Gelsenkirchen. . Bondscoach Louis van Gaal hat das WM-Team der Niederlande radikal umgebaut. Schalkes Torjäger Klaas-Jan Huntelaar muss sich hinten anstellen. „Ich schaue mir das ganz locker an“, hat er zu Beginn der Vorbereitung gesagt. Es darf allerdings bezweifelt werden, ob Huntelaar tatsächlich so gelassen ist.

Nehmen wir einmal an, Klaas-Jan Huntelaar wäre Deutscher. Würden wir dann hierzulande vor der Fußball-WM in Brasilien über einen Mittelstürmerschwund diskutieren? Hätte dann irgendjemand die Befürchtung, es könnte mit einer so genannten falschen Neun nicht klappen, falls Miroslav Klose ausfällt? Der Einzige, der dann tatsächlich ein Problem hätte, wäre Klose persönlich. Denn er müsste sich dann gegen Konkurrenz auf höchstem Niveau behaupten.

Klaas-Jan Huntelaar aber ist Niederländer. Und obwohl dilaare von Trainer Louis van Gaal extrem verjüngte Nationalmannschaft erfahrene Spieler wie den 30-jährigen Torjäger vom FC Schalke 04 dringend benötigt, ist in der ersten Elf kein Platz für ihn. Denn im Angriff hat van Gaal ein Luxusproblem, und in seinem bevorzugten neuen Zwei-Spitzen-System sind zwei andere internationale Top-Stürmer gesetzt: Robin van Persie von Manchester United und Arjen Robben vom FC Bayern.

Also muss sich der „Hunter“, der Mann mit der eingebauten Torgarantie, hinten anstellen. „Ich schaue mir das ganz locker an und warte, was passiert“, hat er zu Beginn der Vorbereitung gesagt. Ob er tatsächlich so gelassen ist, darf bezweifelt werden. „Am Ende will man immer spielen“, gibt er zu. Ein Gourmet gibt sich ja auch nicht mit Appetit anregenden Bildern in einem Kochbuch zufrieden.

Huntelaar saß sich den Allerwertesten wund

Van Gaal ließ Huntelaar in den vergangenen Tagen schon mal Geduld üben: Beim mit 1:0 gewonnenen WM-Test gegen Ghana am Samstag saß sich der Schalker 90 Minuten lang den Allerwertesten auf der Bank wund. Als der Bondscoach van Persie nach 74 Minuten auswechselte, testete er den 20-jährigen Memphis Depay. Beim 2:0 am Mittwoch gegen Wales war es ähnlich: van Persie ging nach 45 Minuten, van Gaal probierte es diesmal zunächst mit Jeremain Lens. Die Fernsehbilder zeigten einen scheinbar dennoch gut gelaunten Huntelaar, der dann erst ab Minute 77 auch mal Grashalmkontakt aufnehmen durfte. Eine zu kurze Zeit, um sich nachhaltig empfehlen zu können.

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Der Strafraumstürmer war in der vergangenen Saison lange verletzt, Schalke hatte sehnsüchtig auf sein Comeback gewartet. Als er sich zurückmeldete, war er auf Anhieb wieder voll da. Ohne Ängste, ohne Zweifel, ohne Anlaufzeit. „Alles Kopfsache“, erklärt er. „Man muss dafür sorgen, dass man fit wird, dann kann man auch seine Ziele erreichen.“ Zwölfmal beulte er in 18 Bundesligapartien das Netz aus. Eine Top-Quote, ähnlich wie die in der Nationalmannschaft: 62 Länderspiele, 34 Tore – und selbst das reicht nicht.

Louis van Gaal setzte den Abbruchhammer an

Huntelaar bemüht sich, keinen Ärger zu machen, er betont, dass es nach wie vor eine Ehre für ihn sei, für sein Land zu spielen. Wenn man ihn denn lässt. „Ich war ja ein halbes Jahr nicht da“, sagt er. „Und in der Zeit ist ein neuer Kader gebildet worden.“ Nach der Europameisterschaft 2012 in Polen und der Ukraine, die das Team der Niederlande unter dem damaligen Bondscoach Bert van Marwijk mit drei Niederlagen in der Vorrunde schwer vergeigt hatte, setzte Louis van Gaal den Abbruchhammer an und baute dann ein neues Team auf, mit zum Teil noch namenlosen Spielern aus der nationalen Liga. Die Medien nannte die radikale Strategie eine „orangene Revolution“.

Wie weit ist diese von wenigen Routiniers geleitete neue Mannschaft, der die mittlere Altersgruppe fehlt, nach den vielen Experimenten? Kommt die WM für sie zu früh? „Die Erwartungen sind in jedem Fall niedriger als üblich“, hat Huntelaar festgestellt. „Es wird nicht allgemein damit gerechnet, dass wir das Finale erreichen.“

Vor vier Jahren scheiterten die Niederländer im Endspiel in Südafrika mit 0:1 an dem kommenden Gruppengegner Spanien. Klaas-Jan Huntelaar musste damals zuschauen, er wurde nicht einmal eingewechselt und ersoff in einem Meer aus Frust. „Das war ein Tiefpunkt in meiner Karriere“, sagt er. „Daran denke ich noch immer.“ Man kann sich vorstellen, dass der Mann in Brasilien noch etwas zu beweisen hat.