Berlin. Weil bei Bundestrainer Löw Stürmer rar sind, probiert er Schalkes Mark Uth aus. Der begann seine Karriere über den Umweg Niederlande.
Er stieg aus dem Auto aus und hinein in sein neues Leben als Nationalspieler, in dem ihm noch alles fremd war. Auch die Menschen. Als Mark Uth Dienstagmittag am Teamhotel der deutschen Nationalelf im Berliner Tiergarten ankam, mit zurechtgelegten Haaren und ebenso zurechtgelegten Einstiegsformulierungen, da erwartete ihn sogleich die Presse. Der Schalker Angreifer wollte sich den Fragen stellen, da eilte ein DFB-Mitarbeiter herbei, griff Uth am Arm, um ihn richtig vor den Kameras zu platzieren und merkte dann erst, dass er sich beim Neuling ja gar nicht vorgestellt hatte. Hallo, ich bin vom Pressestab. Jetzt kann es losgehen.
Mark Uth könnte der 100. Debütant in Löws Amtszeit werden
Mark Uth und das DFB-Team müssen sich also erst noch richtig kennenlernen. Zum allerersten Mal hat ihn Bundestrainer Joachim Löw für die beiden anstehenden, wichtigen Länderspiele in der Nations League gegen die Niederlande am Sonnabend (20.45 Uhr/ZDF) und drei Tage später gegen Frankreich eingeladen. Uth könnte der 100. Debütant in Löws Amtszeit seit 2006 werden. Mit 27 ist man heute nicht mehr in einem Alter, in dem man noch von einer Nationalelfkarriere ausgehen darf. Und dazu hatte Uth nach seinem Wechsel aus Hoffenheim zu Schalke im Sommer noch kein einziges Tor erzielt. Daher war die Öffentlichkeit auch ein wenig überrascht von seiner Nominierung – er selbst übrigens auch: „Ich habe nicht unbedingt damit gerechnet. Umso mehr freue ich mich, hier zu sein“, sagte Uth am Dienstag. Löws Anruf hatte er im Baumarkt beim Holzkauf empfangen und danach erst einmal erfreut seine Familie unterrichtet. Nun reise er mit Glücksgefühlen an, „denn es war immer mein Traum, und jetzt geht er in Erfüllung“, sagte Uth. Er sei ein Spieler, so Uth über sich selbst, „der Torgefährlichkeit in der Box mitbringt“. Und weil das vor dem Hintergrund seiner aktuellen Torlosigkeit auf Schalke gerade etwas schief klang, schob er hinterher: „Auch wenn es in dieser Saison noch nicht so klappt, mache ich mir keine Gedanken, dass das wiederkommt.“
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So erfreulich sein neues Leben als Nationalspieler für den Angreifer ist, so unerfreulich ist es eigentlich für Löw. Denn dass er Uth nun nominiert hat, bedeutet auch, dass er 58-Jährige bei seiner langen Suche nach einem echten Stürmer, einer Nummer 9, nicht ausreichend fündig geworden ist. Seit dem Rücktritt von Miroslav Klose nach dem WM-Triumph von 2014 hat Löw allerhand Personal ausprobiert. Mit dem Wildwuchs Thomas Müller umgepflanzt in die zentrale Spitze, wurde er bei der EM 2016 nicht glücklich. Auch Mario Gomez konnte nicht höchsten Ansprüchen genügen. Dann kam der Leipziger Timo Werner und alle Sorgen schienen verflogen. Doch bei der WM in Russland konnte auch der 22-Jährige an der schlechten Chancenverwertung nichts ändern. Dass Löws Elf durchschnittlich 30 Versuche für ein Tor benötigte, war einer der Hauptgründe für das Debakel von Russland.
Löw, der lange davon ausgegangen war, dass der moderne Fußball keine klassischen Torjäger mehr braucht, hatte nun seine Meinung geändert und landete bei seiner erfolglosen Fahndung irgendwann sogar bei Sandro Wagner. Das zeigte, dass aus dem einstigen Stürmerland Deutschland eine Fußball-Nation geworden war, die aus Ermangelung an Topstürmern plötzlich arg improvisieren muss. Zuletzt war der Freiburger Nils Petersen Löws Wahl. Aber weil der nun verletzt fehlt und bei den vergangenen beiden Länderspielen gegen Frankreich (0:0), aber vor allem gegen Peru (2:1) im September erneut die vergebenen Torgelegenheiten schmerzten, darf sich jetzt Uth versuchen. „Mark hat vor allem eine Torjägerqualität. Er ist im Strafraum sehr gefährlich. Ich bin mir sicher, er wird das in dieser Woche zeigen“, sagte Löw am Dienstag. Uth steht exemplarisch für Löws Not, bei der Stürmersuche neue Wege gehen zu müssen. Denn auch seine Karriere war bisher eine mit Umwegen. Und Löw hat sie schon länger verfolgt.
DFB-Scoutingteam fand Uth bereits nach der WM 2014 spannend
Das Scoutingteam der Nationalelf fand den gebürtigen Kölner bereits im Jahr nach der WM 2014, als dem Bundestrainer klar wurde, wie schwer Klose als Zentrumsstürmer zu ersetzen sein würde. Im „Team Köln“, eine Armada von Analysten, die beim DFB Spieler und Spiele sichten, wurde in der Saison 2014/15 jemand auf diesen wendigen deutschen Angreifer aufmerksam, der beim SC Heerenveen in der niederländischen Eredivisie auffällig viel traf. In 32 Liga-Einsätzen erzielte Uth damals 15 Tore und bereitete elf Treffer vor. Löw schickte seinen Chefsout Urs Siegenthaler, und der war höchst angetan. Uth habe etwas im Naturell, was andere erst mühsam lernen müssen, berichtete Siegenthaler. Er spüre Fußball und habe eine Abschlussqualität, die in besseren Teams noch deutlicher sichtbar werden dürfte.
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Dass Uth nun, einige Jahre später, gegen die Niederlande am Samstag sein Debüt im Nationalteam geben könnte, ist zudem eine nette Pointe. Ins Nachbarland war er mit knapp 21 Jahren ausgewichen, weil er sich beim 1. FC Köln nicht durchsetzen konnte. „Ich hatte nicht diesen Bilderbuchstart in meiner Karriere“, sagte Uth einmal. Bis 17 spielte er bei Viktoria Köln noch auf Ascheplätzen. „Für mein Ziel Bundesliga musste ich den Umweg über die Niederlande nehmen“, so Uth. Dass es dort irgendwann besser klappte, mag auch an seinem Trainer bei Heerenveen gelegen haben: dem einstigen niederländischen Weltklasseangreifer Marco van Basten.
2015 ging Uth nach Hoffenheim und war dort in 88 Pflichtspielen an 48 Toren direkt beteiligt. Dass Uth sich nach oben gearbeitet und meist auch schwere Anfangsphasen in seinen Klubs überstanden hat, imponiert Löw. Nun will er ihn kennenlernen. Vielleicht kann ja Mark Uth der Strafraumstürmer werden, den er gesucht hat.