Gelsenkirchen.. Schalkes Mittelfeldspieler Kevin-Prince Boateng glaubt, dass bei der WM nur ein Fußballer aus seiner Familie die Vorrunde überstehen wird. Im zweiten Gruppenspiel trifft er auf seinen Bruder Boateng, den deutschen Abwehrspieler. Der Auftrag an Ghanas Team ist eindeutig: Weltmeister werden!

Wie wird man ein Führungsspieler? Kevin-Prince Boateng lehnt sich zurück und lächelt. „Keine Ahnung“, sagt er. „Ich bin so geboren. Ich habe immer im Mittelpunkt gestanden, die anderen haben sich immer an mir hochgezogen.“ Kurze Pause. „Aber ich bin ganz froh darüber.“

Nur über meine Weiche. Er ist erkennbar stolz darauf, dass er sich diese Rolle nach anfangs komplizierten Karrierejahren erarbeitet hat. Zwei Jahre war der 27-Jährige nicht mehr für Ghanas Nationalmannschaft am Ball, kaum ist er zurück, hat er gleich wieder eine Sonderstellung eingenommen.

"König" Boateng finden in Afrika nicht die nötige Ruhe

Die Auswahlspieler des westafrikanischen Landes starteten in der vergangenen Woche in der Hauptstadt Accra ihre Vorbereitung auf die Weltmeisterschaft in Brasilien, doch dem Mittelfeldstrategen vom FC Schalke 04 wurden wie dem ebenfalls privilegierten Michael Essien vom AC Mailand noch ein paar Tage Sonderurlaub gewährt. Beide durften nachträglich zu ihrem Team stoßen, das derzeit ein Trainingslager in den Niederlanden bezogen hat.

Dort lässt es sich konzentrierter arbeiten als in Accra. „In Ghana kann ich nicht auf die Straße gehen“, erzählt Kevin-Prince Boateng. „Fußball-Stars sind in Afrika Helden, Könige. Und so werden sie auch behandelt.“ Ein Status, den er zwischenzeitlich verloren hatte.

„Die Presse in Ghana ist noch kritischer als in Deutschland“

Nach seiner selbst gewählten Nationalelf-Auszeit wegen der Doppelbelastung war er nicht sofort wieder mit offenen Armen empfangen worden. „Die Presse in Ghana ist noch kritischer als in Deutschland“, erzählt Boateng lachend. „Aber jetzt lieben sie mich wieder alle. Und sie wissen auch, dass sie mich brauchen.“

Mit diesen extremen Ausschlägen auf der Skala der Emotionen und anderen kulturell bedingten Unterschieden musste er sich erst vertraut machen, er ist ja als Sohn einer deutschen Mutter und eines ghanaischen Vaters in Berlin groß geworden. Als herausragendes Talent trug er bis zur U-21-Auswahl das deutsche Nationaltrikot – 2009 entschied er sich dann aber für Ghana, als er in Deutschland keine Perspektive sah.

Boateng von afrikanischer Lebensfreude begeistert

Heute macht er sich keinen Kopf mehr darüber, ob das eine übereilte Entscheidung gewesen sein könnte. Ihm gefällt es, wie es ist, die Identifikation mit Ghana fällt ihm nicht schwer. „Dort lebt ja meine Familie von Vaters Seite“, sagt er. „Ich will auch in Eigeninitiative eine Schule bauen, ich will noch näher dran sein.“

Wenn er in Ghana ist, staunt er oft darüber, „wie glücklich die Leute dort sind, wie sehr sie sich freuen können“. Er wohnt mit Lebensgefährtin und Baby in Düsseldorf, den Gegensatz findet er krass: „Da laufen die Leute missmutig mit gesenkten Köpfen über die Königsallee, obwohl sie alles haben.“

Kontinent betet für ersten afrikanischen WM-Titel

Und während in Deutschland vor der WM nicht nur wegen der vielen angeschlagenen Nationalspieler eine gewisse Grundskepsis herrscht, ist ganz Ghana aus dem Häuschen. Staatspräsident John Dramani Mahama hat das Team auf das höchste Ziel eingeschworen: „Wir erwarten von Euch, dass Ghana zum ersten Mal die Weltmeisterschaft gewinnt!“

Boateng überrascht diese Ansage nicht. „Das ist ganz klar die Haltung in Ghana. Der ganze Kontinent betet dafür, dass mal eine afrikanische Mannschaft Weltmeister wird.“ Die deutsche Seite seiner Seele lässt ihn einschränkend nachschieben: „Das ist aber nicht so einfach.“

Allerdings glaubt auch der Schalker, dass das ghanaische Team stärker sein wird als 2010 in Südafrika, wo es bereits fürs Viertelfinale reichte. Damals traf Kevin-Prince Boateng im letzten Gruppenspiel auf die deutsche Elf mit seinem Halbbruder Jerome, die Deutschen siegten 1:0. Vier Jahre später kommt es in Brasilien zur Neuauflage, diesmal im zweiten Vorrundenspiel am 21. Juni in Fortaleza.

"Ich glaube, dass nur ein Boateng weiterkommen wird"

Es hat bereits für einigen Wirbel gesorgt, dass Kevin-Prince Boateng den deutschen Nationalspielern feinfühlig wie ein Vorschlaghammer Führungsqualitäten absprach („Sie müssen Weltmeister werden, aber ich sehe nicht die Typen, die damit umgehen könnten“). Jetzt muss er darauf gefasst sein, dass ihm diese Typen eine Rechnung servieren wollen, aber das macht ihm nichts aus, er braucht das.

Mit Bruder Jerome hat er schon oft über das Duell gesprochen, und Kevin-Prince sagt: „Es wäre natürlich schön, wenn wir beide weiterkämen.“ Er hat allerdings seine Zweifel. „Portugal ist mit Cristiano Ronaldo kaum zu schlagen. Ich glaube, dass nur ein Boateng weiterkommen wird.“ Man ahnt, an welchen er da denkt.