Rio de Janeiro. Diese WM hat Fußball-Freunden Laune gemacht. Der Offensivgeist fast aller Teams überraschte Experten wie Fans. Die FIFA-Beobachter wollen die neuen Trends genau analysieren, versprechen aber schon jetzt: Bei der WM 2018 in Russland dürfte es wieder stürmisch zugehen.
Im Land des Jogo Bonito hat sich der schöne Fußball in 32 imposanten WM-Tagen selbst neu erfunden. Das spektakulärste und sportlich anspruchsvollste Turnier in 84 Jahren WM-Geschichte hat die Fans in aller Welt in einen freudigen Fußball-Rausch versetzt und die Fachleute bis in die Spitze des Weltverbandes verzückt und auch ein bisschen verwundert.
FIFA-Präsident Joseph Blatter frohlockte über "eine Inspiration auf dem Fußballfeld" in Brasilien und stellte zufrieden fest: "Die Trainer sind bereit, Risiken einzugehen und ihren kreativen Spielern alle Freiheiten zu geben. Das Korsett der taktischen Disziplin ist in der Kabine geblieben." Gerard Houllier, Chef der Spielbeobachter-Crew der FIFA analysierte: "Wir haben Fußball in Top-Qualität gesehen, viele Tore, auch Dramen. Die Intensität war noch nie so hoch."
Die Fans nehmen die Fußball-Freude gerade in der Bundesliga mit in die neue Saison. Für Houllier geht die Ursachenforschung für das Spektakel noch weiter. Im Herbst wird er auf mehreren Konferenzen mit allen Nationaltrainern eine Auswertung des "Fußballs 2014" vornehmen - und er hat ein Versprechen: "Es gibt keinen Grund, warum sich der Fußball bis zur nächsten WM 2018 nicht noch weiterentwickeln soll. Jedes Turnier bringt seine Fortschritte."
Ein Torrekord für WM-Turniere mit 32 Mannschaften, fast 60 Minuten Netto-Spielzeit und ein letztlich nicht messbares Tempo bei maximalem Offensivgeist widersprachen allen Erwartungen, die gerade Fachleute - wie auch DFB-Chefscout Urs Siegenthaler - vor dem Turnier hatten. Auch Houllier gestand, zumindest bis zum ebenfalls stürmischen Testlauf beim Confederations Cup 2013, nicht mit einem Offensivspektakel gerechnet zu haben. "Das kam überraschend. Das lief gegen alle Prognosen", sagte der frühere Liverpool-Coach.
Doch wie kam es nun dazu - trotz extremen Klimas, langer Reisen und des gefürchteten Europa-Fluchs in Südamerika? Houlliers Technical Study Group hat ein paar Ideen und hebt speziell die verbesserte Trainingsarbeit und Rundumbetreuung für die Spieler hervor. "Die Regeneration zwischen den Spielen ist eine andere als noch zu meiner Zeit. Alles ist viel professioneller", sagte der Nigerianer Sunday Oliseh. "Wir haben spezielle Trainer für spezielle Positionen. Dem Detail wird mehr Beachtung geschenkt - besonders die Torhüter profitieren davon", sagte Houllier. Tatsächlich waren trotz der Quote von 2,7 Toren pro Spiel Manuel Neuer und seine Kollegen WM-Gewinner.
Im Gegensatz zu anderen Turnieren waren auch die Topstars zum richtigen Moment fit. Lionel Messi, Neymar bis zu seiner schlimmen Verletzung, Karim Benzema, Arjen Robben oder Thomas Müller - alle trafen mehrfach. Miroslav Klose sorgte mit seinem WM-Torrekord für eine adäquate Bestmarke für den Zuckerhut-Zauber.
Bei aller Offensiv-Euphorie wurde auch deutlich, dass der Fußball in der Weltspitze unglaublich eng zusammengerückt ist. Bis zum Finalwochenende endeten nur drei von 14 K.o.-Spielen mit mehr als einem Tor Unterschied. Nur in vier Partien fiel die Entscheidung schon in der ersten Halbzeit. Mit vier Elfmeterschießen von Achtel- bis Halbfinale wurde der Rekord von 1990 eingestellt.
"Diese WM wird in Erinnerung bleiben, als eine der besten, wenn wir über die Qualität des Fußballs sprechen", sagte Generalsekretär Jérômem Valcke schon bei der FIFA-Halbzeit-Pressekonferenz in Rio de Janeiro. Die Begeisterung der Fans im ganzen Land habe gezeigt: "Brasilien ist der Ort, an dem man sein muss."