Duisburg. Die Liebe vieler Zuschauer gilt beim MSV Duisburg dem Trikot, aber nicht mehr dem, der es trägt. Eine Analyse nach dem erreichten Klassenerhalt.

Am Samstag war in der Schauinsland-Reisen-Arena für Duisburg bislang Einmaliges zu erleben. Die Fans des MSV Duisburg pfiffen eine siegreiche Mannschaft aus. Dem Zebra galt ihre Liebe. Den Männern im weiß-blau gestreiften Hemd ihre Verachtung. Eine solche Kluft gab es nie, seit der MSV 1963 zum ersten Mal in der Bundesliga zeigte, wo Meiderich liegt. Auf einem Plakat war nach dem Schlusspfiff zu lesen: „Keine Entschuldigung für euer Versagen.“ Das 1:0 über den SC Freiburg II übersetzte sich nicht zu einem „Ende gut – alles gut“.

MSV Duisburg: Fans hoffen auf bessere Zeiten

11.698 Zuschauer waren zum letzten Heimspiel gekommen. Sie wollten zur Rettung des Vereins beitragen. Denn sie wussten: Die elf Männer auf dem Platz können sich nicht selbst helfen. Die Fans hofften, den MSV siegen zu sehen. Von den meisten Menschen im Trikot wünschten sie sich, dass sie ihnen vorläufig nicht wieder unter die Augen kommen. Die Herren in der Verantwortung beim Fußball-Drittligisten, der dies nun für zunächst ein Jahr auch bleibt, sollten darüber nicht nur staunen. Sie sollten diesen Riss im Tischtuch als dringende Warnung sehen.

Die Duisburger Spieler mussten nach dem Sieg gegen Freiburg neben Applaus auch Pfiffe entgegennehmen.
Die Duisburger Spieler mussten nach dem Sieg gegen Freiburg neben Applaus auch Pfiffe entgegennehmen. © Jürgen Fromme /firo Sportphoto | Jürgen Fromme

Was war nun passiert? Der neue Trainer Torsten Ziegner hatte per Videobotschaft die Anhänger des Klubs eingestimmt. Für die letzten zwei Spiele erbat er sich die Unterstützung der Fans. Damit es was wird mit dem Klassenerhalt der Zebras. Die Ansage war gut gemeint, aber keineswegs notwendig. Lange bevor der Ball endlich rollte, war zu spüren: Die Anhänger des Klubs wussten, was zu tun war, und sie leisteten ihren Beitrag im Sinne des Vereins.

Über 90 Minuten feuerten sie ihr Team an. Dass das kickende Personal mit Herz und Leidenschaft der Arbeit nachging, half sicher, die frühe Führung ebenfalls. Das Echo von der Tribüne, wenn erst die Gerade MSV ruft und dann die Nordkurve antwortet, war noch nie so laut und so anhaltend. Selbst in Magdeburg können sie das nicht besser.

Trotz Rettung des MSV Duisburg: Die Kluft bleibt

In der zweiten Halbzeit, als Freiburg das Heft in die Hand nahm, wurde es für ein paar Minuten stiller. Angst lähmt Stimmbänder. Doch schnell erfassten die Zuschauer, dass Ruhe in diesem Fall mitnichten erste Bürgerpflicht sein kann. Bis zur letzten Sekunde wurde also gesungen und geklatscht. Dann der Abpfiff, danach großer Jubel und wenig später gellende Pfiffe.

Die Mannschaft wollte sich auf die Ehrenrunde begeben. Die zahlende Kundschaft wollte sie entweder nicht sehen oder den Lohnempfängern die Meinung sagen. Die Truppe drehte schnell ab und versammelte sich in der sicheren Mitte des Platzes. Die Vorstellungen in den 36 Partien und das teure Pokal­aus im FVN-Halbfinale gegen Straelen zuvor waren keineswegs vergessen. Die Ultras hatten Spruchbänder ausgerollt. „Dieses Trikot wird mit Stolz getragen“, ließen sie die Angestellten wissen. Das Wort „Versager“ beschrieb knapp, was man so dachte und eben der Hinweis, dass die Partie am Samstag nicht reichte, um die Kluft zu überbrücken.

Erkenntnisse für den Duisburger Coach im Schnellcheck

Bei den Nachgesprächen wollte von den Vereinsverantwortlichen niemand die Plakate gesehen haben. Auch die Pfiffe schienen überhört worden zu sein. Präsident Ingo Wald, Vorstandsberater Ulf Schott, Trainer Torsten Ziegner oder Spieler Niclas Stierlin gaben an, von all dem nichts bemerkt zu haben. Niclas Stierlin bekannte immerhin selbstkritisch: „Wir wissen, dass wir in dieser Saison Kredit verspielt haben und die Fans oft enttäuscht haben.“ Ulf Schott sagte: „Wenn ich das Plakat gesehen hätte, dann hätte ich gesagt: Ja, okay. Da haben sie auch nicht Unrecht.“

Niclas Stierlin hofft, dass die Mannschaft sich in der nächsten Saison als Einheit präsentieren wird.
Niclas Stierlin hofft, dass die Mannschaft sich in der nächsten Saison als Einheit präsentieren wird. © FUNKE Foto Services | Frank Oppitz

Das Phänomen, zwischen Team und Verein zu unterscheiden, hat sich inzwischen auch an anderen Standorten gezeigt. Die Fans der Hertha wollten ihre Spieler zwingen, das Trikot auszuziehen. Gladbachs Hardcore-Anhänger machten ebenfalls Anfang Mai ihrem Unmut gegenüber der Mannschaft mit einem Plakat Luft. Was sich rumgesprochen hat: Die Spieler können sich so oft sie wollen mit der Hand aufs Vereinsabzeichen klopfen, sie sind bezahlte Angestellte. Die Liebe der Zuschauer gilt dem Trikot und nicht mehr dem, der es trägt. Jedenfalls dann nicht, wenn er es überstreift, wie einen Arztkittel oder einen Blaumann. Diese Unterscheidung kann teuer zu stehen kommen. Denn die Vorliebe für Designer-Marken ist wechselhaft.

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Von Dirk Retzlaff und Hermann Kewitz

MSV Duisburg: Trainer Torsten Ziegner erkennt Probleme

Beim MSV will man nun die Saison genau analysieren. Das wird seit dem Abstieg aus der Zweiten Liga vor drei Jahren versprochen und dann prompt gebrochen. Immerhin, Torsten Ziegner – am Samstag kaum 72 Stunden im Amt – hatte bereits bei seinem Schnellcheck erkannt, was besser werden muss: „Ich meine die Einstellung zum Sport. Jeder Sportler, egal auf welchem Level, muss eine Einstellung zu seinem Sport mitbringen. Dass haben wir heute getan, ohne Frage für das eine Spiel. Aber ich glaube Duisburg wäre mit dieser Mannschaft nie in eine solche Situation gekommen, wenn das immer gestimmt hätte. Auch das gilt es aufzuarbeiten.“

Nur dann erfüllt sich der Wunsch von Niclas Stierlin: „Wir hoffen, dass wir in der kommenden Saison wieder eine Einheit werden können.“