Gummersbach. . Der VfL Gummersbach und der TV Großwallstadt beherrschten lange den deutschen Handball. Heute kämpfen die Liga-Dinos ums Überleben. An diesem Samstag gewann Gummersbach das Bundesligaduell der Traditionsklubs mit 25:24 (11:11).
Die Frau mit der rosaroten Frisur und dem silbergrauen Haaransatz stößt beim Schlusspfiff ihren Nachbarn auf der engen Sitzbank an und klopft mit der rechten Hand drei-, viermal auf ihre linke Brust. Ihr Herz schlägt seit Jahrzehnten für den VfL Gummersbach. An diesem Samstagabend muss ihr Motor schneller pumpen, denn der VfL macht es spannend: Erst 30 Sekunden vor Schluss sichert Christoph Schindler mit seinem Treffer zum 25:24 (11:11) Gummersbach den so wichtigen Heimsieg gegen den TV Großwallstadt.
Es war alles so wie früher – und doch ganz anders. Die beiden Klubs mit den großen Namen lieferten sich einen fesselnden Handball-Krimi, wie sie es in den vergangenen Jahrzehnten schon so häufig getan hatten. Früher waren die Duelle der Gummersbacher gegen die Großwallstädter spannend und hochklassig. Heute geht es im Klassiker nicht mehr um große Titel, heute halten die Fans die Luft an, weil es für ihre Klubs ums sportliche Überleben geht. Und so atmen die 1895 Zuschauer in der Eugen-Haas-Sporthalle auf: Nach vier Niederlagen in Serie haben ihre Gummersbacher erstmals wieder gewonnen und haben sich mit nun 8:10 Punkten vom Tabellenende abgesetzt. Für den TV Großwallstadt sieht es mit 1:17 Zählern aus neun Partien dagegen düster aus.
„Es müsste ein Wunder passieren“
Während die Gummersbacher Spieler mit ihrem Känguru-Maskottchen „Gummi“ so wild über das Parkett tanzen, als hätten sie die die zwölfte Deutsche Meisterschaft eingefahren, eilen die Großwallstädter mit hängenden Köpfen in die Kabinen. Ein Dutzend Kinder drängt sich um den Mann mit dem bekanntesten Schnäuzer der Nation. Heiner Brand, der frühere Bundestrainer und heutige Manager des Deutschen Handball-Bundes, wohnt um die Ecke.
Kein anderer kann besser als Brand beurteilen, was aus dem einstigen Gipfeltreffen des deutschen Handballs zwischen dem elfmaligen Meister aus Gummersbach und dem siebenmaligen Titelträger aus Großwallstadt geworden ist. „Tja“, sagt Brand und zuckt mit den Schultern, „das war heute Abend ein anderes Niveau als früher.“ Brand, der niemals für einen anderen Klub als seinen VfL auf das Parkett gegangen ist und als Trainer 1991 die bis heute letzte Meisterschaft mit Gummersbach gewann, prophezeit beiden Klubs eine schwierige Saison: „Es müsste schon ein Wunder passieren, damit sich beide Mannschaften in der Bundesliga retten können.“
Den einstigen Dorf-Klubs fällt es immer schwerer, finanziell mitzuhalten. „Ich bin zuversichtlich, dass es mit dem Bau einer neuen Halle in Gummersbach aufwärts gehen wird“, sagt Brand, der immer noch in der ersten Person spricht, wenn es um den VfL geht: „Wir haben inzwischen viele Sponsoren aus der Region. Das gibt Stabilität.“ Der Spatenstich für die neue Arena ist in der vergangenen Woche erfolgt, zur neuen Saison will der VfL schon in die moderne Halle mit 4132 Plätzen umziehen.
Das ist auch dringend nötig. Die Eugen-Haas-Sporthalle war schon vor Jahrzehnten zu klein, zu eng, zu unmodern. Es ist so, als ob die Zeit stehen geblieben wäre. Im Pressesaal, der eigentlich ein Kraftraum ist, gibt es immer noch Streuselkuchen. An der Wand hängen Schwarz-Weiß-Bilder, die nostalgische Gefühle an andere, an bessere Zeiten aufkommen lassen: Eugen Haas, der 1995 verstorbene „Mr. Gummersbach“, mit dem Europapokal der Landesmeister, den der VfL fünfmal gewonnen hat, und eine Szene aus der mit 11 000 Zuschauern ausverkauften Dortmunder Westfalenhalle.
Talente werden weggeschnappt
Sogar 19 403 Zuschauer sahen 2007 das Bundesligaspiel der Gummersbacher in der Köln-Arena gegen Kiel. Doch aus dem geplanten Dauerumzug nach Köln wurde nichts: Zu wenige Zuschauer, zu hohe Hallenmiete. Die neue Halle könnte das richtige Mittelmaß sein.
Weniger Hoffnung macht der TV Großwallstadt. In die 4100-Zuschauer-Arena in Aschaffenburg kamen zuletzt gegen Spitzenreiter Berlin nur noch 2400 Fans. Die Wirtschaftskrise macht es für den Klub aus dem 4000-Einwohner-Dorf nicht leichter. Die einzige Lösung: Der Verein forciert die Förderung der Jugend. „Die Nachwuchsarbeit ist vorbildlich“, sagt Heiner Brand, „aber zu gut dürfen die Jungs auch nicht werden. Dann werden sie von anderen Klubs weggeschnappt.“ Der TV Großwallstadt, ein Dino des deutschen Handballs ist vom Aussterben bedroht.