Rostow am Don. Am Mittwoch trifft Südkorea mit Superstar Heung-Min Son auf Deutschland, wo er als 17-Jähriger in der HSV-Jugend entdeckt wurde.
Das erste Mal vergisst man nicht. Auch nicht Heung-Min Son. Dabei ist dieses erste Mal nun schon eine gefühlte Ewigkeit her.
Der Südkoreaner, der an diesem Mittwoch (17 Uhr) mit den Red Devils im Vorrundenfinale auf Deutschland trifft, war seinerzeit 17 Jahre alt. Und natürlich ziemlich aufgeregt. Als Son dann zum ersten Mal beim Profitraining des HSV mitmachen durfte, kam Co-Trainer Michael Oenning vor der Einheit auf ihn zu.
Besondere Begegnung mit van Nistelrooy
„Ich zeigte ihm Ruud van Nistelrooy und fragte, ob er den kenne“, erinnert sich Oenning. „Dann sagte ich ihm: Halte dich immer an Ruud. Und spiel ihm immer den Ball zu. Dann wird es dir gut gehen.“
Doch gleich in der ersten Szene im Abschlussspielchen vergaß Son Oennings Rat. Der Südkoreaner bekam den Ball von van Nistelrooy, dribbelte die gesamte Abwehr schwindelig und schoss den Ball ins Tor. „Und genau in der Sekunde ist ihm wieder mein Ratschlag eingefallen“, erinnert sich Oenning und schmunzelt. Statt zu jubeln griff sich Son also an den Kopf, lief zu van Nistelrooy und entschuldigte sich.
"Sonny ist ein ganz besonderer Spieler"
Acht Jahre später sitzt Oenning gemeinsam mit Thomas Broich, den er einst als junges Talent in Mönchengladbach entdeckte, im Café Elbgold im Hamburger Schanzenviertel und muss über die Szene von damals lachen. „Sonny ist ein ganz besonderer Spieler. Das war mir schon klar, als ich ihn das erste Mal gesehen habe.“
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Das war im Sommer 2010. Der HSV hatte gerade Bruno Labbadia als Cheftrainer entlassen und noch keinen Nachfolger gefunden. Oenning war allerdings schon als Co-Trainer eingestellt und schaute sich nach und nach alle Jugendmannschaften des HSV an.
„Sonny fiel mir sofort auf. Auf einem kleinen Platz in der Nähe vom Zoo Hagenbecks Tierpark wirbelte der Junge über den Rasen, wie ich es selten zuvor gesehen habe“, sagt Oenning. Als wenige Wochen später Armin Veh als Labbadia-Nachfolger verpflichtet wurde, riet Oenning: „Den müssen wir zum Profi machen.“
Son und Oenning pflegen SMS-Freundschaft
Frisch geduscht steht der Profi Son acht Jahre später in den Katakomben des Stadions von Rostow am Don. 1:2 hat Südkorea gerade gegen Mexiko verloren. Son muss viele Fragen über das Spiel („Ich bin sehr traurig“), das bevorstehende Vorrundenaus („Ich bin sehr, sehr traurig“) und das Duell gegen Deutschland („Es ist trotz allem eine Ehre, gegen so eine Mannschaft zu spielen“) beantworten.
Sein Kopf ist gebeugt, die Augen sind leer. Ein Lächeln huscht ihm erst über das Gesicht, als er auf Michael Oenning, sein erstes Profitraining und den Beginn seiner Karriere angesprochen wird. „Michael war wie ein Papa für mich. Er hat mir unheimlich viel geholfen“, sagt Son, der noch immer eine SMS-Freundschaft mit dem heutigen Trainer von Vasas Budapest pflegt. „Ich werde Michael immer sehr dankbar sein.“
Son ist zum internationalen Top-Star geworden
Aus dem Jugendspieler von der Hagenbeckstraße ist längst ein internationaler Topstar geworden. Nach drei Jahren beim HSV wechselte der Offensivallrounder zunächst 2013 zu Bayer Leverkusen und zwei Jahre später zu den Tottenham Hotspur. Sein aktueller Marktwert beträgt laut dem Fachportal transfermarkt.de 50 Millionen Euro und damit fast doppelt soviel wie der Rest des Nationalmannschaftkaders zusammengerechnet. Kurz vor der WM wurde Son zum dritten Mal als Asiens Fußballer des Jahres ausgezeichnet.
Wenn man es genau nimmt, dann ist dieser Son wahrscheinlich die letzte Hürde für Deutschland, um das Achtelfinale zu erreichen. „Deutschland kann noch immer Weltmeister werden“, sagt Son, als er auf das Spiel gegen seine frühere Wahlheimat („Ich liebe Deutschland“) angesprochen wird. Doch Deutschland kann wohl auch nur Weltmeister werden, wenn die DFB-Auswahl gegen Son und Co am Mittwoch gewinnt.
Früher heimlich weitertrainiert
„Sonny hat einen ganz eigenen Spielstil“, sagt Oenning. Ein Spielstil, den auch Mexiko am Sonnabend nur schwer in den Griff bekam. Insgesamt siebenmal – und damit mehr als jeder andere auf dem Platz – schoss der pfeilschnelle Stürmer auf das Tor. Ins Tor traf Son allerdings nur einmal: mit links gefühlvoll ins linke Eck.
Kurz vor der WM sitzt Son beim Interviewtermin mit dieser Zeitung in Köln beim Italiener und spricht über seine Anfänge im HSV-Nachwuchs. „Als die Jungs nachmittags Tischtennis gespielt haben, bin ich mit dem Ball auf den Platz gegangen, um meine Schusstechnik zu trainieren. Irgendwann haben sie mir gesagt, dass ich auch mal vom Fußball abschalten müsste. Dann habe ich heimlich weiter trainiert.“
30 Tore in 99 Premier-League-Spielen
Das heimliche Training hat sich ausgezahlt. In 99 Premier-League-Spielen hat Son 30 Tore erzielt. Achtmal traf der Südkoreaner in der Champions League und in 71 Länderspielen war er 22 Mal erfolgreich. Zuletzt am Sonnabend gegen Mexiko, als sein Papa im Stadion vor Ort war. Nicht Papa Oenning. Sondern Vater Woong-jung Son.
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„Wir haben ihn sehr streng erzogen“, sagte einmal Son Senior, der selbst in Südkoreas ersten Liga als Profi gespielt hat – und der Sons gesamte Karriere auf Schritt und Tritt verfolgt. Selbstverständlich wird Vater Son auch am Mittwoch im Stadion in Kasan dabei sein.
Und Papa Oenning? „Natürlich werde ich das Spiel im Fernsehen verfolgen“, sagt er. „Und Sonny wird es mir sicher verzeihen, wenn ich ihm ausnahmsweise mal nicht die Daumen drücke.“
Und Deutschland muss Son möglicherweise verzeihen, wenn der 25-Jährige ein Tor schießt. Und sich nicht entschuldigt.