Lemgo. Zwei Wochen nach dem 27:27 gegen den Tabellenzweiten Rhein-Neckar Löwen packt der TBV Lemgo den Tabellendritten SG Flensburg-Handewitt mit 27:22 und setzt sein Wintermärchen fort. „Ich bin erstaunt, was meine Mannschaft in den vergangenen Wochen geleistet hat“, sagt Trainer Dirk Beuchler.
Es hatte den Anschein, als könnte es doch noch einmal eng werden. Aber dann traf Patrick Zieker zum 24:20 für den TBV Lemgo, auf der anderen Seite parierte der bärenstarke Nationaltorwart Carsten Lichtlein den Rückraum-Wurf von Ólafur Gústafsson, und niemand saß mehr in der Lipperlandhalle. Die Ostwestfalen, die sich schließlich hochverdient mit 27:22 (14:7) gegen den Champions-League-Viertelfinalisten und Tabellendritten SG Flensburg-Handewitt durchsetzten, hatten ein weiteres Kapitel ihres Rückrunden-Märchens geschrieben. Und sie haben einen sehr stolzen Trainer. „Ich bin erstaunt, was meine Mannschaft in den vergangenen Wochen geleistet hat“, sagte Dirk Beuchler am Mittwochabend nach dem 13. Saisonsieg. Die Bilanz: 15:3 Punkte in dieser Rückrunde.
Fasziniert war der TBV-Coach, der zur neuen Saison bekanntlich zum TuS N-Lübbecke wechseln wird, aber nicht nur von seinem Team. „Die Stimmung war sensationell“, sagte Dirk Beuchler. Als endlich die Schluss-Sirene ertönt war, dröhnten Frauenarzt & Manny Marc aus den Boxen: „Das geht ab! Wir feiern die ganze Nacht.“ Die Spieler feierten, und die Fans feierten. Und Christian Sprdlik strahlte. „Die Halle war zum ersten Mal in dieser Saison ausverkauft“, sagte der TBV-Geschäftsführer. 4860 Zuschauer waren gekommen. „Da bin ich sehr stolz drauf. Und die SG Flensburg-Handewitt schlägt man nicht alle Tage.“ Wer jedoch so engagiert und couragiert auftritt wie der TBV am Mittwochabend, der packt auch ein aktuelles deutsches Top-Team – vielleicht nicht locker, aber doch souverän.
Dirk Beuchler über Carsten Lichtlein: „Er hat ein überragendes Spiel gemacht“
Es war jedoch nicht so, dass Ljubomir Vranjes, der Flensburger Trainer, bei dieser Lemgoer Party schrecklich schlechte Laune hatte. Der 39-jährige Schwede lächelte, und er war überhaupt nicht überrascht, dass seine Mannschaft so einen Auftritt hingelegt hatte. „Wir haben ein Hammer-Programm“, sagte er, „und müssen irgendwann auch Kräfte sparen.“ Für dieses Sparprogramm hatte er sich in Lemgo entschieden und deshalb auch mit zwei Kreisläufern – Jacob Heinl und Michael Knudsen – angefangen. „Wir wollten auch nicht viel laufen, aber irgendwie hat das mit der Taktik nicht funktioniert.“ Aber ein Sparprogramm bei nur zwei Minuspunkten weniger als Spitzenreiter THW Kiel? „Unser Ziel ist es, einen Champions-League-Platz zu erreichen“, erklärte Ljubomir Vranjes. „Von der Meisterschaft sind wir ein bisschen zu weit entfernt.“ Und für eine solche sind sie offensichtlich wegen der hohen Belastung auch zu müde.
Dass sich die SG Flensburg-Handewitt nicht 100-prozentig fit in der Lipperlandhalle präsentieren würde, darauf hatte auch Dirk Beuchler ein bisschen gehofft. Und ganz im Gegensatz zu Ljubomir Vranjes sah der 42-jährige TBV-Trainer ganz schnell Erfolge seiner Taktik. „Wir haben mit unserer aggressiven Deckung den Grundstein gelegt“, sagte er. Mit einer 5:1-Formation, die in den ersten 30 Minuten eine überragende Leistung bot. Zumal Hendrik Pekeler im Zentrum klasse stand und Patrick Zieker auf der vorgezogenen Position einen ausgezeichneten Job machte. Und ein paar Meter dahinter stand auch noch einer: Carsten Lichtlein. Der Lemgoer Keeper kassierte in den ersten 30 Minuten gerade einmal sieben Treffer. „Er hat ein überragendes Spiel gemacht“, sagte Dirk Beuchler.
Ljubomir Vranjes: „Wir waren in der ersten Halbzeit überhaupt nicht in dieser Halle“
Die erste Halbzeit des TBV war phasenweise so gut, dass die Fans förmlich aus dem Häuschen waren vor lauter Handball-Glück, nachdem sie mit ihrer Party schon vor dem Spiel begonnen hatten. Als keine 14 Minuten vorbei waren und die Lemgoer mit 5:2 vorne lagen, nahm Ljubomir Vranjes eine Auszeit – eben auch, um seine Taktik zu ändern und mit Anders Eggert für Kreisläufer Michael Knudsen einen echten Linksaußen zu bringen. Es half jedoch überhaupt nicht. Nur eine Minute später nämlich lag der TBV schon mit 7:2 vorne, nachdem Patrick Zieker per Gegenstoß und Martin Strobel aus dem Rückraum getroffen hatten. „Wir waren in der ersten Halbzeit überhaupt nicht in dieser Halle“, sagte der Flensburger Trainer. „Sieben Tore sind viel zu wenig.“
Diese sieben Treffer standen allerdings auch schon nach 23 Minuten auf der Anzeigetafel, ehe die Lemgoer durch Timm Schneider (zweimal), Patrick Zieker und Marcel Niemeyer von 10:7 auf 14:7 davonzogen. „Die erste Halbzeit war fast perfekt“, sagte TBV-Coach Dirk Beuchler. „Es ist sensationell, was die Mannschaft da geleistet hat.“ Phasenweise eben Sensationelles. Das hatte die Lemgoer Anhänger so begeistert, dass sie ihr Team schon zur Pause mit Standing Ovations feierten. Und draußen, am Rande der Bande, feierten sie mit, die verletzten beziehungsweise kranken Dauer-Patienten Patrik Johansson und Finn Lemke sowie Sebastian Preiß (Knie) und Jens Bechtloff (Wade), mit deren Rückkehr für Anfang April gerechnet wird.
Von Gruchalla, Eggert, Mogensen und Gústafsson verkürzen für Flensburg auf 19:21
Klar: Ljubomir Vranjes, das wusste auch Dirk Beuchler, musste etwas verändern. Zunächst einmal reagierte der SG-Coach mit einem Wechsel: Florian von Gruchalla kam für den blassen und torlosen Lasse Svan Hansen auf die Rechtsaußen-Position. Dann agierten die Flensburger ganz, ganz kurz mit einer 5:1-Abwehr, um Martin Strobel ab der 38. Minute durch Florian von Gruchalla eng zu decken. Nur eine Minute später entschied sich Ljubomir Vranjes sogar für eine Doppel-Manndeckung, er stellte Anders Eggert auf die Füße von TBV-Linkshänder Rolf Hermann. „Wir haben alles versucht, und es hat auch ab und zu geklappt“, sagte er. „Aber letztlich haben wir heute nicht die Kräfte gehabt, die nötig gewesen wären.“
Zumal, ja zumal der TBV Lemgo auch vor Spielfreude und Siegeswillen sprühte. So ein kleines bisschen mulmig wurde es Trainer Dirk Beuchler aber doch, und er gab später auch zu, zwei Wochen zurückgedacht zu haben, an das 27:27 gegen den Tabellenzweiten Rhein-Neckar Löwen, als seine Mannschaft lange wie der Sieger ausgesehen hatte. Zwar führte das TBV-Team nach 46 Minuten noch mit sechs Treffern (21:15), kassierte dann aber vier Gegentore in Serie. Florian von Gruchalla und Anders Eggert jeweils von den Außen-Positionen in Überzahl sowie Thomas Mogensen und Ólafur Gústafsson verkürzten für die SG auf 19:21 (53.). „Die Flensburger haben es geschafft, uns ein bisschen nervös zu machen. Wir haben ein bisschen die Ordnung verloren“, sagte Trainer Dirk Beuchler.
Rickard Lönn kommt vom schwedischen Erstligisten Redbergslids IK
Aber aus dieser Nervosität wurde keine Panik, und so behielten die Lemgoer trotz leicht verlorener Ordnung den Durch- und Überblick. Und als dann auch noch der für Weltmeister Florian Kehrmann eingewechselte Arjan Haenen – der Niederländer hat seinen Vertrag am Montag bis zum 30. Juni 2015 verlängert – seinen Spaß am Torewerfen entdeckte, trällerten die Lemgoer Fans in ihrer Lipperlandhalle lautstark „Ihr könnt nach Hause fahrn“ – geschlagen von einem an diesem Abend über weite Strecken großartigen TBV.
Einen Tag nach diesem grandiosen Sieg haben die Lemgoer einen weiteren neuen Spieler vorgestellt. Vom schwedischen Erstligisten Redbergslids IK kommt Rickard Lönn zur neuen Saison. Der 23-jährige Zwei-Meter-Mann für den linken Rückraum hat einen Vertrag bis zum 30. Juni 2015 unterschrieben und für sein Heimatland schon fünf Länderspiele bestritten. „Mit Rickard Lönn holen wir gemäß unserem Konzept einen jungen, erfolgshungrigen Rückraumspieler nach Lemgo, der nicht nur eine Menge Talent und großes Entwicklungspotenzial mitbringt, sondern auch schon über einige Erfahrung verfügt“, sagt TBV-Geschäftsführer Christian Sprdlik. „Ich bin sicher, dass er der Herausforderung Handball-Bundesliga voll gerecht wird und sich schnell bei uns einfügen wird.“
TBV Lemgo – SG Flensburg-Handewitt 27:22 (14:7)
TBV Lemgo: Lichtlein, Dresrüsse (n. e.) – Niemeyer (1), Kehrmann (2), Sorrentino (n. e.), Possehl (n. e.), Strobel (4), Hermann (2), Pekeler (3), Schneider (4), Dietrich (2), Haenen (2), Tho. Kirsch (n. e.), Zieker (7/2).
SG Flensburg-Handewitt: Andersson, Rudeck (n. e.) – Karlsson, Machulla (n. e.), Eggert (4/3), Glandorf (1), Mogensen (3), Svan Hansen, Weinhold (4), Heinl (3), Gústafsson (1), von Gruchalla (2), Kaufmann (2), Knudsen (2).