Essen. In der Vorbereitung auf den Marathon in Paris hat sich Laufblogger Stefan Reinke einer Leistungsdiagnostik unterzogen - mit überraschendem Ergebnis.
Wissen Sie, wie viele PS Ihr Auto hat? Kennen Sie den Spritverbrauch auf 100 Kilometern? Die Höchstgeschwindigleit? Den Hubraum? Die Größe des Tanks? Seien Sie ehrlich: Sie kennen alles.
Aber kennen Sie Ihren Ruhepuls? Ihren Maximalpuls? Ihre maximale Sauerstoffaufnahme? Ihr Lungenvolumen? Seien Sie wieder ehrlich: Sie wissen nicht einmal, was das ist.
Warum eigentlich? Warum kennen wir die technischen Daten unseres Autos besser als unsere inneren Werte? Dabei können wir uns – theoretisch - jederzeit einen neuen Wagen kaufen, während wir nur diesen einen Körper haben. Wäre es nicht umso wichtiger, genau zu wissen, was wir unserem Leib zutrauen können und wie wir ihn trainieren? Denn einen großen Vorteil hat das System Körper gegenüber dem Auto: Wenn wir Verbesserungen wollen, müssen wir nur trainieren, und schon wird aus dem Zweitakter eine leistungsstarke Maschine.
Auch interessant
Doch wie jeder Schrauber ein Auto aus dem Effeff kennen muss, sollten wir uns beim Körper-Tuning einen Schatz an Grundwissen aneignen, um zu wissen, was wir der Karre, pardon, dem Körper zumuten können. „Nach fest kommt ab“, weiß jeder Handwerker. „Nach Sport kommt Mord“, könnte das trainingstechnische Pendant lauten, denn ein übersehener Herzfehler kann ein jähes Ende nicht nur des Trainings bedeuten.
Beim Hypochonder lief die Angst vor dem Herzinfarkt mit
Darum sei jedem Laufanfänger empfohlen, auf dem Weg zum Laufschuhgeschäft noch kurz beim Kardiologen vorbeizuschauen und zumindest ein Belastungs-EKG machen zu lassen. Da ein Herzspezialist um die vielen, vielen Vorteile des Laufsports weiß, wird er Sie gerne unterstützen. Die unschönen Nebenwirkungen des Laufens sind dann eher ein Fall für den Orthopäden - aber das handele ich demnächst in einer anderen Folge des Blogs ab. Gibt der Kardiologe grünes Licht, können Sie ruhigen Gewissens loslegen. Ich hatte natürlich ohne ärztlichen Beistand mit dem Sport angefangen. Nach ein paar Wochen hatte ich Schmerzen in der Herzgegend. Da ich ein Hypochonder bin, googelte ich natürlich erst einmal nach den Symptomen eines Herzinfarkts und war mir nach dem schnellen Medizinstudium relativ sicher, dass es mit mir bald zuende gehen würde.
Vorsichtshalber ging ich aber trotzdem noch zum Kardiologen. Der stellte bei mir einen Ruhepuls von 49 fest, ließ mich auf einem Fahrradergometer strampeln und erklärte mich für kerngesund. Die Schmerzen rührten wohl von einem Nerv und hatten mit dem Herz nichts zu tun. Also: Besser erst zum Arzt, dann anfangen zu laufen.
Wenn allerdings der Ehrgeiz einsetzt, ist ein gründlicherer Check angesagt. In meiner noch kurzen Läufer-Biografie bin ich relativ schnell zum ambitionierten Läufer geworden. Letztlich bezog ich meine Motivation daraus, dass ich Angst hatte, eintöniges Training könnte mir recht schnell die Lust am Laufen nehmen. Also wollte ich entweder schneller, weiter oder schneller und weiter laufen können. Wobei ich glücklicherweise meine Möglichkeiten sehr realistisch einschätzen konnte.
Die Suche nach der anaeroben Schwelle
Wer sich stetig verbessern will, muss allerdings wissen, wie das geht. In Trainingsbüchern steht dann immer, mit wie viel Prozent der maximalen Herzfrequenz man trainieren sollte. Dafür muss man die aber kennen. Aus dem Bio-LK kenne ich noch den Unterschied zwischen aerober und anaerober Energiebereitstellung. Aber wann hört bei mir die Eine auf und fängt die Andere an? Ich habe als Gradmesser immer meine Atmung genommen: Atme ich durch die Nase, laufe ich aerob. Fange ich an durch den Mund zu hecheln, bin ich an der Grenze - und wenn ich nur noch durch den Mund puste, trainiere ich im anaeroben Bereich.
Leistungsdiagnostik
Um es genauer zu wissen, gibt es die Leistungsdiagnostik. Es gibt zahlreiche Anbieter: Ärzte, Fachfirmen, Krankenhäuser. Für meine persönliche Leistungsdiagnostik habe ich, da ich in Essen arbeite, einen Anbieter in Essen gesucht und einfach mal geschaut, wo denn die Kicker von Rot-Weiss Essen und die Handballer vom TuSEM ihre Leistung messen lassen. So bin ich aufs Elisabeth-Krankenhaus gekommen, das - netter Nebeneffekt - eines der größten Herzzentren in NRW ist.
Mit Darth-Vader-Maske auf dem Laufband
Vor der Diagnostik begrüßt mich Thimo Wiewelhove, der mich durch die Diagnostik begleiten wird. Wir sprechen kurz durch, was mich erwartet, dann schlüpfe ich in meine Sportklamotten, denn eine Leistungsdiagnostik ist eine schweißtreibende Angelegenheit. Im Labor steht ein Laufband (Läufer sollten die Diagnostik auf dem Band machen, nicht auf dem Fahrradergometer), daneben ein Analysegerät mit zwei Monitoren. Das Laufband ist mit Schläuchen und Kabeln gespickt. Elektroden werden mir an den Körper geklebt, um die Herzfrequenz zu messen. Übers Gesicht muss ich eine Maske ziehen, die mit vielen Schläuchen versehen wird. Beim Laufen auf dem Band wird gemessen, wie hoch meine maximale Sauerstoffaufnahme ist und bei welcher Belastung mein Körper eine Sauerstoffschuld eingeht. Das ist wichtig, um zu wissen, wie ich das Training dosieren muss.
Sportwissenschaftler Wiewelhove schaltet das Laufband ein. Mit einem Kilometer pro Stunde geht es gemütlich los. Allmählich dreht er das Tempo hoch, jede Minute ein km/h mehr. Die Beine werden schneller und schneller. Unter der Maske klingt mein Atem nach Darth Vader. Aber das Teil mit den Schläuchen und Röhren schränkt mich überhaupt nicht ein. Ich atme wie sonst auch. Mit zunehmendem Tempo schalte ich von Nasen- auf Mundatmung um und bin mir sicher, dass ich gerade die aerobe/anaerobe Schwelle erreicht habe – ab jetzt reicht dem Körper der eingeatmete Sauerstoff nicht mehr aus, um Leistung zu bringen. Das Band wird schneller, ich renne.
So schnell, bis es nicht mehr geht
Es wird wirklich anstrengend. Wiewelhove dreht weiter an der Temposchraube, ich atme heftiger durch den Mund. Aus dem anfänglichen Trab ist längst ein Sprint geworden. Bald schnaufe ich, pumpe Luft in die Lungen und wieder raus. Die Oberschenkel beginnen zu brennen, die Beine bewegen sich immer schneller. Wäre ich auf einer Laufbahn, würde ich jetzt mal etwas mit meiner Schrittlänge spielen. Doch das Laufband ist unerbittlich und rast mit 15 km/h unter mir durch.
Noch einmal erhöht sich das Tempo, nun auf 16 Stundenkilometer. Halte ich diese Minute noch durch? Ich wäge ab, ob ich dem Ehrgeiz folge oder der Vernunft nachgebe. Während ich überlege, sprinten die Beine weiter, geben aber zu verstehen, dass Stolpergefahr besteht. Ich stütze mich mit den Händen an den Haltegriffen des Laufbands ab, hebe die Füße und stelle sie seitlich neben dem Band ab. Genug, sicher ist sicher. Vermutlich hätte ich noch etwas schneller gekonnt, aber ein falscher Tritt auf dem Band kann böse Folgen haben.
Das Band wird langsamer. Irgendwann springe ich wieder auf und laufe locker aus, bis das Laufband zum Stillstand kommt. Ich schnaufe noch etwas, doch mein Atem und der Puls normalisieren sich schnell. Das kenne ich aus dem Training, etwa von Fotopausen, in denen sich mein Puls immer blitzschnell nach unten bewegt.
Sehr gute Werte - für mein Alter
Thimo Wiewelhove erklärt mir die vielen Tabellen auf dem Monitor. „Du bist relativ fit für dein Alter“, sagt er, und ich muss kurz überlegen, ob das ein Lob war. War es aber wohl. "Auch wenn du jünger wärst, wären das gute Werte", schiebt er nach und erklärt, dass mein Fitnessstand sehr gut ist und weit über dem Bevölkerungsdurchschnitt liegt. Und dass es – zumindest in Bezug auf Herz und Lunge angeht – kein Problem sein dürfte, den Marathon in Paris zu laufen. Auch wenn ich daran eigentlich keine Zweifel hatte, ist es doch beruhigend, die Bestätigung aus berufenem Mund zu hören.
Anhand meiner aeroben/anaeroben Schwelle erkennt Wiewelhove, in welchem Tempo ich gerade noch laufen kann, ohne aus der Puste zu geraten. Basierend darauf rechnet er meine realistische Marathonzeit hoch und kommt auf 3:50 Stunden. Zu meiner Überraschung habe ich also mit 3:45 Stunden den richtigen Trainingsplan für meinen Frankreichausflug gewählt. „Da ist aber noch Luft nach oben“, mahnt der Sportwissenschaftler, damit ich weiter trainiere und die Zeit noch etwas zu drücken versuche. Vielleicht will er mir auch bloß zu verstehen geben, dass ich trotz und nicht wegen meiner Diät aus Gyros und Bier so fit bin.
Fazit: Leistungsdiagnostik bestätigt mein bisheriges Training
Eine Leistungsdiagnostik bringt auf jeden Fall einen Erkenntnisgewinn. Mir hat sie in erster Linie Bestätigung dafür gegeben, dass ich in der Regel richtig trainiere und mein Leistungsvermögen ziemlich gut einschätzen kann. Letztlich hätte ich die Diagnostik also eigentlich gar nicht gebraucht. Andererseits ist es aber beruhigend, zu wissen, dass ich meinem Körper bislang nicht zu viel abverlangt habe. Ich höre ja meine Oma und meine Mutter immer im Duett warnen: "Junge, übernimm dich nicht." Nun kann ich ihnen die Auswertung der Diagnostik auf den Tisch legen. Und ich könnte noch mehr trainieren.
Leistungsdiagnostik im Selbstversuch
Könnte ich. Wenn da nicht das Wadenbein wäre. Die Gräte macht mich wahnsinnig. Ich stecke mitten in der Paris-Vorbereitung und schaffe keinen Lauf über mehr als zehn Kilometer. An den vergangenen zwei Wochenenden musste ich von unterwegs zu Hause anrufen, um mich abholen zu lassen. Wie peinlich! Das zieht mich echt runter. Konditionell wäre der Marathon schon jetzt kein Problem. Aber was nutzt das? Nix! Ich habe meine Knochen in die treuen Hände meiner Physiotherapeutin gelegt. Außerdem habe ich weitere Maßnahmen ergriffen, um am 12. April nicht bloß als Tourist über die Champs Elysées schlendern zu müssen. Mehr darüber demnächst hier im Laufblog.