Curitiba. Der Weltmeister aus Spanien hat nach der 1:5-Niederlage gegen die Niederlande nun schon ein Entscheidungsspiel: Am zweiten Spieltag der Gruppe B trifft das Team von Trainer Vincente del Bosque auf die Chilenen, die mit einem Sieg ins Turnier gestartet sind. Veränderungen wird es im spanischen Team aber wohl nicht geben.

Einen ganzen Packen voller Handzettel hatte der beleibte Brasilianer mitgebracht, der sich an die mit Schlaglöchern gesäte Zufahrtsstraße gestellt hat. Die „Churrascaria Gaucho“ im Stadtteil Pinheirinho von Curitiba könnte den Zulauf hungriger Journalisten gut gebrauchen, doch das Interesse hält sich bei den spanischen Berichterstattern gerade in Grenzen. Reicht ja, wenn ein Bus in die wenige einladende Gegend weit draußen vom Stadtzentrum fährt, aber hier speist man eher nicht, wenn man nicht muss. Die medialen Begleiter des Titelverteidigers sind es zwar aus den vergangenen Turnieren gewohnt, dass ihr Verband keinen Hotspot als Herberge bucht, aber wo das „CT do Caju“ genannte Trainingszentrum des Erstligisten Atlético Paranaense gelegen ist, könnten böse Zungen sogar Sehnsüchte nach einer frühen Abreise ableiten.

Touristen werden in diese Peripherie der einst preisgekrönten Umwelthauptstadt eher nicht geführt, und das hat in den Ausläufern von Industrievierteln wie Bairro Novo seinen guten Grund: Herumstreunende Hunde, zerfallene VW-Busse und beschmierte Fassaden deuten darauf hin, hier als Europäer lieber keinen Abendspaziergang zu unternehmen. Und das Amüsement scheint sich darauf zu beschränken, in einer baufälligen Pizzeria noch ein Bier zu schlürfen. Kein Wunder, dass Lebemann Lothar Matthäus es hier bei seinem Intermezzo vor acht Jahren nur wenige Wochen aushielt. Legendär der Vorfall, als „Loddar“ nach der raschen Flucht aus Curitiba Telefonrechnungen über 10.000 Reais, umgerechnet mehr als 3000 Euro, mit seiner damaligen Lebensgefährtin hinterließ, die sein Arbeitgeber genüsslich via Internet verbreitete.

Mata spricht vor dem Spiel gegen Chile von einem Finale

Die spanische Star-Armada hat bislang kein schlechtes Wort über das Camp fallen lassen, was vielleicht daran liegt, dass man die Umgebung bislang nur durch die Glasscheiben des Mannschaftsbusses erkundet hat. Und für das Wichtigste einer Fußball-Mannschaft ist ja gesorgt: Im bewachten Bereich erstrecken sich auf insgesamt 220.000 Quadratmetern acht Rasenplätzen mitsamt Hotelkomplex, das jene Kicker bewohnen, die bereits am Montagnachmittag nach Rio de Janeiro flogen. Denn dort steigt am Mittwoch für den Weltmeister gegen Chile (21 Uhr/live bei ARD und in unserem Ticker) das wegweisende zweite Gruppenspiel. Schmuckloser Abschied oder spektakuläre Wiederauferstehung? Nur mit einem Sieg umgeht eine gekrönte Generation sicher dem K.-o. in der Vorrunde.

Am Tag vor dem Trip an den Zuckerhut hockten Pedro und Juan Mata gemeinsam im „Media Center Espanha“, einem von drei gewaltigen Dieselgeneratoren betriebenen Zeltbau, dessen Umgebung so angelegt ist, dass niemand einen Blick auf den Trainingsplatz werfen kann. Und Militärpolizei passt auf, dass keiner durch das notdürftig mit Karabinerhacken gesicherte Fangnetz schlüpft. Der Ernst der Lage ist allerorten erkannt. Immer wieder fielen nun bei den Medienterminen die Schlüsselwörter: „Finale“ und „Maracanã“. Typisch das von Mata gerne wiederholte Mantra: „Es ist ein Finale, und wir müssen gewinnen.“ Bei den Worten klang Zuversicht durch.

Das eigentliche Endspiel findet zwar erst am 13. Juli statt, aber schon mal den Ernstfall zu simulieren, kann nicht schaden. Nur muss es gerade dieser unbequeme Widerpart aus Südamerika zu sein, der mit dem beim FC Barcelona angestellten Alexis Sanchez jederzeit zum Spaßverderber taugt, fragen sich die Skeptiker. Klubkollege Pedro hat darauf so geantwortet: „Alexis ist der Fixstern der Chilenen, aber wir werden nicht noch einmal scheitern.“ Als sicher gilt, dass der selbstbewusste Flügelspieler für David Silva auflaufen wird. Und vielleicht rauscht Stürmer Diego Costa für die Startelf auch durchs Rüttelsieb.

Erinnerungen an die WM 2010 in Südafrika

Aber mehr Revolution kündigt sich beim zumindest in Personalfragen arg konservativen Nationaltrainer Vincente del Bosque („Wir haben die Reife, um zu bestehen“) nicht an. Von fundamentalen Änderungen mag niemand etwas wissen. Verbandschef Ángel María Villar stärkte dem Schnauzbartträger demonstrativ den Rücken. Und hat die „Selección“ nicht vor vier Jahren in Südafrika ähnliches durchgemacht? Anfangspleite in Durban gegen die Schweiz, dann nahmen die Iberer hernach alle auf die Hörner. Im entscheidenden Gruppenspiel übrigens Chile (2:1), um sich dann ohne Gegentor durchzukombinieren.

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Die Erinnerung an die Meriten der Vergangenheit hält das Media Center mit seiner Wandbestückung wach – bloß warum sind die damaligen Fotos in schwarz-weiß gehalten, während das aktuelle Mannschaftsbild farbig strahlt. Es sind doch fast alles dieselben Spieler. Noch werden die drängenden Fragen nach einem Generationswechsel eifrig verdrängt. „Wahnsinn“, rufen Haudegen wie Sergio Ramos, seien derlei Debatten. Gemeinsam soll der Gegenschlag gelingen. Deshalb hat bereits am Sonntag auf den Terrassen der angemieteten Anlage ein Barbecue stattgefunden. Der spanische Verband verbreitete selbst die Bilder via Twitter, auf denen Fernando Torres und Kollegen sich typische brasilianische Fleischspeisen munden ließen. Die Bestellung soll an ein Lokalität aus der direkten Umgebung gegangen sein, die dann einen Lieferwagen mit den Leckereien schickte. Die „Churrascaria Gaucha“ war es aber nicht.