Wir haben mit Germanist Ralph Köhnen gesprochen. Der RUB-Professor ist froh, keine Ausschlussentscheidungen wie im Sport treffen zu müssen.

Ralph Köhnen (57) ist Professor am Germanistischen Institut der Ruhr-Universität Bochum. Habilitiert hat sich Köhnen 2006 mit: „Das optische Wissen. Eine Geschichte des Auges in Literatur, Malerei, Physiologie und Medizin.“ Außerdem steht er der Literarischen Gesellschaft Bochum vor.

Als Sie die Idee mit dem Foto und dem Ball äußerten, habe ich mich gefragt, ob es da bei Ihnen früher einen geheimen Traum gegeben hat. Wären sie als Junge gerne Fußballer geworden?

Köhnen: Gut geraten. Bis zum Alter von etwa 12 habe ich in Jugendmannschaften rumgekickt mit dem Riesenehrgeiz, den Netzers, Müllers und Beckenbauers nachzueifern. Dann kommt das Körperliche ins Spiel und man spürt die Grenzen. Seitdem verfolge ich das nur noch hobbymäßig.

Professor Ralph Köhnen mit dem Ball, um den sich (fast) alles dreht.
Professor Ralph Köhnen mit dem Ball, um den sich (fast) alles dreht. © Ingo Otto

Steht denn bei Ihnen heute der Spaß oder der Fitnesscharakter des Sports im Vordergrund?

Beides in gleicher Weise. Joggen tut irgendwann weh, man macht es der Fitness wegen. Radfahren ist spannend – die Landschaft als Kino. Fußball ist eigentlich Raubbau an der Gesundheit, geht auf Gelenke und Bänder, macht aber Spaß. Also, es ist ein Gemisch aus beidem.

Wenn Sie sich mit einem Fußballtrainer vergleichen: Müssen Sie nachsichtiger sein? Sie haben ja Studenten vor sich und keine Profis. Aber Sie wollen Ihren Studenten etwas beibringen und eine bestimmte Leistungsebene erreichen.

Das ist die geheimnisvolle Balance, die man erzielen muss als Trainer und als Pädagoge. Es muss ein klares Anforderungsprofil geben, das aber auch zu schaffen sein soll. Nachsicht ist sicher auch gefordert. Wenn es um Einstellungsfragen geht, dann muss man schon mal ans Eingemachte gehen.

Empfinden Sie sich überhaupt als eine Art Trainer, kann man das miteinander vergleichen?

Einer ist vorne und macht Ansagen, aber ohne Eindenken und Einfühlen in die Gruppe wird das nichts. Wenn ich dann mal in diese Wadenbeißer-Position komme und Dinge sehr genau nachhalte, dann hat man mich schon mal als Trainer tituliert, beschimpft, gelobt, was auch immer. Insofern kann man das schon miteinander vergleichen.

Man muss auch harte Entscheidungen treffen als Trainer, muss im Fußball beispielsweise 18 Spieler nominieren und dann die ersten elf. Das ist ein harter Cut.

Ja, das gehört zu den schlimmen Aufgaben, solche Ausschlussentscheidungen könnte ich nur schwer treffen und muss es zum Glück nicht. Darum beneide ich auch Fußballtrainer nicht. Da haben es Pädagogen leichter. Wir können noch jemanden aufnehmen und noch jemanden, wir freuen uns ja über jeden, der einen Abschluss macht. Das gilt auch für Seminarbesetzungen. Da möchte man bei 50 Anmeldungen Schluss machen, aber es geht auch zur Not mit 100. Das kann sogar richtig Spaß machen.

Das kann Spaß
machen?

Schon, ja - es kommt auf die Gruppe an. In der Masse gibt es eben auch viele, die richtig gut sind.

Im Leistungssport wird der kleinste Fehler umgehend bestraft und in der Öffentlichkeit breit diskutiert. Da haben Sie es in der Wissenschaft oder als Kulturschaffender doch besser, oder?

Literarische Gesellschaft besteht schon seit 1905

Die Literarische Gesellschaft Bochum, 1905 gegründet, gehört zu den ältesten kulturellen Einrichtungen der Stadt.

AutorInnenlesungen und Diskussionsveranstaltungen gehören zu ihrem Programm, aber auch Vermittlungsdienste im Literaturbetrieb allgemein, ebenso Performances (‚Lesemarathon’) oder Schreibwettbewerbe (aktuell: ‚kurz & schmerzlos’ – bis 15. Sept. 2018). http://www.literarische-gesellschaft-bochum.de

So gesehen haben wir es auf jeden Fall besser, weil wir nicht so viel Publizität bekommen. Uns wird nicht jeder Fehler nachgetragen. Wenn man sich allerdings blamiert bei größeren Veranstaltungen, vielleicht mit 200 oder 300 Leuten im Saal, dann wird einem das auch hinterherlaufen. Ist aber kein Vergleich mit dem Unannehmlichkeitsfaktor im Sportbusiness.

Als Germanist haben Sie es mit Literatur zu tun, aber auch mit Linguistik. Auf den Sport übertragen: Kann man da von Kür und Pflicht sprechen?

Da hat jeder seine Schwerpunkte. Ich bin für Literaturgeschichte und Literaturdidaktik zuständig. aber man nutzt ja immer auch linguistische Analysewerkzeuge, um an die Literatur ranzugehen, sonst bleibt es unpräzise. Insofern ist das schon nicht nur Pflicht, sondern gehört auch zur Kür, wenn wir uns als Literaturinterpreten um Linguistik bemühen. Und ganz nebenbei: Man leidet ja auch, wenn man Seminararbeiten liest, an den dortigen linguistischen Unzulänglichkeiten. Wir bilden schließlich Deutschlehrer aus, da geht die Linguistik bei der elementaren Grammatik los, weiter über Analysen der Gegenwartssprache bis zur Sprachphilosophie. Das darf und muss sein.

Zum Abschluss etwas Aktuelleres: Das Thema Integration wird, siehe Özil, im Sport eher emotional diskutiert. In der Wissenschaft geht das wohl nüchterner zu. Bräuchte die Debatte in der Öffentlichkeit mehr Nüchternheit?

Absolut. Das ist eben auch die Falle der großen Publizität, in die der Fußball gelaufen ist und die er im Kampf um die Ressource Aufmerksamkeit gerne riskiert hat. Es wird aber zu viel daran aufgehängt. So toll der Fußball für die weltweite Verständigung sein kann und dafür ein unglaublich gutes Instrument ist, so problematisch kann die weltweite Medienbeobachtung werden, die dann auch kämpferische Züge annimmt. Solche Prozesse vollziehen sich in Kultur und Wissenschaft erheblich sachlicher. Die Ruhr-Uni hat sich Internationalität als ein Motto gegeben, und das ist eigentlich ein akademisches Leitbild: Fremdheit bedeutet Zugewinn, Toleranz ist unabdingbar und ermöglicht Freiräume für alle. Das wird im Sport so nur teilweise realisiert.

Gibt es auch unterschwellig nichts, was Ihnen dazu einfällt?

Sport trifft Kultur Vignette Serie Bochum
© Funkegrafik NRW

Es hat, wie bekannt, finstere Abschnitte auch in der deutschen Geschichte gegeben. Was aber die jüngere Gegenwart angeht, sind mir keine Fälle von Diskriminierung zu Ohren gekommen. Dass man kulturelle Stereotypen gegen eine Person wendet, ist unserem Metier fern. So etwas bietet sich, meinen wenigstens Teile des Publikums, bei Weltstars des Fußballs an. Das bekommen die dann, vor allem in den social media, zu spüren. Leider.

>>> WAZ-Serie „Kultur trifft Sport und Sport trifft Kultur“

Das Interview gehört zu unserer neuen Serie „Kultur trifft Sport und Sport trifft Kultur“. Es geht dabei um einen Rollentausch von Kultur- und Sportredakteuren in Gesprächen mit Künstlern und Kulturschaffenden sowie Sportlern.