São Paulo. . Ausgerechnet rund um das Stadion von São Paulo, in dem am Donnerstag die Fußball-Weltmeisterschaft eröffnet wird, gibt es Proteste und jede Menge verärgerte Menschen. Das U-Bahn-Personal fordert 12,8 Prozent mehr Lohn, die Stadt bietet nur acht Prozent an.

Wenn Fifa-Chef Sepp Blatter und Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff am Donnerstag auf der Ehrentribüne im Estadio Itaquerão von São Paulo Platz nehmen, sollten sie den Kopf nicht zu weit nach rechts wenden. Auf einem der Hochhäuser, die neben dem Stadion des WM-Eröffnungsspiels stehen, haben Gegner weithin sichtbar zwei Worte gemalt: „Fucking Cup“ steht da in holprigem Englisch zu lesen, aber die Botschaft ist dennoch klar. „Wir wollen Eure WM nicht“.

Vermutlich bleibt den Ehrengästen bei der WM-Eröffnung der Blick auf die Schmähung erspart, denn die 38 Millionen Reais (12 Millionen Euro) teuren Behelfstribünen, mit denen die Kapazität des Stadions auf 61 600 Zuschauer aufgestockt wird, versperren den Blick auf die Wohnhäuser.

Proteste und Streiks gehen weiter

Aber während zwei Tage vor dem Anpfiff der WM mit der Partie zwischen Brasilien und Kroatien am „Itaquerão“ die letzten Nägel eingeschlagen werden, gehen Proteste und Streiks in der brasilianischen Metropole weiter. Schon jetzt ist sicher: Auch der Auftakt des Sport-Spektakels wird von Nebengeräuschen beschallt werden. Ureinwohner und Obdachlose wollen protestieren und auf ihre Anliegen aufmerksam zu machen.

Am Montag ging der Streik der U-Bahn-Mitarbeiter in der größten Stadt Brasiliens schon in den fünften Tag. Die Hälfte der Linien fuhr nicht, die Hälfte der Stationen blieb geschlossen. Auch die an der Arena Corinthians, wie das Estadio Itaquerão offiziell heißt, gähnte vor Leere. Hier sollen zur WM-Eröffnung eigentlich Zehntausende zum Eröffnungsspiel ankommen.

Das Chaos beim Metro-Streik

Die Angestellten und Arbeiter streiken für bessere Löhne, die Stadt bietet acht Prozent, die Metro-Malocher wollen 12,8 Prozent. Wann, wenn nicht jetzt, wenn WM ist und die ganze Welt zuschaut? Die Polizei ging am Montag mit Tränengas gegen Streikende vor und nahm 60 Demonstranten fest. Im Großraum São Paulo leben rund 25 Millionen Menschen, und wenn die Metro streikt, verwandeln sich die übervollen Stadtautobahnen in unbewegliche Blechschlangen. Am Montag erreichte der Stau zur Rush-Hour morgens schon eine Länge von 146 Kilometern, später schwoll der Blechwurm auf 200 Kilometer an. Am Mittwoch will die Gewerkschaft entscheiden, ob auch am Tag des Eröffnungsspiels gestreikt wird.

WM-Arbeiter stirbt

Bei den Arbeiten zum Bau einer Einschienen-Bahn in der brasilianischen WM-Eröffnungsstadt São Paulo ist ein Arbeiter gestorben.

Der 25-Jährige wurde drei Tage vor dem Eröffnungsspiel zwischen Brasilien und Kroatien von einem rund 90 Tonnen schweren Stützbalken erdrückt, der aus bislang noch ungeklärter Ursache auf ihn hinabgestürzt war.

Während der Streit wächst, gehen die Arbeiten am Stadion auf die Zielgerade: Die Toilettenhäuschen werden angeliefert, die Bürgersteige mit weißer Farbe getüncht, letzte Einsatzteams verlegen den Rasen um die Arena. Mehr als 300 Arbeiter sind in einem Rennen gegen die Zeit am WM-Eröffnungsstadion im Einsatz. Eigentlich hätte das „Itaquerão“ schon am 31. Dezember fertig sein sollen.

Das Stadion ist eine High-End-Arena, die später an das lokale Team Corinthians übergeben wird. Es wirkt wie ein Raumschiff auf einem grünen Hügel inmitten von Stadtautobahnen, Metro- und Stadtbahnlinien sowie Hochhäusern und Armensiedlungen. Es wurde vor drei Jahren im Stadtteil Itaquera im Osten von São Paulo aus dem Boden gestampft.

Der Sperrgürtel ums Stadion

Dort sind die Verkäufer, die mit Eis-Wägelchen durch die Gegend ziehen oder wie José Carlos Silva süßen Cafezinho und Mortadella-Sandwichs aus einem Lieferwagen an die Arbeiter der Stadion-Baustelle verkaufen, sauer: „Am Donnerstag ist für mich Schluss, dann darf ich nicht mehr hier stehen“, sagt Silva. „Ich hatte drei gute Monate, aber nun kommt die Fifa.“

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Und deren Gesetz ist eisern: Wie Aussätzige müssen die Verkäufer einen Sperrgürtel um das Stadion respektieren. Innerhalb des Gürtels dürfen nur die Sponsoren und Lizenznehmer des Fußball-Weltverbandes verkaufen. Zum Nachteil der Fans. Eine Flasche Wasser zum Beispiel, das bei José Carlos Silva umgerechnet einen Euro kostet, schlägt innerhalb des Fifa-Sperrgürtels mit gleich drei Euro zu Buche.

Eine Milliarde Menschen werden bei der Eröffnung vor den TV-Schirmen kleben. Da dürfte Sonnenkönig Blatter kaum stören, dass manche Brasilianer nur eines finden: „Fucking Cup“.