Berlin. Fußball-Legende Diego Maradona schimpfte über den “miesesten Schiedsrichter der letzten zehn Jahre“, der frühere Top-Referee Urs Meier sprach in der ersten Empörung von einem “Treter-Festival“ und DFL-Experte Hellmut Krug übte Generalkritik.
Nach dem brutalen Foul an Brasiliens Stürmerstar Neymar und dessen WM-Aus ist die emotionale Debatte über die Schiedsrichterleistungen bei der Endrunde in Brasilien erneut hochgekocht. "Grundsätzlich gefällt der deutschen Schiedsrichterführung die Gangart bei dieser WM nicht", zog Krug in einem Telefoninterview des TV-Senders Sky Sport News HD schon vor den letzten vier Turnierspielen eine negative Bilanz.
Der frühere FIFA-Referee, der die Deutsche Fußball Liga (DFL) in Schiedsrichterfragen berät, hat bei der Endrunde am Zuckerhut eine fatale Fehlentwicklung ausgemacht. "Bei dieser WM wollte man offensichtlich von Beginn an weniger Karten vergeben. Leider hat man den Mittelweg nicht gefunden. Die meisten Schiedsrichter waren zu großzügig und das entspricht nicht dem, was die nationalen Verbände und die FIFA schulen", kritisierte Krug die weltweit heiß diskutierten Auftritte der Spielleiter.
Krug relativierte zumindest, dass es auch "großartige Schiedsrichterleistungen, wie z. B. die von Felix Brych", gegeben habe. Der deutsche WM-Referee kam dennoch nur zweimal zum Einsatz und wird nach dem Vorstoß der DFB-Auswahl ins Halbfinale wohl auch nicht mehr zum Zuge kommen.
Auf 180 war Urs Meier. In einem Gastbeitrag für Focus Online schrieb sich der Schweizer den Frust von der Seele, den er nach dem Wirbelbruch und dem damit verbundenen WM-Aus von Neymar mit Millionen Fußball-Fans teilt. "Der Ball wird zur Nebensache. Die WM verkommt zu einem Treter-Festival", stellte Meier deprimiert fest. "Der Fußball bei dieser WM ist viel zu physisch und körperbetont, die Messlatte für Gelbe Karten viel zu hoch angesetzt worden. Es wird getreten, gehalten, gezerrt und gemeckert - die Grenzen werden auf jedem Gebiet überschritten. Die Referees lassen viel zu viel laufen und greifen kaum in die Brusttasche", schimpfte er weiter und behauptete: "Das hat die FIFA mitzuverantworten."
Die Kritik wird durch die WM-Statistik gestützt. Verteilten die Unparteiischen bei der WM 2010 in Südafrika noch 245 Gelbe Karten, waren es bei dieser Endrunde bis zum Halbfinale lediglich 168. Vor vier Jahren wurden insgesamt 17 Platzverweise ausgesprochen, bei dieser Endrunde sind es bishr erst zehn. Noch gravierender sind die Unterschiede zum Turnier 2006 in Deutschland. Damals zogen die Unparteiischen 307 Mal den gelben Karton und schickten gleich 28 Mal einen Spieler vorzeitig vom Platz.
Schon jetzt steht fest, dass es in Brasilien die wenigsten Gelben Karten seit 1990 (162) geben wird. Deutschlands Schiedsrichter-Boss Herbert Fandel hatte sich deshalb schon zur WM-Halbzeit besorgt über diesen Trend geäußert. "Wir sehen Vergehen, bei denen wir sagen: Hier müsste eigentlich eine Verwarnung her. Wenn diese notwendigen Verwarnungen nicht ausgesprochen werden, ist man zunächst einmal verwundert. Wenn dies dann zur Regel wird, ist man mehr als irritiert", sagte Fandel im "kicker"-Interview und fügte hinzu: "Schiedsrichter sollen ein Spiel leiten, und der Fußball muss im Mittelpunkt stehen. Allerdings ist es auch ihre Aufgabe, gewisse Grenzen zu setzen. Wenn man das nicht tut, schadet es dem Fußball eher."
Das war am Freitagabend im Südamerika-Duell zwischen Brasilien und Kolumbien (2:1) der Fall. Mit 54 Fouls gab es so viele wie zuvor nicht bei dieser WM - aber nur vier Gelbe Karten. "Das passt zum Stil bei dieser WM. Man toleriert wahnsinnig viel. Da braucht sich niemand wundern, dass es Verletzte gibt. Das wird in Kauf genommen", kritisierte Meier. Das brutale Foul an Neymar, das das WM-Aus für Brasiliens Superstar bedeutete, wurde nicht einmal geahndet.
Krug bewertete die Leistung des spanischen Unparteiischen Carlos Velasco als ungenügend. "Er hat schlicht seinen Auftrag nicht erfüllt. Es wurde zu sehr mit der langen Leine gearbeitet. So stellt man sich eine Spielleitung nicht vor", rügte er. Und Maradona giftete in seiner Sendung "De Zurda" des venezolanischen Senders Telesur: "Der Schiedsrichter war der mieseste, den ich in den letzten zehn Jahren gesehen habe."
In den Chor der Kritiker stimmte auch TV-Experte Mehmet Scholl ein. Der frühere Nationalspieler wetterte: "Ich bin richtig sauer und richtig enttäuscht. Das kommt dabei raus, wenn die Schiedsrichter nicht in der Lage sind oder die Vorgabe haben, brutale Fouls nicht zu stoppen. Dann wird ein Neymar verschluckt, der wird vom Platz getragen. Das war jetzt nicht mehr meine Sportart."