.
Christian Fischer. © FUNKE Foto Services | Gero Helm

In der Lohrheide herrscht aktuell Ruhe, man hört wenig vom Verein - täuscht dieser Eindruck?
Fischer: Die letzte Meldung war, dass Christian Pozo y Tamayo und ich die Führung des Vereins übernehmen. Und wir sind derzeit mit Arbeit hinter den Kulissen beschäftigt. Dazu gehört, dass wir Menschen und Funktionalitäten des Vereins kennenlernen. Daher muss keiner von uns beiden ein Sprachrohr nach außen sein. Was uns derzeit primär interessiert, ist das Innere des Vereins.

Mal ganz platt gefragt: Warum tun Sie sich die Führung des Vereins an?
Fischer: Nun, für mich ist das einfach: Ich bin dem Verein mehr als 50 Jahre verbunden, war als Sechsjähriger zum ersten Mal im Stadion. Und so habe ich die Entwicklung des Vereins miterlebt. Und irgendwann kommt man an einen Punkt, an dem man merkt: Jetzt geht es wirklich den Bach herunter, es ist wirklich kein Geld mehr da. Dann hat es bei mir ‚Klick‘ gemacht, ich habe die Entscheidung getroffen, mein kaufmännisches Wissen einzubringen. Zugegeben: Einige meiner Freunde haben mich gewarnt. Ich weiß auch noch nicht, was mich erwartet. Aber vielleicht ist das ja auch mein Vorteil.
Pozo y Tamayo: Ich bin hier fußballerisch sozialisiert worden. Mein ältester Bruder hat mich mit ins Stadion genommen, als ich acht Jahre alt war. Ich habe nahezu kein Bundesliga-Spiel in der Lohrheide bzw. auch im damaligen Ruhrstadion verpasst. Die Entscheidung, hier anzupacken, habe ich auf ähnliche Weise getroffen wie Christian Fischer. Wir saßen gemeinsam in einer der Gesprächsrunden mit potenziellen Sponsoren. Unsere Insolvenzverwalterin Dr. Anja Commandeur hat damals ganz konkret das Szenario der Löschung des Vereins skizziert. Erst da wurde mir so richtig bewusst, was eigentlich auf dem Spiel steht. Es ist absolut unvorstellbar für mich, dass es die SG Wattenscheid 09 nicht mehr gibt.

Bei der SGW werden traditionell schnell Visionen gesponnen. Spüren Sie das, wenn Sie mit Ehrenamtlern und potenziellen Mitarbeitern reden?
Fischer: Eine Vision beginnt und endet für mich mit der Realität. Momentan arbeiten wir am Aufbau von Strukturen. Dazu gehören Geschäftsstelle, Mitarbeiter und vor allem ein finanzieller stabiler Rahmen, ohne den es überhaupt nicht geht. Alle Gedanken, die über die Realität hinausgehen, führen auf einen Weg, der in die völlig falsche Richtung geht.

Haben Sie das Gefühl, dass diese Denke schon bei allen angekommen ist? Das war ja bei der SGW nicht immer so.
Pozo y Tamayo: Trotz der Chance auf den Neustart ist eine Insolvenz immer auch eine Niederlage. Das Vertrauen ist weg, man geht mit einer großen Erblast in die Zukunft. Wir müssen dieses Vertrauen als seriöser Geschäftspartner und Arbeitgeber zurückgewinnen. Das kann im Moment nur über die Basis, die Jugend des Vereins gehen. Wattenscheid 09 muss wieder ein bodenständiger Ausbildungsverein werden. Ein Neustart in der Oberliga wäre schön, ist aber keine Selbstverständlichkeit, wenn man die wirtschaftliche Gemengelage betrachtet.

Christiano Pozo y Tamayo.
Christiano Pozo y Tamayo. © FUNKE Foto Services | Gero Helm

Fischer: Ich glaube, dass es viele Köpfe gibt, die denken, dass kurzfristig alles besser wird. Auch höre ich vermehrt, dass die Insolvenz als Anlass für einen Neustart in der Oberliga gesehen wird.

Was entgegen Sie dann?
Fischer: Dass man es langsam angehen soll. Wir sind gerade dabei, die Jugend endgültig zu retten. Aber die laufende Saison ist noch nicht komplett finanziert. Das muss man wissen. Wir können uns gern parallel Gedanken über den Senioren-Bereich machen. Doch eines muss dabei klar sein: Es wird einen definierten Etat für die Jugend und einen für die Senioren geben. Die Verantwortlichen im Junioren-Bereich sind derzeit das Aushängeschild des Vereins. Daher wären wir doch mit dem Hammer gepudert, wenn wir während des Aufbaus auf sie setzen, dann aber Geld vom Jugend-Etat in Spieler für die erste Mannschaft investieren.

Wird in der kommenden Saison überhaupt Herren-Fußball in Wattenscheid gespielt?
Fischer: Ich sagte bereits, dass wir die Jugendabteilung weiter aufbauen. Die ist finanziell noch nicht abgesichert. Jeder potenzielle Sponsor, der beim Wiederaufbau mitwirken möchte, ist herzlich eingeladen, sich mit uns Vorständen konstruktiv auszutauschen, um eine erste Mannschaft aufzubauen. Dagegen würde sich bestimmt niemand wehren. Voraussetzung dafür ist aber, dass es ein klar hinterlegtes Zahlenwerk gibt.

Und dann?
Pozo y Tamayo: Wir befinden uns, was die Entscheidungsgewalt betrifft, in einer komfortablen Situation. Im Laufe der kommenden Monate können wir Bilanz ziehen und sehen, welche Summe uns zur Verfügung steht, um eine Mannschaft aufzubauen. In Abstimmung mit dem Verband können wir entscheiden, in welcher Liga wir dann spielen werden. Dass uns der Verband diese Möglichkeit gibt, ist ein sehr, sehr großer Vorteil für uns. Daraus könnte man interpretieren, dass der Neustart gar nicht zwingend in der Oberliga erfolgen muss.
Fischer: Die Liga ergibt sich am Ende aus dem Budget, das vorhanden ist.
Pozo y Tamayo: Und wir wollen natürlich nicht mit einer Mannschaft an den Start gehen, die an jedem Spieltag verhauen wird. Da muss schon ein schlagkräftiges Team auf dem Rasen stehen. Mit diesen Vorgaben machen wir das, was möglich ist.

Die bundesweite Betroffenheit nach dem Rückzug vom Spielbetrieb war bemerkenswert. Doch wie ist die Resonanz bei der Sponsoren-Akquise für den Senioren-Bereich?
Fischer: Lassen Sie es mich so sagen: In Gesprächen mit potenziellen Sponsoren bekomme ich oft die Aussage zu hören, dass der Verein aus alter Verbundenheit zurück in alte Gewässer muss - also in den höherklassigen Amateurfußball. Wie allerdings schon mehrfach gesagt: Ohne stabile finanzielle Säulen wird daraus nichts. Sonst stehen wir wieder da, wo wir jetzt stehen.
Pozo y Tamayo: Vor allem muss die finanzielle Last auf möglichst vielen Schultern verteilt werden. Wir sind offen und freuen uns über jeden, der bereit ist, mit uns diesen Weg zu gehen.

Wie teuer ist eigentlich ein Spiel im Lohrheidestadion?
Pozo y Tamayo: Mit rund 2.500 bis 3.000 Euro muss man pro Spiel fix rechnen. Wenn der Gästeblock geöffnet werden muss, ist man schnell bei 5.000 Euro. Bei 17 Saisonspielen plus Pokalspielen kommt da eine große Summe zusammen.

Ist ein Auszug aus dem Lohrheidestadion denkbar?
Pozo y Tamayo: Meine Meinung dazu ist, dass eine gute Stimmung mit 400 Zuschauern auf unserem Platz an der Berliner Straße mehr Wert ist als in diesem für eine Amateurliga überdimensionierten Stadion. Ich erinnere mich an eine Saison in der Verbandsliga, in der wir einige Spiele an der Berliner Straße ausgerichtet haben. Das war toll, und es tut dem Fortbestand des Lohrheidestadions ja keinen Abbruch, wenn wir nicht mehr alle zwei Wochen da spielen. Hinzu kommt die angesprochene finanzielle Entlastung.

Der finanzielle Bereich stellte zuletzt die größte Baustelle dar. Inwiefern muss sich der Verein dennoch besser darstellen als zuletzt?
Fischer: Wenn wir über Stabilität sprechen, dann gilt das auch für die Personen, die hier anpacken wollen. Wir brauchen Leute, die miteinander und nicht gegeneinander arbeiten.
Pozo y Tamayo: Eine Überlegung ist, dass wir den Vorstand aufs Maximum ausreizen. Die Satzung erlaubt bis zu fünf Mitglieder. Warum sollen wir das nicht nutzen? So sind viele Personen in der Verantwortung. Und sie können etwas bewegen.

Gibt es die entsprechende Bereitschaft denn?
Fischer: Oh ja. Gerade vor dem Hintergrund der Ist-Situation ist das bemerkenswert. Einige Personen sind natürlich noch unsicher, manche fürchten das Fahrwasser, in dem sich der Verein derzeit befindet. Der eine benötigt womöglich das Signal eines anderen: Wenn einer was macht, folgt ein weiterer. Diese Haltung zieht sich durch die Gremien. Das gilt für potenzielle neue Vorstände wie auch für den Aufsichtsrat.

Stichwort Aufsichtsrat: Josef Schnusenberg hat angekündigt, nicht mehr für dieses Gremium kandidieren zu wollen. Bedauern Sie diese Entscheidung?
Fischer: Ich habe mit Herrn Schnusenberg viele Gespräche geführt. Seinen Entschluss kann und möchte ich nicht kommentieren. Aber so viel: Ich habe ihn als bodenständigen Ostwestfalen kennen- und schätzen gelernt. Er hat mir in aller Klarheit gesagt, was mit diesem Verein möglich ist und was nicht. Damit kann ich sehr gut leben. Zudem hat er uns seine Hilfe angeboten, falls wir sie benötigen.