Manaus. Nach der furiosen Dschungelparty inszenierte Mario Balotelli genüsslich seine private Show, Wayne Rooney kehrte hingegen tief enttäuscht bei Sonnenaufgang vom schwülen Amazonas nach Rio zurück.
Im heiß erwarteten Duell der Superstar-Stürmer rechtfertigte nur Italiens extravaganter Hitzkopf die hohen Erwartungen und versetzte den englischen WM-Hoffnungen einen heftigen Tropenschock. "Endlich Mario!", jubelte die "Gazzetta dello Sport" nach dem 2:1-Erfolg in Manaus. "Es ist der Mario geboren, den wir uns immer erwartet haben: Der in der wichtigsten Nacht trifft, mitreißt, rackert und nicht ein Wort zum Schiedsrichter sagt."
Nach seinem neunten torlosen WM-Auftritt verschärfte sich die Debatte um Rooneys Rolle in der Heimat, Balotelli zeigte ihm gleich bei seinem WM-Debüt mit dem Siegtreffer (50. Minute), wie es gemacht wird. Bedeutungsschwanger legte der 23-Jährige vom AC Mailand seinen rechten Zeigefinger auf die Lippen und bat mit der Geste erstmal um andächtige Ruhe. "Es ist ein einzigartiges Gefühl, ich habe noch nie bei einer WM gespielt, das ist jetzt fantastisch", sagte der Angreifer in der Arena da Amazônia. "Das Tor widme ich meiner zukünftigen Frau, meiner Familie und meinen Freunden."
Balotellis Verlobte Fanny Neguesha fieberte mit ihrem Mario auf der Tribüne in der mit 39 800 Zuschauern nicht voll besetzten Arena mit und sah ein packendes Kräftemessen in dem Klassiker. "Es war ein unglaubliches Spiel, eine Partie für die Ewigkeit", sagte Italiens Nationaltrainer Cesare Prandelli verzückt nach der ersten Startpleite der Engländer seit 28 Jahren. Von Balotelli erwartet der 56-Jährige beim nächsten Auftritt gegen Costa Rica am Freitag (18.00 Uhr) in Recife aber mehr. "Sein Potenzial ist enorm. Er muss so weitermachen, wie er heute gespielt hat", forderte Prandelli.
Balotelli besitzt einschüchternde Wirkung. Davon kann auch die DFB-Elf berichten, die der Angreifer bei der EM 2012 im Alleingang am Einzug ins Finale hinderte. Die italienische Presse beschied ihm umgehend schonungslose Züge. "Balotelli zerfleischt England", schrieb die "Gazzetta dello Sport". Auch die "Daily Mail" erkannte: "Unbarmherziger Mario bestraft nachlässige Abwehr." Und die "Sun" titelte angesichts des beeindruckenden Kopfballs nur: "Ballo-Helli".
Mit Rooney gingen die englischen Zeitungen weniger zimperlich um. "Die Debatte wird weiter wüten", schrieb selbst der zurückhaltende "Guardian". "Er sieht jede Saison immer lethargischer aus und wenn er nicht vorne drin oder als Nummer Zehn spielt, sollte er gar nicht mehr im Team sein."
Zwar glückte dem 28-Jährigen nach Italiens Führung durch Claudio Marchisio (35.) beim zwischenzeitlichen Ausgleich mit der Vorlage für Daniel Sturridge (37.) seine erste Torbeteiligung bei einer WM. Nach zwei vergebenen Chancen zum 2:2 steht seine Position aber öffentlich wieder mal zur Diskussion: "Auf diesem Niveau bei der WM bekommst du nur eine Chance im Spiel und die musst du nutzen", bemängelte der frühere Top-Stürmer Alan Shearer bei der BBC. Zum allem Überfluss verletzte sich Gary Lewin beim Jubel über das 1:1 noch das rechte Sprunggelenk - das WM-Aus für den Physio.
Auch bei 31 Grad und 61 Prozent Luftfeuchtigkeit schonten beide Teams vor der Amazonas-Kulisse keine Kräfte für die nächsten Aufgaben. "Diese Vorstellung gibt uns großes Selbstvertrauen", urteilte Hodgson. "Die Niederlage ist aber sehr enttäuschend. Es braucht eine Weile, das zu verarbeiten."
Die Gesundheit der Spieler spielte schon im Vorfeld eine große Rolle. Am Amazonas sei es einfach zu heiß, hieß es. Beide Teams gingen jedoch ein hohes Tempo. "In einigen Momenten dachte ich, ich hätte Halluzinationen", meinte Marchisio wegen des Klimas und lobte den Charakter des Teams. "Wir haben im Trainingslager gut gearbeitet, das hat man heute gesehen", analysierte Prandelli. "Sie waren physisch nicht so gut vorbereitet wie wir, hatten Krämpfe."
Und Italien hatte einen Andrea Pirlo, der als umsichtiger Taktgeber seine Mannschaft anführte. "Wir haben heute ein mutiges Italien gesehen. Es war ein wichtiger Sieg auf unserem Weg bei der WM", sagte Pirlo. Ein Erfolg gegen das überraschend starke Costa Rica wäre schon fast die sichere Qualifikation für das Achtelfinale.
Auf England lastet umso mehr Druck. "Wir müssen Uruguay schlagen", forderte Kapitän Steven Gerrard vor dem zweiten Gruppenspiel am Donnerstag (21.00 Uhr MESZ) in São Paulo. Vielleicht beruhigt ihn ein Blick in die Statistik. Denn bei der letzten WM-Startniederlage 1986 in Mexiko erreichten die Briten später immerhin das Viertelfinale.