Domburg. Es kommt nicht zur Neuauflage des 1974er Endspiels. Die Niederlande scheidet im Halbfinale gegen Argentinien nach Elfmeterschießen aus und kämpft am Samstag gegen Brasilien um Platz drei. Wir haben mit Oranje-Fans im beliebten Ferienort Domburg gezittert.
Sie hatten gejubelt und gesungen, ihre “Elftal” mit Blicken fixiert, als könnten sie so den Sieg erzwingen. Noch berauscht vom Spiel der Deutschen am Abend zuvor, vom auch für sie unfassbaren 7:1, hatten sie sich schon im Finale gesehen. Überall in Holland, auf den Plätzen, in den Kneipen und Häusern. Deutschland - Holland, das wär’s gewesen! Aus der Traum. Vorbei. Oranje alles andere als boven. Oranje ganz unten, tieftraurig.
Am frühen Abend im niederländischen Küstenort Domburg, einem der Lieblingsplätze der Deutschen, ist die Welt noch in Ordnung. Ein Nordsee-Sturm peitscht Regen durch die Straßen, doch die Domburger und die Touristen verharren eisern draußen unter Heizstrahlern. Noch einen Pannenkoek, noch ein Biertje, dann geht’s los. Orange-rot füllen sich die Kneipen mit den großen Fernseh-Leinwänden. Orange, allüberall. T-Shirts, Perücken, Federboas, ja komplette Jogging-Anzüge. Wenn Holländer feiern, dann aber richtig. In der Kneipe “Tramzicht” schunkeln sie und singen und stehen stolz für ihre Nationalhymne auf, bis zur letzten Zeile kennen sie jedes Wort.
Hand aufs Herz. “Wir werden gewinnen. 7:1!”, erklärt Frank Vester, ein holländischer Tourist aus Bergen op Zoom und schickt lachend hinterher, dass ihm gegen Argentinien natürlich ein 1:0 ausreichen würde. “Holland wird gewinnen, in der Nachspielzeit”, glaubt da auch Dion van de Gazelle noch fest. Mit Arjen Robben und Wesley Sneijder gegen Deutschland ins Finale. Die alte Rivalität, so sagen sie, die gebe es nicht mehr. Natürlich kenne er die Geschichten, habe er all die Bilder im Fernsehen gesehen, sagt Dion van de Gazelle. Von dem Desaster bei der WM 1974, als der Favorit Holland vom Außenseiter Deutschland vorgeführt wurde, von der EM 1988, als Ronald Koeman sich mit dem Trikot von Olaf Thon demonstrativ den Hintern abwischte. “Aber 1974, da war ich nicht einmal geboren!”, sagt Dion, der bald 30-Jährige.
"D-Day voor Oranje"
“Nein, das ist vorbei!”, sagt auch sein Vater Theo, “es hat lange gedauert, aber seit dem Sieg bei der EM 1988 ist alles gut”. Doch an diesem Abend in Domburg, an diesem Halbfinale-Abend in Holland wird gar nichts gut. Das Spiel, es plätschert so dahin, mögen die Orangenen ihre Elf noch so antreiben, mögen sie jeden Ballkontakt von Robben und Sneijder noch so bejubeln. Und irgendwann geht ihnen merklich die Puste aus. Sie halten sich an ihren Gläsern fest, enttäuscht von dem was sie auf der Leinwand sehen. Noch hoffen sie. Doch so rasant sich das Spiel der Deutschen entschieden hatte, so zäh zieht sich nun das der Ihren.
“D-Day voor Oranje” hat die holländische Boulevard-Zeitung “Telegraaf” an diesem Tag getitelt und so kommt es nun auch. Tag der Entscheidung. Doch anders als erwartet, als erhofft, wird dies nicht der letzte Tango für Argentiniens Star Lionel Messi. Überhaupt, von Tango kann auch im Domburger “Tramzicht” keine Rede mehr sein. Die Verlängerung. Das schon beim ersten Schuss missratene Elfmeter-Schießen. Oranje am Boden. Dabei haben sie eben noch Karneval gefeiert. Laut und ausgelassen. Haben “Viva Hollandia” gesungen, und das ist nichts anderes als die niederländische Variante von “Viva Colonia” der Kölner Gruppe “De Höhner”. Ein Finale Deutschland - Holland, das wär’s tatsächlich gewesen. Drinnen, in der Kneipe, sammeln die Kellner resignert die Gläser ein, rücken die Stühle. Vor der Tür heult immer noch der Sturm, trösten sich die Enttäuschten. Am Ende werden sie sogar noch ein paar einsame Feuerwerks-Raketen in den Himmel schicken. Aber selbst die klingen traurig.