Brasília. Die Seleção kämpft um ihre Würde. Nach der historischen 1:7-Abreibung gegen Deutschland und den vielen öffentlichen Entschuldigungen wollen sich Brasiliens gedemütigte Fußball-Idole im kleinen Finale gegen die Niederlande wenigstens mit einem Lächeln verabschieden.

Und das in einem Spiel, "das wir nicht spielen wollen", wie Angreifer Hulk zugibt. Der verletzte Superstar Neymar will die Mannschaft auf der schweren Reise nach Brasília als Glücksbringer unterstützen und hat für diesen Samstag gleich die Marschrichtung vorgegeben. "Wir haben jetzt alles beweint, was es zu beweinen gab", sagte der 22-Jährige nach seiner emotionalen Rückkehr ins Trainingscamp in Teresópolis. "Und jetzt versuchen wir, am Samstag zu spielen und die Partie zu gewinnen." Für Trainer Luiz Felipe Scolari wird's ein Abschiedsspiel.

Das Nachrichtenportal UOL wertet die Begegnung als "Chance zur Erlösung". Dem Wunsch nach Vergebung werden die fußballverrückten Brasilianer aber wohl nur entsprechen, wenn sich der Rekord-Weltmeister gegen "Oranje" noch einmal zusammenreißt. Dabei wären Neymars Kollegen am liebsten schon in den Urlaub gefahren; andererseits ist das "kleine Finale" - bei Europameisterschaften letztmals 1980 ausgetragen - eine Chance auf Schadensbegrenzung.

"Mich interessiert der erste Platz, und wenn es nicht der erste ist, dann ist mir alles andere egal. Ich habe immer um erste Plätze gekämpft. Und wenn ich das nicht kann, ziehe ich es vor, mich mit anderen Dingen zu beschäftigen", sagte Dani Alves. Der Abwehrspieler vom FC Barcelona ist allerdings sowieso sauer, seit ihn Scolari aus der Stammelf verbannt hat.

Theoretisch wäre für die Brasilianer das Spiel um Platz drei auch eine Revanche für das Viertelfinal-Aus gegen die Niederländer vor vier Jahren in Südafrika - aber den WM-Gastgeber plagen derzeit andere Sorgen. Zu tief sitzt die Schmach gegen Deutschland, zu groß sind die Fragezeichen um den künftigen Nationaltrainer.

Scolari will nicht davon reden, aber es gilt als beschlossene Sache, dass der Chefcoach der Weltmeister-Mannschaft von 2002 gehen muss. Zumal mit Adenor "Tite" Bacchi (zuletzt Corinthians São Paulo) sowie U 20-Nationalcoach Alexandre Gallo bereits zwei Nachfolgekandidaten gehandelt werden. "Wir haben eine Verpflichtung mit dem brasilianischen Verband bis zum Ende der Weltmeisterschaft, das ist für uns jetzt das Spiel um Platz drei am Samstag", sagte Scolari. Erst danach spreche man mit der Führung des brasilianischen Fußballverbandes CBF. Der Trainer erklärte die Begegnung um den Trostpreis zum neuen Traum der Seleção: "Wir wollen das Turnier wenigstens als Dritter beenden."

Auch Thiago Silva versuchte, die neue Zielvorgabe möglichst glaubwürdig zu verkaufen. "Ich habe immer gesagt, dass unser einziges Ziel der Titel ist und dass uns der zweite, dritte oder vierte Platz egal ist", sagte der Kapitän. "Aber jetzt müssen wir uns so vorbereiten wie immer und unserem Nationaltrikot Ehre machen."

Richtig überzeugend klangen seine Worte nicht. Selbst bei einem Sieg gegen die Niederlande scheinen die Bronzemedaillen für die Brasilianer ähnlich wertlos zu sein wie das 2:1 bei der WM 1978 im "kleinen Finale" gegen Italien. Damals zog Gastgeber Argentinien durch ein 6:0 gegen Peru wegen des besseren Torverhältnisses ins Endspiel ein. Bis heute spricht Brasilien von Bestechung.

Die Seleção 2014 hat andere Probleme. "Lasst uns diese Krise nicht vergeuden", fordert die Zeitung ""Folha de São Paulo" am Freitag. "Es hat nie einen besseren Zeitpunkt gegeben, den brasilianischen Fußball zu reformieren." Die brasilianischen Fans sind auch deshalb so enttäuscht, weil Scolari und sein Mitstreiter Carlos Alberto Parreira keine Fehler eingeräumt haben. Dafür mussten sie in den Medien gewaltige Prügel einstecken.

"Nicht alles an unserer Arbeit war schlecht. Ich würde nichts anders machen", verteidigte sich der 65 Jahre alte Chefcoach. Der Technische Direktor Parreira meinte bei einer Rechtfertigungs-Pressekonferenz des Trainerstabs im Trainingscamp im Teresópolis sogar: "Alles hat perfekt funktioniert, außer das Spiel gegen Deutschland."

Wesentlich selbstkritischer ging Neymar mit sich und der Seleção nach dem verpassten sechsten Titel um. Der vierfache WM-Torschütze räumte ein, dass Brasilien bei diesem Turnier nicht seinen besten Fußball gezeigt habe. "Es war ein gewöhnlicher Fußball, nicht der Fußball einer brasilianischen Auswahl, der besser ist und alle begeistert." Man müsse jetzt die Begegnung gegen die Niederlande angehen, "als ob es ein Endspiel wäre, und diese WM lächelnd beenden".