Montevideo. . Im modernsten Stadion Uruguays steht eine Telefonzelle neben der Eckfahne, es gibt einen Wassergraben und Sitze aus Stein - aber das Land ist fußball-verrückt. Und ihre Top-Spieler sind nicht selten tragende Säulen europäischer Spitzenklubs.
Die Bachstelze ist immer da – majestätisch stolziert sie die Außenlinie entlang. Es ist ihr Biotop, denn vier Wassergräben sind neben Zäunen, Stacheldraht und Ordnungskräften Teil des Sicherheitskonzepts im Centenario in Montevideo. Es ist das modernste Fußballstadion Uruguays, doch es stammt aus dem Jahr 1930 und hat sich seither kaum verändert.
Selbst Sitze sind noch aus Stein, überall bröckelt Putz. So morbide ihre beste Arena ist, so modern ist ihr Fußball. Platz sechs der Weltrangliste, Uruguays Spieler sind Säulen europäischer Klubs: Diego Godín schoss Atlético Madrid zum Titel in Spanien, Luiz Suárez wurde in Liverpool Torschützenkönig der Premier League und Edinson Cavani glänzt in der Luxustruppe von Paris St. Germain.
„Wir haben aber nicht nur gute Spieler sondern auch eine gute Mannschaft“, findet Darío Rodríguez, der frühere Schalker, der für Penarol Montevideo mit fast vierzig immer noch in Liga eins kickt.
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Und die Celeste, diese himmelblaue Nationalelf Uruguays, strotzt vor Optimismus. „Bei der WM ist alles möglich“, sagen Cavani und auch Atlético Madrids José María Giménez. Mannschaftskapitän Diego Lugano von West Bromwich glaubt sogar: „Wir können vielleicht Weltmeister werden.“
In diesem faszinierenden Stadion waren sie das schon einmal: 1930 schlug Uruguay um den eleganten José Andrade Argentinien mit 4:2. Das Finale pfiff der belgische Schiedsrichter Langenus nur, nachdem eine Lebensversicherung für ihn abgeschlossen und an den Eingängen Leibesvisitationen durchgeführt wurden. In der Vorrunde noch hatten sich Pistolenschüsse in den Jubel gemischt, am Endspieltag wurden dann 1600 (!) Revolver eingezogen.
Weniger Einwohner als Berlin
Seit diesen wild-romantischen Fußballtagen hat sich am Stadion selbst wenig verändert – ein Bauwerk aus einer anderen Welt. Fünf Meter neben einer Eckfahne steht eine Telefonzelle. Hier hat die Aufforderung „Schiedsrichter, Telefon!“ ihre ursprüngliche Bedeutung. Im jüngsten Test bei Nieselregen gegen Nordirland war der Schiedsrichter allerdings nicht gefordert, zum 1:0 führte ein halbes Eigentor der Gäste – und das an der Wiege der Weltmeisterschaft von 1930.
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Ein zweites Mal holten die „Urus“ 1950 den Weltpokal, mit 15 Titeln sind sie Rekordsieger der Copa America, dem Pendant zur Europameisterschaft. Ein so kleines Land mit weniger Einwohnern als Berlin ist ein Riese im Fußball, in Südafrika 2010 waren sie zuletzt im Halbfinale. „Ich kann’s mir nicht erklären“, gesteht Kapitän Lugano. „Einen Widerspruch“ sieht darin Darío Rodríguez: „Was bei uns passiert, ist unglaublich.“
Wichtig ist: Das Gewinnen
„Es liegt in unseren Genen und unserem Blut“, vermutet der Ex-Schalker und untermauert das mit einer Kindheitserinnerung: „Die alten Frauen, die die Gehwege fegten, fragten nach dem Spielen nie, ob ich Spaß hatte, sondern nur: Hast du gewonnen?“
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So lernen Uruguayer früh, dass schöner Fußball allein keine Bedeutung hat. Das erklärt, warum die Stars von heute trotz des blutarmen Gekickes gegen Nordirland, das nicht mal die Bachstelze am Rand aufschreckte, froh gelaunt an der hellblau gestrichenen Backsteinwand im Bauch des einzigen Fifa-Monuments des Fußballs vorbeihuschen. Gewonnen haben sie ja im Centenario, das 1930 zum 100. Jahrestag der Landesgründung eröffnet wurde. Außerhalb der Spieltage ist es eine Insel der Ruhe in Montevideo – und in der ganzen aufgedrehten Fußballwelt.