Dortmund. Wer abnehmen will, denkt an eine Diät. Die Abnehm-Beraterin Nicole Jäger erklärt in ihrem Buch “Die Fettlöserin“, wie es besser und nachhaltiger geht.

Seit ich laufe, ist mein Gewicht immer irgendwie ein Thema. Durch den Sport habe ich zwölf Kilo abgenommen und - zumindest ab und an - zu einer gesünderen Ernährungsweise gefunden, ohne auf Genuss und gelegentliche Exzesse zu verzichten. Beim Lesen des Buchs "Die Fettlöserin" habe ich gemerkt: So falsch scheint mein Weg nicht zu sein.

Beim ersten Blick auf das Cover von Nicole Jägers "Die Fettlöserin - eine Anatomie des Abnehmens" stimmt etwas nicht. Da strahlt zwar eine gutgelaunte, junge Frau mit stylischer Brille, doch ihr Körperumfang ist genau das, was doch niemand auf einem Diät-Buch sehen will: Nicole Jäger ist dick. Sehr dick. Sie wiegt 170 Kilo. Und genau diese Frau will ihren Lesern erklären, wie Abnehmen funktioniert.

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Das Verblüffende: Sie schafft es. Denn Nicole Jäger weiß, wovon sie spricht. Noch vor sieben Jahren hat die Hamburgerin 340 Kilo auf die Waage - oder besser: auf zwei Waagen - gebracht. Ihr Alltag bestand aus Nahrungsaufnahme, ununterbrochen. Bis sie eines Tages eine Nahtoderfahrung durchlebte und beschloss, ihr Leben zu ändern.

"Die Fettlöserin" ist kein Diät-Buch

Hier kommt der erste Trugschluss zum Tragen. "Die Fettlöserin" ist kein Diät-Buch. Es enthält keinen Ernährungsplan, keine Vorgaben, keine Verbote, keine zehn Gebote, die binnen Wochen die Pfunde purzeln lassen. Nicole Jäger ist viel mehr schonungslos offen und ehrlich. Sie entblößt ihre Seele, erklärt, warum sie überhaupt so dick werden konnte. Dabei betont sie immer wieder, dass es zwar viele Gründe für eine Esssucht geben mag, die Schuld aber immer in einem selbst liegt. "Der Kühlschrank fesselt niemanden ans Bett und füttert ihn mit einem Trichter. Das macht man selbst", sieht Jäger die Verantwortung für ihre Gewichtszunahme bei sich selbst.

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Jäger spricht über Rückschläge und darüber, wie ruppig der Umgang mit übergewichtigen Menschen oftmals ist. Erschreckend sind die Schilderungen von ihren Begegnungen mit Ärzten, die statt Hilfe nur kluge Ratschläge anbieten. Im letzten Moment entscheidet sich Jäger gegen eine Operation, die nicht nur ihr Gewicht, sondern ihr gesamtes Leben nachhaltig beeinflusst hätte. Stattdessen macht sie sich selbst auf den langen Weg zum Wunschgewicht. Schritt für Schritt tastet sie sich voran und berichtet von einem Leben, das sich ein Normal- oder nur leicht übergewichtiger Mensch kaum vorstellen kann.

Rückschläge und Demütigungen

Der Weg ist übersät mit Rückschlägen und Demütigungen, und dennoch lässt sich Jäger nicht entmutigen. Sie liest sich Wissen über Ernährung an und begreift, dass die Lösung ihres Problems in ihrem Kopf liegt und nicht in ihrem Bauch. Statt - wie bei Diäten üblich - auf Essen oder bestimmte Nahrungsmittel zu verzichten, lernt Jäger, richtig zu essen. So wird aus der übergewichtigen Frau allmählich eine Abnehm-Expertin, die inzwischen in ihrer eigenen Praxis ihr Wissen an Klienten weitergibt.

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Immer wieder kommt Jäger auf das Thema Diäten zu sprechen und macht keinen Hehl aus ihrer Meinung. "Ich habe alle Diäten ausprobiert. Keine hat funktioniert", sagt sie. Der Grund liege darin, dass Diäten nie den Menschen als Individuum sähen. Der Ansatz der "Fettlöserin" ist ganzheitlich und setzt woanders an: am Glück und an der Lebensqualität. Während Diäten am Symptom Fettleibigkeit arbeiten, widmet sich Jäger den Ursachen.

Ziele: Zufriedenheit und Schmerzfreiheit

Die Ernährungsexperten schildert ihren Werdegang mit viel Enthusiasmus. Beim Lesen leidet man mit ihr, ohne Mitleid zu haben. Denn hier schreibt eine Frau mit Kämpferherz und Leidenschaft. Ihr Weg ist noch nicht zu Ende, die 170 Kilo sind nur ein Zwischenstopp. Sie spricht sich für realistische Ziele und Geduld aus. 125 Kilo sind ihr nächstes Ziel. Wichtiger als das Gewicht sei aber das Gefühl: "Zufriedenheit und Schmerzfreiheit" wolle sie erreichen, sagt sie. Und an dem Tag, an dem sie das Gefühl habe, es lange, höre sie auf - "bis ich 40 bin, hätte ich das gerne erreicht".

"Die Fettlöserin - Eine Anatomie des Abnehmens", Nicole Jäger, rororo, 12,99 Euro

Was Läufer von Nicole Jäger lernen können 

Auch für Läufer ist "Die Fettlöserin" zwar wahrlich keine Pflichtlektüre, wohl aber ein interessantes Buch. Denn ihr Weg zum Abnehmen erinnert mich an meine ersten Schritte als Läufer: Die Angst, peinlich auszusehen oder die ersten kleinen Erfolge, die für andere selbstverständlich sind. Sie empfiehlt, sich kleine realistische Ziele zu setzen und stolz auf das Erreichte zu sein. Das banale Motto, mehr Kalorien zu verbrauchen als man zu sich nimmt, wirkt auf den ersten Blick simpel und leicht umsetzbar. Wer als Läufer ganz am Anfang seiner "Karriere" steht, weiß aber, wie schwierig es ist und wie weit man laufen muss, um eine Currywurst mit Pommes abtrainiert zu haben.

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Da kommt ein weiterer Aspekt, der in Jägers Buch eine wichtige Rolle spielt, zum Tragen: Genuss. Diäten bezeichnet sie als genussfeindlich. Wer abnehmen wolle, solle nicht nichts essen, sondern richtig essen. Und es sei unverzichtbar, ab und an mal Fünfe gerade sein zu lassen.

Ich war vor meiner Lauf-Zeit in einem eher unsportlichen Umfeld unterwegs. Wenn Menschen in meiner Umgebung abnehmen wollten, dann taten sie das nicht durch Sport, sondern durch Selbst-Kasteiung. Der eine strich das Bier, die andere verzichtete auf Kohlehydrate, ich selbst versuchte verschiedenste Diäten. Der Effekt ist immer gleich: Das, was man weglässt, vermisst man irgendwann - und wird rückfällig. Als Läufer bin ich allmählich in ein sportliches Umfeld geraten. Da wird viel Wert auf Ernährung gelegt, die Menschen sind dünn und drahtig. Ich nicht. Die Lauf-Kollegen rennen schneller als ich, sind fitter. Ich trage halt Altlasten mit mir rum – Oma hat früher nun mal gut gekocht. Bin ich deswegen unzufrieden? Manchmal ja. Doch wenn ich dann aber einer Pommesbude vorbeikomme und Witterung aufnehme, weiß ich, dass ich so nie werden kann. Ich hätte da einfach keine Lust drauf.

"Bitte essen Sie Pommes, wenn Ihnen danach ist"

Nicole Jäger beruhigt mich und rückt meine Lebensqualität in den Fokus: "Woran man sich orientiert, ist immer eine schwierige Frage. Es ist grundsätzlich gut, einen gewissen Ehrgeiz zu haben. Man muss aber auch wissen, an wem man sich orientieren kann und was man überhaupt erreichen will. Sie haben nur ein Leben, und das sollten Sie mit Zufriedenheit füllen. Sie joggen und ernähren sich vernünftig – bitte essen Sie Pommes, wenn Ihnen danach ist!"

Letztlich, so Jäger, sei entscheidend, wie man sich fühle und schildert ein Erlebnis, bei dem sie von einer Frau auf offener Straße angeschrien worden sei, weil sie einfach auf einer Bank gesessen habe und offenbar einen zufriedenen Eindruck machte. "Ich fragte sie, was denn mit ihr los sei". Die Antwort: „Sie wissen nicht, wie viel Zeit ich damit verbringe, möglichst perfekt zu sein und perfekt auszusehen und dabei so gut wie nichts esse. Und verdammt, warum sind Sie so zufrieden und ich nicht?“