Auf Emotionen kommt es an, sagt Bochums Generalmusikdirektor Steven Sloane im Interview der Serie „Sport trifft Kultur“. Er ist großer Sportfan.
Herr Sloane, wann waren Sie das letzte Mal in den USA?
Vor kurzem erst, ich habe im Sommer mit meiner Familie in Los Angeles Urlaub gemacht. Ich bin dort geboren und aufgewachsen, und wie immer, wenn ich mal wieder dort bin, gehe ich auch ins Stadion. Was Baseball angeht, bin ich ein richtiger Freak.
Das müssen Sie erklären…
Ich versuche, möglichst kein wichtiges Spiel zu verpassen, egal wo ich gerade bin – das Internet ist für einen Fan wie mich also ein Segen! Ich habe ein Abo für die Live-Übertragungen, und wegen der Zeitverschiebung verbringe ich teilweise ganze Nächte vor dem Bildschirm. Die Spiele der Dodgers in der Major League, der höchsten Liga, sind einfach zu spannend, um schlafen zu gehen…
Was fasziniert Sie so sehr am Baseball?
Tja, wie erklärt man so etwas? Ich habe diesen Sport schon als Kind geliebt. Da geht es um einen besonderen Teamgeist, aber auch um individuelle Fähigkeiten einzelner Spieler, um Strategien, um überraschende Wendungen – es ist einfach spannend. Noch dazu hat Baseball für die Zuschauer eine große soziale Komponente – gerade die Unterbrechungen, die manche an Fußball gewöhnte deutsche Zuschauer zeitraubend finden, werden von amerikanischen Fans dazu genutzt, sich mit anderen auszutauschen und den Spielverlauf zu diskutieren.
Von den Dodgers und teuren Eintrittskarten
Hat Ihr Lieblingsteam aus Los Angeles gewonnen, als Sie jetzt da waren?
Nicht alle Spiele, nein. Im letzten Jahr haben die Dodgers die National League gewonnen und in der World Series gegen den Gewinner der American League, die Houston Astros, gespielt. Ich habe alle Partien dieser best-of-seven-Finalserie im Internet gesehen. Erst im siebten Spiel kam es zur Entscheidung, und ich wollte eigentlich mit meinem Sohn hinfliegen, habe aber keine Karte mehr bekommen. Vielleicht auch besser so, denn der Schwarzmarkt-Preis lag bei 15 000 Euro! Leider haben wir am Ende dann verloren.
Baseball können Sie vermutlich nur schwer in Deutschland spielen. Sind Sie anderweitig sportlich aktiv?
Sport ist eine große Leidenschaft von mir, ich habe seit meiner Kindheit alles Mögliche ausprobiert. Hier in Bochum bin ich seit langer Zeit Mitglied bei den VfL Basketballern (heute VfL Astro-Stars Bochum, die Redaktion), habe aber leider viel zu wenig Zeit, um selbst zu spielen. Seit etwa zwei Jahren spiele ich aber wieder regelmäßig Tennis, das hatte ich zuvor fast 40 Jahre lang nicht getan.
Von einem Tennisarm
Nichts verlernt?
Ganz verlernt man es nicht, aber ich muss meine Rückhand verbessern. Und leider habe ich gerade ein bisschen einen Tennisarm…
Reicht Tennis als Training für Sie?
In Berlin, wo ich meinen zweiten Wohnsitz habe, gibt es eine Basketball-Truppe, mit der ich hin und wieder spiele, und außerdem mache ich regelmäßig klassisches Fitness-Training und gehe laufen.
Fühlen Sie sich als Dirigent auch ein wenig als Hochleistungssportler?
Zumindest kann eine gewisse Fitness nicht schaden, denn tatsächlich ist das Dirigieren durchaus eine auch körperlich herausfordernde Tätigkeit. Auf jeden Fall ist Sport aber für mich ein wunderbarer Ausgleich zu meinem Beruf.
Als Dirigent sind Sie wie ein Trainer. Was zählt zu Ihrer Philosophie?
Bei den BoSy haben wir einen Klangkörper aus 85 ganz verschiedenen Persönlichkeiten. Ich versuche, ein Teil des Teams zu sein, Impulse zu geben, aus denen dann die Musiker selbst ihr Potenzial entfalten können. Unser Orchester ist ein echter Schatz, und nun, im neuen Haus, können wir endlich strahlen und zeigen, was wir können.
Das Musikforum ist ein Lebenswerk
Das Anneliese-Brost-Musikforum Ruhr ist auch Ihr Lebenswerk. 24 Jahre sind Sie nun schon Bochums Generalmusikdirektor, wenn Sie Ihr Amt abgeben, werden es 27 Jahre sein. Dabei stehen Dirigenten wie Sie ähnlich im Transferfenster wie Fußball- oder Basketballprofis. Was Rekordspieler Ata Lameck für den VfL Bochum ist, sind Sie für die klassische Musik dieser Stadt. Warum diese Treue?
Zu Beginn meiner Zeit hier wollte ich gemeinsam mit den Musikern vor allem die musikalische Qualität des Orchesters entwickeln und damit gleichzeitig auch die Akzeptanz der Bochumer Symphoniker in der Stadt vergrößern. Tatsächlich sind die Zuschauerzahlen gestiegen, die BoSy haben sich als ganz wesentlicher Teil des Kulturlebens unserer Stadt etabliert. Und dann haben wir ja gemeinsam mit unserem Freundeskreis und den vielen Förderern und Unterstützern sehr lange um ein eigenes Haus gekämpft, und es war mir wichtig, für das Publikum und für das Orchester erfolgreich zu sein und das Ziel dieses gemeinsamen Weges zu erreichen. Das Musikforum ist ein Traum, ich empfinde es jeden Tag aufs Neue als ein Privileg, hier zu arbeiten. Es ist ein Haus für alle Bochumer geworden.
Auch viele Sportler wünschen sich ein neues Haus, die Basketballer etwa.
Ich wünsche allen, dass sie ihren Traum von einer Spielstätte verwirklichen können. Das Wichtigste ist, nicht aufzugeben. Wir haben fast 20 Jahre gebraucht…
Von 2000 Konzertbesuchern, die eine Hymne singen
Was unterscheidet die Spitzensportkultur in den USA von der in Deutschland?
Hier ist Fußball die klare Nummer eins, wobei der Stellenwert von soccer in den USA gerade in den letzten Jahren deutlich gestiegen ist. Ein Unterschied ist aber sicherlich auch die Fankultur: In Amerika sind Sportveranstaltungen eher Familienfeste, hier sind die Männer im Stadion eindeutig in der Mehrheit. Universal ist aber sicher, dass die Emotionen, die beim Sport ausgelöst werden, unheimlich wichtig sind. Und das ist dann wieder etwas, das der Sport mit der Musik gemeinsam hat. Und manchmal kommt das sogar sehr schön zusammen.
Haben Sie dafür vielleicht ein Beispiel parat?
Ja, sogar ein besonders nettes: Ich war zur Zeit der Halbfinale im American Football als Gast beim Chicago Symphony Orchestra. Genau in der Zeit unseres Konzertes lief das Spiel zwischen den Chicago Bears und den New Orleans Saints. Vor dem Schlussapplaus habe ich hinter der Bühne erfahren, dass Chicago gewonnen hatte. Ich habe mir dann ein Bears-Trikot übergezogen, bin zurück auf die Bühne und habe ihre Hymne gespielt. Alle 2000 Zuhörer dieses klassischen Konzertes haben mitgesungen, voller Emotionen und voller Leidenschaft – das war grandios, unvergesslich! Dafür gibt es keinen Ersatz, das geschieht, wenn man nicht nur mit dem Kopf, sondern auch mit dem Herzen bei der Sache ist.
„Kultur trifft Sport – Sport trifft Kultur“