Der Bildende Künstler und Autor Matthias Schamp hat auch mit „sportlichen“ Werken auf sich aufmerksam gemacht.
Herr Schamp, Sie gelten als ausgewiesener Querdenker. Wie fällt Ihre Sicht auf den Leistungssport aus?
Matthias Schamp: Für mich gilt das umgekehrte Prinzip. Im Leistungssport geht es um das berühmte höher, schneller, weiter. Bei mir geht es eher um ein niedriger, langsamer, näher.
Warum das denn?
Auf einen Sieger kommen doch 1000 Verlierer. Das Verlieren ist das universelle Prinzip, nicht das Gewinnen. Mein Programm besteht darin, den Blick dahin zu lenken, wo das vermeintlich Nebensächliche passiert. In der Botanik interessiert mich das Unkraut, nicht die prächtige Blüte. Ein anderes Beispiel: Ich habe mal eine Hamster-Performance veranstaltet. Dazu habe ich aus altem Zeug ein Riesenhamsterhaus gebaut und mit Watte vollgestopft. In das habe ich mich zurückgezogen. Wie ein Hamster eben. Die Besucher, die gekommen waren, haben nur gesehen, wie sich manchmal die Watte bewegt hat, wenn ich mich in meinem Bau bewegt habe. Sonst geschah nichts. Das Ganze stand unter dem Motto „Den Erwartungshorizont unterschreiten – JETZT!“. Den Erwartungshorizont der Zuschauer zu unterschreiten, ist mir sehr wichtig.
VfL-Aufwärtstrend dank Robin Dutt
Ein bisschen zynisch formuliert: Dann passt der in der 2. Liga herumdümpelnde VfL Bochum ganz gut zu Ihnen. Die Erwartungen der meisten Fans sind seit Jahren höher ...
Ach ja, aber im Moment sieht es doch ganz ordentlich aus. Mit Trainer Robin Dutt geht es hoffentlich aufwärts. Ich interessiere mich für Sport, vor allem für Fußball, bin aber auch nicht der ganz exzessive Fan. Der VfL ist mein Lieblingsverein, aber ich würde mir auch wünschen, dass andere Westvereine wieder hochkommen. Rot-Weiss Essen, der Wuppertaler SV, das wäre prima.
Gibt es einzelne Sportler, die Sie begeistern?
Eddie the Eagle ist mein Idol. Dieser Skispringer aus Großbritannien, der immer Letzter wurde. Eddie the Eagle ist Kult.
Sie haben neben vielen anderen ungewöhnlichen Werken und Aktionen auch etliche Projekte mit sportlichem Bezug gemacht. In einer Schule im münsterländischen Ramsdorf zum Beispiel.
Ich habe mir überlegt: Wie kann ich es schaffen, dass sich die Schüler für das, was ich tue, interessieren, ohne dass es vom Lehrer aufgesetzt rüberkommt wie sonst immer? Und dann hatte ich die Idee: Ich komme mit einem Hubschrauber! Wenn man als Künstler mit einem Hubschrauber auf dem Schulhof landet, ist das Interesse von sich aus da. Da braucht kein Lehrer zu sagen, dass das jetzt die Schüler gefälligst zu interessieren hat. Von anderen Schulen wurden noch weitere Kinder und Jugendliche mit Bussen angekarrt. Es gab eine irrsinnige Erwartung. Ich hatte ein T-Shirt an, darauf stand: „Nicht für die Schule, fürs Leben lernen wir.“ Ich habe vier minimale Turnübungen gemacht: die Hände kreisen, Schultern heben und senken, Arme im Wechsel nach hinten führen, Arme ausschütteln. Das war’s. Dann bin ich wieder abgeflogen.
Am Ende kommt sogar die Polizei
Das muss eine Riesenenttäuschung hinterlassen haben.
Ja sicher. Aber mit den Übungen sollte ja nicht nur die Muskulatur, sondern vor allem die Psyche angeregt, gedehnt und gelockert werden. Nicht der Lehrer macht in einer Arena etwas Spektakuläres vor, sondern der Schüler wird radikal auf sich zurückgeworfen. Das bleibt haften. Die Aktion hat super funktioniert.
Wie das Hegel-Projekt...
Die Idee war, im Sinne der Dialektik Fußball und Philosophie zusammenzubringen. Der Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel schien mir dazu sehr geeignet, weil er keine Angst hat, alles umfassend zu erklären, und weil er den Widerspruch zum Grundprinzip erhoben hat. Wenn an Hegels Ansatz etwas dran ist, dann muss er diesen Kontrast aushalten. Wir haben uns dann nach einem Aufruf an der Ruhr-Uni getroffen, Studenten, Professoren, Hegel-Experten, Fußball-Fans. Mit Unterstützung des Akafoe-Kulturbüros boskop hat die Gruppe Hegel-Hools die Ruhr-Uni geentert. Wir hatten vorher Gesänge einstudiert. Wir haben Hegel-Fahnen geschwenkt, Hegel-Schals und Hegel-Kutten getragen. Wir haben Rauchbomben gezündet. Am Ende kam sogar die Polizei. Das war ein toller Schlusspunkt für die Aktion.
Leute werden dazu animiert, mitzumachen
Was singen Hegel-Hooligans denn?
Hooligans eines Fußballvereins begrüßen den Gegner ja gern mit „Wir haben euch was mitgebracht, Hass, Hass, Hass“. Hegel-Hools singen: „Wir haben euch was mitgebracht: Geist, Geist, Geist!“
Das hat sich im Stadion leider noch nicht durchgesetzt
(lacht) Noch nicht. Es gibt übrigens im Stadion viele künstlerische Projekte, die ich toll finde. Die Choreographien von Fans sind oft höchst intelligent gestaltet und inszeniert. Oder die La-Ola-Welle, die erstmals bei der Weltmeisterschaft 1986 in Mexiko durch die Arenen schwappte. Hier werden Leute dazu animiert, mitzumachen. Und wenn die Welle auf der Gegengeraden angekommen ist, sieht man sie selbst. Das ist wie eine Belohnung fürs Mitmachen. Das ist faszinierend.
Treiben Sie auch selbst Sport?
Ich fahre Fahrrad, ich habe auch gar keinen Führerschein. Ein Transport von Kunstwerken ist mit dem Rad allerdings schwierig. Grundsätzlich ist mir sportliche Betätigung wichtig. Wenn ich den Berg hochfahre, bleibe ich im höheren Gang und schalte nicht in den ersten Gang. Ein E-Bike kommt für mich niemals in Frage. Sport ist eben teilweise auch anstrengend, das passt. Ich liebe meine Arbeit auch deshalb, weil sich wenige Routinen bilden. Das ist anstrengender, aber interessanter.
>>> Fünf Fragen an...: „Sport trifft Kultur“ – der Fragebogen zur WAZ-Serie
Komplettieren Sie bitte diesen Satz: Schulsport war für mich...
Matthias Schamp: ... Hoppla, nicht so schnell. Das muss ich differenzieren:
Turnen – die Hölle! (Von der Künstlerin Christiane Möbus hab ich unlängst in der Heilbronner Kunsthalle eine Arbeit gesehen, die die Sache auf den Punkt bringt. Ein überdimensionaler Turnbock, vor dem man auch als Erwachsener plötzlich ganz klein steht. Wie früher als Knirps. Und gleich war alles wieder da – der Schweißgeruch, der Turnhallenhall, das Gefühl der Zumutung, da drüber zu müssen, und das antizipierte „AUTSCH!“)
Leichtathletik – öde! Ich hab es nie begriffen, warum man sich total anstrengen und an seiner Technik feilen soll, um etwa zehn Zentimeter weiterzuspringen. Diese zehn Zentimeter bedeuteten mir nichts.
Fußball, Schwimmen, Tischtennis – eine willkommene Abwechslung.
Welches Buch hat bei Ihnen einen starken Eindruck hinterlassen?
Oje, da gibt es viel zu viele. Da die Eindrücke in verschiedene Richtungen zielen und auf den unterschiedlichsten Ebenen liegen, lässt sich nicht sagen, welches davon das stärkste gewesen sein könnte. Insgesamt haben mir Bücher von Kindheit an viel gegeben. Das hält immer noch an. Ich fresse Bücher.
Mehr in der Tiefe als in der Breite: the happy few
Glauben Sie, dass es Gemeinsamkeiten im Leben der Künstler und Sportler gibt?
Unbedingt!
Top-Künstlern und Spitzen-Sportlern wird ständig auf die Finger und Füße geschaut. Ist Ihnen das unangenehm, oder lässt Sie es kalt?
Wenn die andrängenden Massen lästig werden, scheuchen meine Bodyguards sie weg... ;-)
Nee, mal im Ernst: Bei einem Bildenden Künstler und Autor interessieren sich die Menschen mehr für das Werk als für die Person. Und das ist gut so. Außerdem lassen sich die Produkte meiner kleinen gut gehenden Sinnsucherei vielleicht am ehesten mit denen einer sehr exquisiten Feinbäckerei vergleichen. Ich suche (und finde) mein Publikum mehr in der Tiefe als in der Breite: the happy few.
Bekommt der Sport im Vergleich zu viel öffentliche Aufmerksamkeit?
Jeder und alles bekommt die Aufmerksamkeit, die er und es verdient. Wenn ich etwas grundsätzlich nicht ab kann, dann ist es das Gejammer wegen zu wenig Aufmerksamkeit.
>>> WAZ-Serie „Kultur trifft Sport und Sport trifft Kultur“
Das Interview gehört zu unserer neuen Serie „Kultur trifft Sport und Sport trifft Kultur“. Es geht dabei um einen Rollentausch von Kultur- und Sportredakteuren in Gesprächen mit Künstlern und Kulturschaffenden sowie Sportlern.