Bochum. Der von Jonas Ermes und Andreas Luthe gegründete Verein „In safe hands“ bringt den „Bunten Ball“ an die Schulen. Augsburgs Torwart ist begeistert.
Wir sind in der Drachenreiterschule, und dafür ist es doch: ziemlich ruhig. 25 Kinder der ersten Klasse, sechs und sieben Jahre jung, lauschen den Erklärungen von Spielleiterin Greta Tacke. Auch Andreas Luthe, der Profitorwart des FC Augsburg, der doch sonst seine Vorderleute so lautstark dirigiert, hält natürlich seine Klappe.
Luthe ist noch vor dem Trainingsstart beim Bundesligisten auf Heimatbesuch, unterwegs für den Verein „In safe hands“ und gerade beschäftigt in der Turnhalle der Grundschule „Auf dem Alten Kamp“. Der 1,95-Meter-Mann geht in die Knie, sozusagen, er sortiert auf dem Hallenboden die Karten mit Bildern, die via Gesichter vier Gefühle ausdrücken: erschrocken/überrascht, traurig, wütend, glücklich/fröhlich. Luthe mischt die Karten am Ende des Parcours, den die Kinder gleich bewältigen.
Die kleinen Drachen starten im Dorf Draconi
Los geht es in vier Gruppen, jeder Gruppe ist ein Gefühl zugeordnet, das sie am Ende bei den Kärtchen aufdecken müssen wie beim Memory. Die Kinder - pardon: kleine Drachen - starten im Dorf Draconi, krabbeln durch eine Höhle (offener Kasten), flitzen durch einen Wald (um Hütchen herum), balancieren über einen Baumstamm (Bank), klettern einen Berg hoch (Kasten) und springen hinunter ins Tal (auf eine Matte).
Die Sieger-Drachen fliegen einmal durch die Halle
Am Ende decken sie ein Kärtchen auf, Luthe fiebert sichtlich mit. „Jaaa“, ruft ein Junge, als er das richtige Symbol „glücklich“ umgedreht hat, und rast zurück zur Gruppe. Ein Mädchen schüttelt den Kopf, Mist, falsches Kärtchen, dann dreht sie geschwind um. Weiter geht’s in diesem Staffel-Spiel. Am Ende dürfen die Sieger-Drachen einmal bunt und quer durch die Halle fliegen wie glückliche Drachen. Bewegung, Spiel, Emotion und ein bisschen auch Theater und Tanz, alles vereint.
„Bunter Ball“ vereint die besten Ansätze der bisherigen Projekte
Es ist eines der Spiele des pädagogischen Präventionsprojektes „Bunter Ball“, das der von Andreas Luthe und Jonas Ermes gegründete Verein „In safe hands“ in Zusammenarbeit mit der Krankenkasse BKK ProVita in die Grundschulen bringt. Ermes und Luthe spielten einst gemeinsam beim VfL Bochum, gründeten 2015 den Hilfsverein, der längst aus den Fußballschuhen entwachsen ist. „Die Vision von ‘In safe hands’ ist ein vorurteilsfreies und wertschätzendes interkulturelles Zusammenleben“, sagt der 32-jährige Profi-Torwart. „Bunter Ball vereint die besten Ansätze aus unseren bisherigen Projekten, erzeugt nachhaltig Wirkung“, erklärt Andi Luthe. Seine Augen leuchten, als er seine ersten Eindrücke verrät: „Es funktioniert toll, ich bin begeistert.“
Die Grundschule Auf dem Alten Kamp ist die Pilotschule von Bunter Ball
Dass es so gut läuft an der Grundschule Auf dem Alten Kamp, einer Offenen Ganztagsschule der Arbeiterwohlfahrt (AWO), die das Projekt von Beginn an mit entwickelt hat und ständig begleitet, überrascht Greta Tacke nicht. Seit Schuljahresbeginn ist sie jeden Mittwoch bei den Kindern der ersten Klassen, eingebettet sind die 90 Minuten „Bunter Ball“ in den rhythmisierten Ganztag dieser Schule, in der alle Kinder bis 15 Uhr zusammen sind und Anspannungs- und Entspannungsphasen sich im Tagesverlauf abwechseln.
Die Kinder mitnehmen in die Welt der Drachen oder in den Dschungel
Tacke hat das Projekt in ihrer Masterarbeit an der Deutschen Sporthochschule in Köln entwickelt, auch sie lernt ständig dazu, „Auf dem Alten Kamp“ ist die Pilotschule: Seit Jahresbeginn „nehmen wir die Kinder Woche für Woche 90 Minuten in Spielen und Übungen mit in die Welt der Drachen, in den Dschungel oder auf den Mond. So lernen die Kinder spielerisch und mit Bewegung Themen wie Achtsamkeit, Empathie, Emotionsmanagement oder Konfliktlösung“, erklärt sie.
Das Projekt begleitet die Kinder in der gesamten Grundschulzeit
Und, das ist so bemerkenswert wie wichtig: Das Projekt geht über die komplette Grundschulzeit, also vier Jahre. „Hier kratzen wir nicht an der Oberfläche, sondern können in die Tiefe gehen“, sagt Luthe. „Die Kinder werden mit einem beneidenswerten Schatz an positiven Erfahrungen für ihr weiteres Leben ausgestattet“, schwärmt Michael Blasius von der BKK proVita, der an diesem besonderen Vorführ-Tag mit Star-Torwart ebenso in der Halle ist wie Vertreter von AWO, der WAZ und gar ein Film-Team.
Dass trotz des Trubels drumherum Drachen-Chefin Greta Tacke dabei die Ruhe ausstrahlt, die es bei einer potenziell doch wilden Horde kleiner Mädchen und Jungen mit multikulturellem Hintergrund erfordert, merkt jeder, der mal zugucken darf.
Drei weitere Schulen steigen in das Projekt ein
Jonas Ermes ist mehr als zufrieden mit dem Start von Bunter Ball, der nun Schule machen soll: In Bochum und Herne starten drei weitere Schulen nach den Sommerferien, auch in Köln soll das Projekt etabliert werden. „Wir wollen alle Kinder mitnehmen“, betont Jonas Ermes: über Bewegung und Spiel. Und wenn der Fußball als Mittel dient, soziale Kompetenz, Konfliktlösung, ein Miteinander zu fördern, wird auch bei „Bunter Ball“ mal der Ball rollen. Vielleicht: in Klasse 3. Wenn die Kinder dem Drachenalter entwachsen sind.
Hintergrund: Das ist „In safe hands“
„In safe hands“ ist eine im September 2015 von den den beiden Profi-Torhütern Andreas Luthe (früher VfL Bochum, jetzt FC Augsburg) und Jonas Ermes (früher VfL Bochum) gegründete, gemeinnützige Organisation. Sie nutzt Sport und Bewegung als Lern- und Begegnungsmedium, um Kindern unterschiedlichster Herkunft spielerisch zusammenzubringen, Integrationsprozesse zu unterstützen, Werte zu vermitteln, Vorurteile zu verhindern und die emotionalen, sozialen und interkulturellen Kompetenzen zu fördern.
Luthes Heimat: Bochum und der VfL
Während Ermes (27) seine Karriere verletzungsbedingt früh beenden musste, nun hauptamtlich für „In safe hands“ arbeitet und zudem Trainer des Fußball-Oberligisten RSV Meinerzhagen ist, zählt Andreas Luthe (32) zum Kader des Bundesligisten FC Augsburg. In der bayerischen Stadt betreut er ehrenamtlich auch wöchentlich ein integratives Fußball-Projekt seines Hilfsvereins. Seine Heimat aber, sagt der in Velbert geborene und langjährige VfL-Keeper, ist ihm ans Herz gewachsen. Luthe: „Einmal Bochum - immer Bochum. Ich gucke jedes Spiel des VfL, wenn es sich mit unseren Spielen nicht überschneidet.“ Sein Tipp für die kommende Saison? „Das ist schwer. Die Liga ist sehr stark und ausgeglichen besetzt.“