Schauspieler und Lebenskünstler Giampiero Piria übt in unserer Serie „Sport trifft Kultur“ Kritik am Profifußball - und plädiert für mehr Tanz.
Herr Piria, ist Sport eine Form des Theaters?
Ja, grundsätzlich. Wenn Gladiatoren-Kämpfe im alten Rom eine Form des Theaters waren, sind es Fußballspiele auch. Eine Predigt ist auch eine Form des Theaters, oder eine Rede zur Lage der Nation. Speziell Fußball ist für mich vergleichbar mit Free-Jazz.
Inwiefern?
Beim Fußball gibt es Systeme, wie das 4-3-3. Eine Grundformation. Beim Free-Jazz sind das zum Beispiel die Patterns (Musik-Struktur, die Redaktion) oder ähnliche Übereinkünfte. Der Rest ist Improvisation, das freie Spiel mit offenem Ausgang. Das macht den Reiz aus. Aber es gibt einen Unterschied: Beim Jazz zählt nicht das reine Leistungsprinzip, es gibt keinen Sieger oder Verlierer. Es gibt nur Musiker, die sich frei entfalten. Das unterscheidet grundsätzlich den Leistungssport von der Kunst.
Auch in der Kunst gibt es Erfolgreiche und weniger Erfolgreiche...
Wer soll das entscheiden? Wer kann es beurteilen und nach welchen Kriterien? Grundsätzlich ist das Verhältnis vom Zuschauer zur Kunst eher verkrampft, ich schließe mich nicht aus. Beim Betrachten der Kunst ist man geneigt, sich sicherer zu fühlen, wenn wir mit Wissen hantieren können, das wir uns vorher aneignen, anstatt mit dem eigenen Empfinden. Es findet viel zu wenig Austausch zwischen Eltern und Kindern über Kunst statt, weil die Eltern eigentlich nur Schiss haben, ihren Kindern etwas nicht erklären zu können. Im Fußball – und in anderen Sportarten auch – scheint es einfacher. Da geht es um etwas Konkretes. Ein Ergebnis etwa.
Fußball bleibt ein Eiertanz
Das Einfache ist besser zu erklären und zu verkaufen ...
Nehmen Sie diese ganzen Diskussions- und Expertenrunden. Da wird dem Fußball etwas aufgesetzt, das es nicht hat. Es bleibt doch ein Spiel, ein Eiertanz, bei dem eine Kugel ins Netz muss. Nichts Besonderes eigentlich.
Haben Sie keine Leidenschaft mehr dafür übrig?
Kannste vergessen. Es gibt so viele falsche Vorbilder im Fußball, Krawalle selbst schon bei Jugendspielen. Dann die Fifa, diese mafiöse Angelegenheit. Und die Preise für Spieler, ihre Gehälter - das ist pervers. Viele Sportler – auch anderer Disziplinen – pumpen sich mit Chemikalien voll. Dann das ganze Bohei drumherum, von den Medien. Das geht mir auf den Sack. Dazu kommt die Unklarheit, ob Sport etwas mit Politik zu tun hat.
Hat er das?
Vor der WM erst haben die Pappnasen Özil und Gündogan mit Erdogan posiert. Ich bin in Deutschland geboren, meine Eltern stammen aus Italien, aber ich würde doch nie mit einem italienischen Politiker hausieren gehen. Ich würde höchstens mit Italiens Torwart-Legende Gianluigi Buffon ein Lied singen, der macht das so schön leidenschaftlich bei der Hymne.
Profifußball als Perversion - also ist es Ihnen auch egal, was der VfL Bochum so treibt?
Nein, das nicht. Weil ich ein überzeugter Bochumer bin. Es ist meine Stadt, dann ist es auch irgendwie mein Verein. Der VfL ist ein kleiner Verein mit einem großen Charme. Mit meinem Sohn gehe ich auch ab und zu ins Stadion. Ich bin schon bewusst informiert, was beim VfL passiert. Mit Trainer Robin Dutt geht es ja aufwärts zum Glück.
Warum Neymar kein Schauspieler ist
Zurück zu den Großen. Bei einem wie Neymar müsste Ihnen doch das Herz aufgehen, wenn er sich so bühnenreif auf dem Rasen wälzt...
Viele denken, dass Schauspielerei etwas mit Täuschung zu tun hat. Seine „Judorolle“ als Schauspielerei zu bezeichnen ist eine Beleidigung für meinen Beruf. In der Schauspielerei wird etwas offen gelegt. Deshalb gibt es auf der Bühne nicht drei Wände, sondern vier. Die vierte aber ist transparent.
Kann Sport nicht auch Kunst sein?
Er ist ein Teil der Kultur. Und wenn die Brasilianer den Ball mit den Füßen streicheln, wenn die Belgier einen klasse Konter spielen, kann man von einer Kunstform sprechen. Aber das Leistungsprinzip stört die künstlerische Freiheit, viele Sportarten sind nicht von ungefähr aus Kriegsgründen entstanden, zur Ertüchtigung, Disziplinierung. Ich bin halt auch Pazifist aus Überzeugung.
Es gibt auch positive Seiten des Spitzensports
Kann Sport nicht Frieden stiften?
Ich will nicht verbittert klingen und niemanden vergraulen, der beim Sport Erfüllung findet, ich will nur klar sein. Es gibt gute Seiten beim Sport, zum Beispiel die vielen fröhlichen Zuschauer. Und das Fairplay – wenn es gelebt wird. Wie bei der WM 2002 die siegreichen Türken nach dem Spiel um Platz drei mit den Südkoreanern gemeinsam vor die Fans traten, das war eine großartige Geste.
Der Sportbegriff ist sehr weit, er wird unterschiedlich interpretiert.
Unter Sport verstehe ich in erster Linie Leistungssport. Und der Leistungsgedanke wird überhöht. Leistung ist keine authentische Basis, die zum Erfolg führt. Wir sollten lieber wieder mehr Energie dafür aufwenden, unsere Kinder zum Tanzen zu bewegen.
Ist Tanzen kein Sport?
Mir geht es um den freien Tanz, das ist eher eine Form der Kunst, die Geistigkeit und Körperlichkeit vereint, wie zum Beispiel Pina Bausch es vorgelebt hat.
Wie halten Sie sich körperlich fit?
Ich gehe viel spazieren. Das ist eine meditative Bewegung, kein Sport.
Sie spielen im Theater der Gezeiten vor 30 Zuschauern. Die Fußballer von Schalke oder dem BVB spielen vor 60 bis 80 000. Neid?
Nicht mehr. Früher vielleicht, aber ab 50 wird man gelassener. Wo sich viele Menschen versammeln, passiert leider auch viel Blödsinn. Im kleinen Raum ist der Kontakt zum Publikum viel intensiver. Theater ist deshalb so unmittelbar und intim.
Zur Person: Schauspieler, Theater- und Lebenskünstler
Giampiero Piria (54) ist ein ruhrgebietsweit bekannter Schauspieler, Theater- und Lebenskünstler. Er produzierte viele Stücke im Bereich des humoristisch-literarischen Musiktheaters. Er ist designierter Leiter des Theaters der Gezeiten im Künstlerviertel an der Schmechtingstraße.
Das Theater vereint Künstler aus Sprechtheater, Tanz, Performance, Bildender Kunst, Musik. Nebenan leitet er das Schubladen-Museum, macht Führungen der Kiosk-Wallfahrten, ist Leiter der Theatergruppe Thealozzis Kinder. Piria, geboren in Oberhausen, lebt seit 30 Jahren in Bochum.
„Kultur trifft Sport und Sport trifft Kultur“