Witten. Bei der EM der Parathleten in Polen hofft der Wittener Marcel Böttger auf eine starke Leistung. Die soll ihn möglichst bis nach Tokio bringen.

Was für ein schneller Läufer er ist, das wusste Marcel Böttger schon ganz lange. Sich aber regelmäßig zum Training aufzuraffen und etwas aus seinem Talent zu machen, das dauerte beim mittlerweile 28-Jährigen schon deutlich länger. Seit 2019 erst trainiert der Wittener Physiotherapeut in professionellem Umfeld beim TV Wattenscheid 01, nahm in seinem ersten Jahr dann auch direkt an der Weltmeisterschaft über die 100-Meter-Sprintdistanz teil und wurde auf Anhieb guter Siebter.

Ein ungewöhnlicher Werdegang? Allemal, denn: Marcel Böttger ist blind. In ein paar Wochen könnte der rasante sportliche Aufstieg des Physiotherapeuten, der in einer Wittener Praxis angestellt ist, noch einen Schritt weiter gehen. Dann stehen in der japanischen Hauptstadt Tokio nicht nur die Olympischen- sondern auch die Paralympischen Spiele auf dem Programm - das erklärte Ziel des 28-Jährigen. Um beim größten Sportevent der Welt dabei sein zu können, muss Böttger bis zum Stichtag am 20. Juni aber noch die erforderliche Norm von 10,87 Sekunden laufen. Gelingen soll das am kommenden Wochenende bei der Europameisterschaft der Parathleten im polnischen Bydgoszcz.

Mit seinem Guide Alexander Kosenkow ein prima Gespann

Mit seinem Guide Alexander Kosenkow, selbst ein exzellenter Sprinter und lange Teil des DLV-Nationalkaders, bereitet sich Böttger seit mehreren Monaten auf den Wettkampf vor. Das jedoch leider mit einem gravierenden Zwischenfall: Ende Februar infizierte sich Böttger mit dem Coronavirus. „Wie das passiert ist, kann ich gar nicht sagen, aber es war wirklich eine schwere Infektion. Die ersten vier Wochen konnte ich überhaupt keinen Sport machen. Erst in den Wochen vier bis acht nach der Infektion konnte ich unter Belastung wieder relativ normal atmen“, erzählt er.

„Die Infektion kam zum ungünstigsten Zeitpunkt, den man sich vorstellen kann. Im letzten Jahr wäre es nicht so schlimm gewesen, aber dieses Jahr war es dann schon ein heftiger Rückschlag für meine Vorbereitung auf die Wettkämpfe“, so der sehbehinderte Athlet. Dass er die Olympia-Norm am bevorstehenden Wochenende bei den Titelkämpfen in Polen schafft, daran glaubt der bescheidene Wittener derzeit noch nicht. „Ich habe da nicht so ein gutes Gefühl. Ich wäre schon zufrieden, wenn wir eine Zeit unter elf Sekunden schaffen würden.“

Corona-Infektion warf den Wittener Sprinter weit zurück

Anders als bei den nicht-sehbehinderten Sprintern ist die Leichtathletik-Disziplin bei den Parathleten keine Einzelleistung. Während des Rennens muss sich Böttger voll und ganz auf seinen Guide Alexander Kosenkow verlassen. „Ohne ihn wüsste ich kaum, wo ich hinlaufen würde. Ich muss ihm komplett vertrauen, um an meine Bestleistung heranzukommen.“ Kosenkow selbst gehörte einst zu den besten Sprintern Deutschlands, nahm an den Olympischen Spielen 2008 in Peking teil und erreichte mit der deutschen Staffel den fünften Platz.

Auch interessant

Seit 2019 begleitet er Marcel Böttger nun auf seinem Weg zum nächsten internationalen Großevent. „Als wir angefangen haben, zusammen zu trainieren, lief es im wahrsten Sinne des Wortes erst einmal gar nicht gut (lacht). Es hat erstmal eine Weile gedauert, bis der Armschwung gestimmt hat und wir uns aufeinander abgestimmt hatten. Mittlerweile gibt es aber überhaupt keine Probleme mehr, ich kann mich zu 100 Prozent auf ihn verlassen. Selbst nach den zwei Monaten, in denen ich aufgrund der Corona-Infektion nicht trainieren konnte, kamen wir danach super miteinander klar und waren schnell wieder im Rhythmus“, berichtet Böttger.

Weitere Chancen warten in Dortmund und in Cottbus

Sollte es im Wettkampf, der am kommenden Samstag in Polen startet, tatsächlich nicht zur Olympia-Norm reichen, hat Böttger mit seinem Partner Kosenkow noch weitere zwei Möglichkeiten, die erforderliche Zeit als Bestandteil eines offiziellen Wettkampfes zu erreichen: „Am 12. Juni soll in Dortmund noch ein Wettkampf stattfinden, und am 20. Juni kommt dann die letzte Chance beim Wettkampf in Cottbus.“

Gelingt es dem ehrgeizigen Parathlet, die Norm bis zum Stichtag zu schaffen, ginge für den Wittener Marcel Böttger ein großer Traum in Erfüllung: „Klar, das würde mir sehr viel bedeuten, nach Tokio reisen zu dürfen. Ich habe in den letzten Monaten viel auf mich genommen, habe neben der Arbeit immer noch viel trainiert. Das wäre schon eine tolle Geschichte, wenn ich das schaffen würde.“