Dortmund. Schmerzen beim oder nach dem Laufen können die Folge von Fehlstellungen sein. Dann helfen Einlagen. Laufblogger Stefan Reinke hat's ausprobiert.
Laufen ist ja so einfach. Schuhe an und los geht's. Die Nebenwirkungen sind zunächst durchweg positiv: Das Herz wird leistungsfähiger und pumpt mit steigendem Trainingszustand mehr Blut pro Schlag durch den Körper als das eines untrainierten Menschen. Als Folge sinkt der Ruhepuls. Das Herz muss dadurch im Alltag viel weniger arbeiten. Dass die Pumpe im Training zu Höchstleistungen getrieben wird und 140 oder gar 180 Mal in der Minute schlagen muss, wird durch den niedrigeren Ruhepuls mehr als wettgemacht. Ein stärkeres Herz wirkt lebensverlängernd.
Der ganze Körper passt sich an. Doch leider tut er das nicht gleichmäßig. Zwar gehen die Ausbauarbeiten des Herz-Kreislauf-System fühlbar schnell vonstatten, doch der Rest des Körpers hinkt hinterher. Die Knochen, Muskeln und Bänder gewöhnen sich viel langsamer an die neue Belastung. Es droht die Gefahr orthopädischer Schäden, etwa von Bänderrissen. Es ist so, als baute man in eine rostige Fahrzeugkarosserie einen neuen Motor ein. Die Kiste wird irgendwann unter der neuen Power zusammenbrechen. Glücklicherweise brauchen wir für den Umbau unserer Karosserie keine Werkstatt, sondern nur zwei Werkzeuge: Zeit und Geduld.
Haltungsschäden werden vom Körper nicht korrigiert
Leider ist der Körper jedoch kein guter Schrauber. Er korrigiert die Knochen und Bänder nicht, sondern stärkt sie nur. Etwaige Baufehler oder Haltungsschäden biegt er nicht gerade. Es kann sein, dass wir mit den kleinen und großen Konstruktionsfehlern in unserer Hüfte, an den Lendenwirbeln oder an den Füßen wunderbar und problemlos durchs Leben schlendern, gehen und vielleicht sogar wandern können - aber nicht laufen.
Wer einmal in der Woche fünf bis zehn Kilometer läuft, wird manche Fehler vielleicht nie bemerken und keinen Bedarf sehen, sich näher mit etwaigen Haltungsfehlern zu befassen. Anders liegt der Fall bei ambitionierten Läufern, für die eine Fehlstellung des Fußes zur Plage werden kann. Für diese Klientel gibt es Anbieter von Einlagen.
Blick auf den Körper vom Kiefer bis zu den Zehen
Wer schon einmal im Fachgeschäft Laufschuhe gekauft hat, kennt die kleine Laufanalyse, die dort gemacht wird, um zu ermitteln, welche Schuhe die richtigen sind. Die Bewegungsanalyse beim Einlagenbauer macht da weiter, wo der Schuhverkäufer aufhört. Denn trotz perfekter Schuhe kann beim Laufen das Knie schmerzen, ein Knochen blockieren, ein Muskel stechen. Eine Bewegungsanalyse beim Einlagenbauer wirft einen Blick auf das ganze System von den Zehen bis zum Kiefer.
Ich habe mich in Dortmund in die Hände von Alexander Steinicke begeben und meinen Laufstil untersuchen lassen, weil mit zunehmender Laufleistung (und mit dem Alter, aber darüber rede ich eher ungern) auch die Schmerzen und Zipperlein zugenommen haben und mein durch die Lauferei verbessertes Körpergefühl gesagt hat, dass irgendwo auf meiner rechten Seite ein Problem versteckt sein muss.
Der Weg zur passenden Einlage
Steinicke scannt zunächst meine Füße, um zu sehen, wie sie auf dem Boden aufliegen. Mit flinken Fingern tastet er meine Fußgelenke ab und lässt die Zehen der Reihe nach knacken. Anschließend muss ich mal mit, mal ohne Schuhe laufen, mal einfach entspannt stehen. Das Ergebnis klingt verheerend: Mein Becken steht beim Laufen zu weit vorne, das rechte Bein macht eine falsche Ausholbewegung und tritt viel zu weit innen auf, der rechte Fuß steht nicht plan auf dem Boden. Außerdem kralle ich die Zehen. Dass ich die Füße eher vor- als nebeneinander aufsetze, wusste ich zwar schon, fand das aber bislang immer elegant. „Auf dem Laufsteg ist das elegant, aber beim Laufen verursacht es Schmerzen”, erklärt Steinicke.
Ich habe immer leise darüber geklagt, dass rechts der Schuh „irgendwie anders“ sitzt als links. Aber ich konnte ja laufen. Doch der Orthopädieschuhmachermeister macht mir bewusst, dass diese kleinen Fehlerchen die Ursache für größere Verschiebungen im Gesamtsystem sein könnten. Steinicke gibt mir ein paar Hausaufgaben auf, mit denen ich meinen äußeren Oberschenkelmuskel stärken kann. Denn der spielt eine Rolle bei den Blockaden meiner alten Bekannten, der Fibula.
Um meinen Fuß dazu zu bringen, sich richtig in den Schuh zu stellen, empfiehlt Steinicke sensomotorische Einlagen für meine Laufschuhe und auch für den Alltag. Anders als orthopädische Einlagen, die den Fuß stützen, animieren sensomotorische Einlagen die Fußmuskulatur, sich so zu verhalten, dass der Fuß von sich aus richtig steht. Das Mittel, mit dem sie das erreichen: Schmerz.
Therapie oder Lifestyle?
Die Frage, die ich mit stelle, ist, wo bei Einlagen die Therapie aufhört und Lifestyle anfängt. Mein Orthopäde jedenfalls will mir keine Einlagen verschreiben, sondern rät mir, weniger zu laufen. Steinicke sieht das anders: „Ich muss auf meine Kunden eingehen. Läufer wollen laufen und wenn ich denen sage, sie sollen einfach weniger laufen, gehen sie raus und laufen doch weiter.” Damit das schmerzfrei geht, gibt es Einlagen.
Nach einigen Tagen sind meine Einlagen fertig. Sie sehen interessant aus. Am Rand sind sie dick gewölbt, im vorderen Bereich befindet sich ein Knubbel. Diese Auswölbungen heißen im Fachjargon Pelotten. Steinicke legt die Einlagen in meine Schuhe, ich schlüpfe hinein – und es tut sauweh! “Das muss sich anfühlen, als würden Sie auf einem weichen Golfball stehen”, sagt er. Ich bin einfach nur baff und kann mir nicht vorstellen, mit Golfbällen im Schuh einen Marathon zu laufen.
Steinicke zeigt mir an einem Modellskelett, was die Pelotten mit dem Fuß machen. Das dicke Gewölbe an der Innenseite der Einlagen hebt das Fußgewölbe drastisch nach oben. “Ich hebe den ganzen Körper”, sagt Steinicke. Aber muss das so weh tun? Ich recherchiere im Internet, höre mich bei anderen Läufern um: Ja, es tut am Anfang weh, die Gewöhnung dauert. Ich bin aber von Haus aus ungeduldig.
Die ersten Tage: Schmerzen, Schmerzen, Schmerzen
Die ersten Tage mit den Einlagen sind furchtbar. Ich trage sie sporadisch, damit sich die Füße langsam daran gewöhnen. Wenn ich versuche, den Schmerz zu benennen, ist es eher dieser angenehme Schmerz, den man empfindet, wenn bei einer Massage ein Triggerpunkt am Rücken getroffen wird - so eine Mischung aus „Ah, tut das gut“ und „Hör auf, sonst trete ich dir ins Gesicht!“.
Am dritten Tag unternehme ich einen zaghaften Laufversuch. Ein Fehler! Die Pelotten bescheren mir Blasen unter den Füßen. Wieder in den Laden. Offenbar waren die Pelotten etwas zu hart und ich natürlich viel zu ungeduldig. Steinicke baut eine weichere Mischung ein und versetzt die Knubbel etwas nach hinten. Ich probiere sie kurz aus und versuche, den guten Schmerz vom Druck auf den Muskel vom bösen Schmerz durch die Blasen zu unterscheiden. Es ist angenehmer als vorher. Ich brauche Geduld. Nachdem die Blasen wieder weg sind, dauert es nur einige Tage, bis ich die Knubbel so gut wie gar nicht mehr spüre. Schließlich bekommen die Einlagen noch einen bunten Schonbezug - das Auge läuft ja mit.
Nach sechs Wochen kann ich mir sogar vorstellen, mit den Einlagen im Schuh zu laufen. Vorerst setze ich sie aber im Alltag ein. Nach dem Vivawest-Marathon werde ich sie mal vorsichtig beim Laufen einsetzen.
Die Wirkung ist spürbar
Doch auch ohne sie beim Sport benutzt zu haben, merke ich die Wirkung der Einlagen. Der ganze Körper wird aufgerichtet. Mit Einlagen stehe ich gerader. Und meine Füße scheinen bereits gelernt zu haben. Wenn ich beim Dehnen der Oberschenkel auf einem Bein stehe, muss ich nicht mehr herumhüpfen, um nicht umzukippen. Stattdessen stehen meine Füße schön plan, ruhig und stabil auf dem Boden. Und beim Laufen spüre ich, dass die Füße viel besser aufsetzen als vorher. Das wirkt sich positiv auf die Muskeln aus. Ich bin gespannt, wie es weitergeht.
Ob der Gang zum Einlagenbauer nötig ist, muss jeder Läufer für sich entscheiden. Letztlich ist es auch eine Kostenfrage, da Einlagen mit rund 160 Euro zu Buche schlagen, also so teuer sind wie ein gutes Paar Laufschuhe. Laufschulen und Vereine bieten Kurse zur besseren Lauftechnik und Körperhaltung an. Auch dort lassen sich schon feine Justierungen am System vornehmen.
Update: Barfußlaufen hilft auch
Die kostengünstigste Variante, mit der sich leichte Haltungsfehler ebenfalls korrigieren lassen, habe ich vergessen: barfuß laufen. Wer häufig barfuß unterwegs ist, trainiert seine Füße. Durch zu stark gedämpfte Schuhe verkümmert die Fußmuskulatur und verlernt, schnell auf Unebenheiten zu reagieren. Beim Gehen und Laufen ohne Schuhe werden die Füße kräftiger und flexibler.